Gesammelte Werke. Robert Musil

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Robert Musil страница 68

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Werke - Robert Musil

Скачать книгу

Zärtlichkeit dahin, wie eine Glocke, die ruft und ruft und keiner weiß wozu und sie wußte es auch nicht und fühlte nur, daß etwas in ihr tiefer und tiefer klang.

      Und während Veronika noch über all dies nachdachte, hörte sie plötzlich das Haustor gehen, hörte das Ächzen der hölzernen Treppe und fühlte ihr Herz. Sie hatte gewartet.

      Wie das Reglose selbst kauerte Veronika auf ihrem Stuhl und drückte sich in das Dunkel, während ihr geistlicher Freund wie ein großer leidenschaftlicher Schatten das Zimmer auf und abschritt; er versank und dann sah sie ihn noch etwas entfernt triefend vor Finsternis wieder auftauchen und nahe vor ihr, unter dem Fenster war er in einem zitternden, grauen Nebel von Augenblick ganz sichtbar; … seine Stimme klang weit und kam nahe, klang nahe und sank wieder ins Weite … –

      «Sie sitzen da, Veronika und schließen sich aus, warum tun Sie das?» «Ich fühle mich so am wohlsten.» «Aber das ist es ja eben, was nicht wahr ist! Sie belügen sich, ich kannte Sie doch früher; Sie sind freudlos geworden. Aber Sie sprechen immer so unbestimmt, drückt Sie etwas – ich meine, mir als Jugendfreund und Menschen anderer Gesetze – ich meine irgend ein Erlebnis, gestehen Sie es mir doch, es wird Sie erleichtern – warum fliehen Sie die Freuden der Geselligkeit, die doch Gott selbst den Menschen der Welt gegeben hat?» «Es ist mir, – wie soll ich es sagen – mir ist wie zerschnitten, wie wenn ich in Stücke zerfiele, wenn ich unter den Leuten bin» und wie eigensinnig wiederholte sie leise, «allein fühle ich mich am wohlsten, ganz, ich fühle mich als etwas.» – «Sie sind hoffärtig, Veronika» sagte der junge Priester unwillig. «Ich weiß nicht auf wen Sie warten und dabei treiben Sie in Stücken dahin und haben den Eigensinn eines Kranken, dahinein Ihren Stolz zu setzen»

      Veronika drückte sich wohlig unter diesen Scheltworten zusammen, ihr war als könnte sie aus sich heraus wie aus weichen Betten auf diesen starken bewegten Menschen schauen und empfand Dankbarkeit für seinen Unwillen, durch den sie noch tiefer und schwerer hineingedrückt wurde. Und ganz versteckt und listig fragte sie: «Und was haben Sie getan? Erzählen Sie lieber!» – mit einem heimlichen Schauer stellte sie sich dabei vor, wie sie ihn jetzt sprechen hören würde. –

      Cäciliens Bruder blieb stehen unwillig und kopfschüttelnd über den Widerstand – dann setzte er seinen Weg langsam wieder fort und begann zu erzählen, weil er hoffte, dadurch dieser Seele zum Frieden zu helfen.

      «Ich war vor der Stadt, auf dem Fuchsengut bei der Wöchnerin, wo der Vater gestern die Medizin hinausgeschickt hat, aber es ist nichts mehr zu machen.» Pause «Ist der Mann traurig?» «Gott, wie Bauern schon sind. Hart. Man weiß nicht, was in ihnen vorgeht. Aber wie ich ihm sag, daß seine Frau bald bei Gott es besser haben werde, ist er dagestanden, wie ich vorher noch nie einen Menschen stehen sah, so baumgerad als ob sein ganzes Leben fortab in diesem Augenblick festgewurzelt wär.» «Ja die Bauern …» meinte Veronika um das Gespräch durch ihre Teilnahme in Fluß zu erhalten. «Nein nicht die Bauern; als ich dann ging und das Gatter schloß, wars mir geradeso, als hätte ich noch nie ein Tor so knarren gehört, so zögernd und eindringlich und die Vögel hatten noch nie so laut und menschenähnlich gesungen und zwischen den Wiesen stand jeder Baum groß und unverrückbar und von seinem Platz getragen.» – Veronika neigte sich vor, man merkte es nicht in der Finsternis und ihre Augen fingen dabei einen Schein vom Fenster und begannen zu leuchten wie Faulholz im Dunkeln. «So fest!?» fragte sie. «So fest und scharf in die Welt gegraben wie mit der Stichel, Vroni, jeder Laut, jede Linie, jedes Leuchten im Auge eines vorüber laufenden Tiers. Nur noch ein wenig anders als sonst, trotzdem ein jedes so ganz bei sich war, schien jedes doch ein wenig verändert, wie abgestimmt aufeinander, eine Ähnlichkeit, nein keine Ähnlichkeit, aber etwas wie eine Ähnlichkeit zwischen allem, ja, wenn Sie mich noch verstehen, möchte ich sagen eine Ähnlichkeit wie mit nach aufwärts gewandtem Antlitz; als ob jedes nur so klar dastünde, damit man erfaßt, daß es nicht bloß so da ist, wie man geglaubt hat, sondern daß es ein Glied ist, mit dem ein ganz andrer Sinn gemeint ist als der, zu dem man sonst flüchtig und halbverstanden die Dinge zusammensetzte, – ein übermenschlicher Sinn – Sein Sinn. Ich fühlte plötzlich, wie er sachte alles bewegt. Er nimmt das Prahlerische das in allem Großen ist und das Liebliche, das hinter jedem Widrigen ist, wie ein bittendes Lächeln in einem häßlichen Antlitz, und er macht das eine stiller und das andere trauriger, er fängt die Stimmen der Vögel im Wald, damit das Knarren eines Tors, durch das einer zum letztenmal davonschritt sich tiefer in die Welt gräbt, er glättet die Falten im Gesicht einer Toten wegen der Lichter in den Augen eines Tiers, er quält einen Mann weil ein Baum fest über der Erde ragt, langsam verrückt er erst die Schatten der Dinge, auf daß sie sich zueinander ordnen und gewaltig greift er am Ende nach jedem und packt es wie ein Sinn die Worte oder Linien, wie eine Melodie die Töne – Vroni! wenn Sie mich verstehen: allein taugt der Mensch nichts! Das ist unfruchtbare Hoffart! Er gehört in die Welt, wie ein Glied in eine Harmonie. Man darf sie nicht durch seinen besonderen Willen entstellen, man muß sich Seinem Sinn hingeben, muß sich in ihn geben. Den Atem seiner Lust fühlen – Dann erst – ja glauben Sie es, dann fühlt man alles so fest und sicher als hielte Er einen an den Haaren auf dem richtigen Platze fest und ich ging zwischen den Dingen wie ein Bruder und wußte daß ich nicht das Kleinste unnütz tat, denn ich fühlte Seinen Sinn in mir, in jeder Gebärde, die ich tat, wie den Wind in den Segeln …»

      Veronika schauderte. Sie hatte diese Worte vorausgefühlt, sie kannte sie, es war eine List von ihr, den Priester zum Reden zu bringen. Es war ihr eigentümliches Spiel, durch das Dunkel und unverfängliche Gegenreden gedeckt, seine Worte wie zahnige Pflugscharen in ihrer Seele zu fühlen. Denn er selbst blieb ihr dabei ganz unpersönlich, sie hatte nie neben ihm das Gefühl wie ein Weib zum Manne aber von seiner Sachlichkeit, von dem Inhalt seiner Seele ging eine Kraft aus, die sie unterwühlte. Diese Gespräche gingen in ihren dunklen Kleidern dahin mit der Sicherheit von Fremden aus einem mächtigen wohlgeordneten Staate. Und diese Sicherheit begriff sie. Sie begriff, daß da ein Leben vor ihr stand, das ganz rund und in sich geschlossen ruhte und von sich selbst gesättigt war, ein Leben das nicht voll Abwehr in sich zusammengekauert war, sondern dem sich von allen Dingen geschwisterliche Hände entgegenstreckten. Sie suchte sich das vorzustellen. Es mußte aus einem herausströmen und die Dinge ergreifen wie eine Welle Blutes – und wie eine Welle eigenen Blutes mußte es manchmal langsam, langsam von den Dingen wieder zurückströmen, und manchmal mußte es sein, wie wenn einer die ganze Welt einatmen und in seinem Leibe tragen und von innen spüren könnte und dann ausatmen und so zärtlich sacht und vorsichtig gespannt vor sich hinstellen könnte, wie ein Künstler, der mit tausend fliegenden Reifen arbeitet – Und es kam eine quälende Unruhe in ihr Dasein –

      Sie konnte sich das aber so nur vorstellen, wenn sie an ihn dachte. Wenn sie auf sich selbst blickte, verließ sie die Stimmung. Und trotzdem begriff sie zum erstenmale, daß auch diese dunklen Kräfte in ihr danach verlangten sie in die Weite ruhig u schlank wie eine Brücke zu wölben und spannen. Es kam in ihr Dasein eine geheimnisvolle Unruhe, die sich bis zu quälender Ungeduld steigerte. Ihr war, es würde sich etwas in ihr heben und heben und dumpf bewegen wie ein Kind im Leibe der Mutter und konnte doch nicht ans Licht, denn wenn es weg war konnte sie nichts in sich finden. Sie durchsuchte sich eindringlicher als sonst. Es blieb ihr aber nichts als eine dunkle Erinnerung wie an eine wichtige vergessene Sache. Statt der trägen Sicherheit, die sie besessen, befiel sie jetzt die Unsicherheit des Suchens. Sie fühlte, daß sie suchte und noch nicht hatte. Schließlich bildete sich in ihr die Vorstellung, daß es diese unaufgefundene vergessene Sache sei, die wie ein Schleier darüber liege. – Sie hatte einmal von einem Mädchenzimmer gehört, das ganz weiß war, und es verknüpfte sich ihr damit die unklare Ahnung eines Lebens von ganz besonders zart und vorsichtig gegliederter Schönheit. Nun dachte sie, wenn sich eines Tages der Schleier von ihrem Leben heben werde, wird es sein, wie wenn junge Mädchen in weißen Kleidern über eine Landschaft gehen, die voll glitzerndem, weißem Schnee und blühender Kirschen ist.

      Und Veronika wartete, sie wartete

      Eines Tages geschah dann das, was in ihr Leben jene sonderbare Wendung brachte Der Priester mußte abreisen. Cäcilie war längst schon fort, die Frau des Bauern war in den Wochen gestorben und sie gingen den Weg zum Fuchsengut.

Скачать книгу