Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Mund, mit den starken Augenbrauen auf der niederen breiten Stirn und den feinen schwarzen über die ganze Länge des Arms verteilten Haaren, hätte sie zwar vielleicht unter den Bewohnern dieser kleinen Provinzstadt keinen Mann gefunden, wohl aber hätte sie gerade dadurch einen verwöhnteren Menschen und Liebhaber nicht gewöhnlicher Reize beunruhigen können, besonders aber noch durch einen Gegensatz, in dem ihr langes, schmales, fast ekstatisches Kinn zu ihrer anderen Erscheinung stand.

      Aber es war etwas in ihrem Wesen, etwas Unpersönliches, ein Beiseitestehen, daß man sich gar nicht denken konnte, sie möchte auch einmal Ansprüche an das Leben erheben oder gar so im Mittelpunkte eines Ereignisses stehen, wie Cäcilie gerade jetzt. Es war etwas in ihr, das sie zu einer ausgezeichneten Freundin machte, diese anderen Gedanken gerade deswegen aber fast wie eine Taktlosigkeit empfinden ließ. Und der Apotheker bekam es von seinen zwei Frauen zu hören, als er mit ihnen ausging, um noch schnell einen Abendbesuch zu machen.

      Veronika war in der Apotheke zurückgeblieben und hatte sich angeboten, die Sachen zu ordnen und in die Schränke zu räumen, die nach dem eiligen Abbruch der Anprobe noch überall umherlagen. Mit großen, eiligen Schritten ging sie durch die Zimmer und ihre Hände fanden mit einer unbedachten Sicherheit für alles rasch den richtigen Platz. Sie tat Selbstverständliches und nur zuweilen stand sie einen Augenblick still um auf den Schall ihrer Schritte zu horchen, der fremd von den Wänden zurückkam, hastig verstummend, wie wenn jemand heimlich ihre Bewegungen äffte, stets ein wenig zu spät käme und rasch es zu verwischen sich mühte. Veronika war fertig, aber sie ging nicht nach hause, sondern setzte sich auf die Wandbank im Dunkeln neben dem Stuhl des Apothekers und ließ die Hände zwischen den Knien auf dem gespannten Kleide ruhn. Sie schien nachzudenken. Sie war jetzt 28 Jahre alt und Cäcilie die letzte ihrer Jugendfreundinnen, die noch nicht geheiratet hatte. Veronika dachte darüber nach, wie es nun auch ohne dieser letzten sein werde. Sie dachte auch darüber nach, wie es nun Cäcilie ergehen werde. Aber sie dachte nur an diese Dinge daran, an die man bei einem Bekannten denkt, den man auf einer Reise weiß. Sie fühlte dabei nichts Entschiedenes. Weder einen Schmerz über den Verlust noch auch, daß Cäcilie fortab mit einem Manne leben werde, der Gedanke an diese Umwälzung, die sich im Geheimen vollzieht u. von dort aus das ganze Wesen ergreift, schien sie nicht zu beunruhigen, er schien gar nicht da zu sein für sie. – Vielleicht spürte sie sogar ein leises Behagen darüber, daß sie von morgen ab ganz allein sein werde. – Sie wunderte sich selbst über diese Teilnahmslosigkeit, besonders wenn sie der Thränen gedachte und der tiefen Bewegtheit, von der alle diese anderen Menschen bei diesem Ereignis ergriffen wurden. An ihr schien es wie etwas Lebloses vorüberzugleiten.

      Es war irgend einmal, daß sie dem Leben näher stand, es deutlicher spürte, wie mit den Händen oder wie am eigenen Leibe, aber sie wußte nicht mehr, wie und wann das war. Vielleicht als Kind, denn sie erinnerte sich, damals zuweilen ein eigentümlich erschrecktes und sie am ganzen Leibe erregendes Staunen der Dinge gefühlt zu haben. Wenn der Kuckuck sein Weibchen im Walde rief, lief sie ihm nach, von Baum zu Baum, in einem atemlosen Verlangen, ihn zu sehen, und stand verdutzt, wenn sie ihn hatte und nichts sah als einen großen bunten Vogel. Ein Hahn mit seinen Hennen konnte sie stundenlang auf einem Platze festhalten, denn sie wartete immer wieder auf den Augenblick, wo er, an allen Federn zitternd, eine Henne zu Boden drückte, während diese ihn dumm und gleichgültig gewähren ließ und gleich wieder weiterzufressen begann, während er noch wie verstört einen Augenblick neben ihr still stand. Wenn die Nachbarskinder geschlagen wurden und sie sie schreien hörte, suchte sie nach einem Fenster, von dem aus sie zusehen konnte oder stellte sich wenigstens alles mit eindringlichster Lebhaftigkeit vor und wünschte, daß sie noch immer heftiger geschlagen würden. Denn obwohl ihr Kinderstolz durch die Züchtigung ihrer Spielgenossen sich entehrt fühlte, war gerade in solchem Geschehnis irgend etwas das in seiner Ungerechtigkeit so stark und eindringlich war, daß die Lust, sich an die harte kantige aus dem Alltäglichen vorspringende Form dieses Geschehens bis zum Wehtun zu pressen und es so scharf als es ging in sich einzugraben, alles andere verdrängte.

      Seither hatte sich aber das schwache Alltagsleben eines Mädchens in bürgerlichem Hause einer Kleinstadt über diese Eindrücke gelegt und hatte sie bis zur Unkenntlichkeit verwischt wie ein matter, dauernder Wind Spuren im Sand. Sie verstand sie nicht mehr Sie sah nur etwas Kurioses in ihnen Dieses gleichmäßig ebene Leben hatte Veronika geformt und seine Eintönigkeit klang in ihrer Seele wie ein leise auf und abschwellendes Summen. Sie kannte keine starken Freuden und kein starkes Leid, nichts was sich merklich oder bleibend aus dem Übrigen herausgehoben hätte. Sie tat ihre häuslichen Pflichten, weil ihr nie der Gedanke gekommen war, daß es möglich sei, sie nicht zu tun, und keine Vorstellung eines anderen Lebens sie beunruhigte. Sie tat sie ohne Liebe und ohne Abscheu, als etwas Selbstverständliches.

      Aber so klar und geregelt dieses ihr Leben dahinfloß, wie ein helles stilles Wasser, es erschien ihr dennoch wie etwas Undeutliches. Die Tage gingen einer wie der andere dahin und eines gleich dem anderen kamen die Jahre und sie fühlte wohl noch daß ein jedes ein wenig hinwegnahm u etwas hinzutat und daß sie sich langsam in ihnen änderte, aber nirgends setzte sich eines klar von dem anderen ab. Sie hatte ein unklares, fließendes Gefühl von sich selbst, wie wenn sie sich betasten wollte und nur ungefähre u verhüllte Formen fände, geheimnisvoll wie man unter einem Tuche etwas sich bewegen fühlt ohne es zu erkennen.

      Selbst von den Veränderungen ihres Körpers hatte sie nur dieses undeutlich u gehemmt murmelnde Gefühl. Ihre kleinen Brüste einst waren spitz und hart und neugierig rotgeschnäbelt gewesen und sie waren es nicht mehr; sie hatten sich schon ein ganz klein wenig gesenkt und waren ein bischen so traurig wie zwei liegengelassene Papiermützchen auf einer weiten Fläche, denn der Brustkorb hatte sich flach in die Breite gestreckt und das sah aus, wie wenn der Raum um sie davongewachsen wäre. Aber sie wußte das nicht, wie man es sonst weiß, denn sie sah nie in den Spiegel, wenn sie nackt war, – im Bade oder beim Umkleiden – weil sie dabei nur das tat, was eben zur Sache gehörte. Und trotzdem wußte sie es. Es kam ihr manchmal vor, wie wenn sie sich früher in ihre Kleider hätte einschließen können, ganz fest und nach allen Seiten, während sie sich jetzt nur mit ihnen bedeckte, u zuweilen schien ihr als könnte sie sich, wenn sie ganz allein war, vorsichtig von innen her befühlen und ihr war dabei, als ob das früher wie ein runder, gespannter Wassertropfen gewesen sein mußte, während es jetzt wie eine kleine weichgeränderte Lacke war. Ganz breit und schlaff und spannungslos war dieses Empfinden, das sie von sich hatte. Und es wäre wohl überhaupt nichts wie Trägheit und müde Lässigkeit gewesen, wäre hier nicht wieder etwas Merkwürdiges dabeigewesen, hätte sie sich nicht dabei so ganz sonderbar bei sich selbst gefühlt, wie wenn sich etwas unvergleichlich Weiches in tausend zärtlich vorsichtigen Falten ganz, ganz langsam von innen her an sie schmiegen würde u. so als ob die Verwüstung, die sie dunkel fühlte eine traurige Zärtlichkeit bedeuten würde.

      Früher wenn ihre Freundinnen heirateten, dachte sie wohl auch daran wie junge Mädchen denken, und an Küssen und Beisammensein, aber schon damals nie so wie an etwas, das auch für sie in jedem Augenblicke wirklich werden könnte, weder mit Ungeduld noch mit Verzichten oder auch nur wie an ein Geschehen, zu dem man irgend etwas tun konnte. Jetzt aber dachte sie nicht einmal mehr so daran; wenn ein Mann in dieser Weise in den Kreis ihres Lebens trat, so empfand sie ihn zwar ein bischen stärker als sonst, aber das hob ihn doch nur so ganz wenig aus den andern hervor, mit einer Sehnsucht, die nur so leise und verworren sinnlich war wie das unbestimmte, wehe Ziehen im Schoß vor den wiederkehrenden Tagen. Wenn es sie aber losließ und außen alles wieder nur glatte, gleichgültige Fläche war und innen alles vorbei, dann war es, wie wenn in die leergewordenen Stellen nun sie selbst hineinströmte, und dies war der Augenblick, den sie eigentlich liebte. Sie fühlte sich dann in ihrem trägen Gehenlassen und Nachschauen ganz warm und nah und eingehüllt in sich selbst wie in einen großen schweren Mantel, der sie begrub, und bei jedem Versuch, ihn abzuschütteln, ihre Bewegungen erstickte; sie duckte sich schließlich ganz heimlich unter ihm zusammen und empfand eine merkwürdige Zärtlichkeit für sich wie für ein verstecktes, ungewisses Geschöpf. Wenn jemand sie schalt und wegen ihrer Teilnahmslosigkeit träge nannte, konnte sie aus sich heraus wie aus weichen Betten auf ihn schauen und ihm fast dankbar sein, weil er sie nur noch tiefer und schwerer hineindrückte. Die Welt und die Männer erschienen ihr

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