Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Ihr Blick suchte den Platz, wo an der Wand der Spiegel hing, und fand ihr Bild nicht; sie sah nichts, … vielleicht ein undeutlich gleitendes Leuchten im Dunkel, vielleicht mochte auch dies Täuschung gewesen sein. Die Finsternis füllte das Haus wie eine schwere Flüssigkeit, sie schien nirgends darin zu sein, sie begann zu gehen, überall war nur die Dunkelheit, nirgends sie und doch fühlte sie nichts als sich und wo sie ging, war etwas und war nicht, wie unausgesprochene Worte manchmal in einem Schweigen. Sie hatte einmal in diesem Zimmer Engel gesehn, als sie krank lag; da standen sie um ihr Bett und von ihren Flügeln, ohne daß sie sie rührten, tönte ein dünner, hoher Laut, der die Dinge durchschnitt. Die Dinge zerfielen wie taube Steine, die ganze Welt lag mit scharfen, muscheligen Brüchen da, und nur sie selbst zog sich zusammen; vom Fieber verzehrt, dünn geschabt wie ein welkes Rosenblatt, war sie durchsichtig geworden für ihr Gefühl, sie spürte ihren Körper von überall zugleich und ganz klein beisammen, als hielte sie ihn mit einer Hand umschlossen. Für die andern schien er nicht mehr da zu sein; wie ein flimmerndes Gitter, durch das man nur hinaussehen konnte, lag jenes Tönen davor.

      Es war etwas von diesem Kranksein in der Sinnlichkeit, mit der sie sich selbst empfand; sie wich, vorsichtig sich einziehend, den Gegenständen aus und fühlte sie schon von ferne; es war jenes leise Verströmen und Zusammensinken in ihr, vor dem alles außen hart und fern und hinter dem alles weich wie hinter stillen Vorhängen von zerfallender Seide ist. Allmählich wurde es grau und mild von Schneelicht im Hause. Sie stand oben am Fenster, es wurde Morgen; die Leute kamen zum Markte. Hie und da schlug ein Wort zu ihr herauf; sie beugte sich dann, als wollte sie ihm ausweichen, in die Dämmerung zurück. Sie fühlte diese Bewegung, wie man etwas wieder durch die Hände gleiten läßt, das man vor Jahren in eine Truhe gelegt hat. Denn so stand sie als junges Mädchen, und während sie hinabsah, war ein knisternder Widerstand um sie, als ob feine Glasspitzen abbrächen, wenn ihr der Blick eines Menschen zu nahe kam. Und sie stand später hier, damals, als sie ihrem Haar in der Nacht phantastische Frisuren gab und ihren Fingern, – die sie mit riechenden Wassern wusch, wenn sie die Hände eines Andern berührt hatten, – die Namen von märchenhaften Liebhabern, die alle sie selbst waren. Sie stand immer hier, wenn sie niemanden liebte als sich und wenn sie sich vor den Menschen ängstigte, weil ihre Liebe so wehrlos weich war wie eine dunkle wunde Schnecke, die mit leisem Zucken nach einer zweiten sucht, an deren Leib es sie verlangt, aufgebrochen und sterbend zu kleben.

      Und leise legte sich etwas um Viktoria; es war eine Sehnsucht so ziellos in ihr und so still wie das wehe unbestimmte Ziehen im Schoß vor den wiederkehrenden Tagen; sonderbare Gedanken fielen ihr ein; sich so lieben, das wäre, wie wenn man vor einem alles tun könnte … Und langsam schob sich vor ihr, wie ein häßliches hartes Gesicht, die Erinnerung herauf, daß sie ihn getötet hatte. Doch der Gedanke erschreckte sie nicht; sie tat sich nur weh, wie sie sich sah; das war wie wenn sie sich von innen gesehen hätte, voll von Gedärmen, die wie große Würmer verschlungen waren, aber gleichzeitig sah sie ihr Sehen mit; sie empfand Abscheu vor sich, aber wie ein Körper sinkt und in einer letzten Schicht über dem Boden doch noch trübe schweben bleibt, war noch in diesem Abscheu etwas Unentreißbares von Liebe. Eine erlösende Müdigkeit legte sich um sie, sie sank zusammen und war in das, was sie getan hatte, wie in einen kühlen Pelz gehüllt, ganz traurig und zärtlich, ein stilles Bei sich sein, ein sanftes Leuchten, … wie man noch an seinem Schmerz etwas liebt und im Kummer lächelt.

      Und dann war es, als ob sich auch diese Grenze zwischen ihnen beiden öffnete. Sie empfand eine wollüstige Weichheit und ein ungeheures Nahesein. Mehr noch als eines des Körpers eines der Seele; es war wie wenn sie aus seinen Augen heraus auf sich selbst schaute und bei jeder Berührung nicht nur ihn empfände sondern auf eine unbeschreibliche Weise auch sein Gefühl von ihr; es erschien ihr wie eine geheimnisvolle geistige Vereinigung. Sie dachte, er war ihr Schutzengel; er war gekommen und ging, nachdem sie ihn wahrgenommen hatte; und wird doch von nun an immer bei ihr sein, er wird ihr zusehen, wenn sie sich auskleidet, und wenn sie geht, wird sie ihn unter den Röcken tragen, seine Blicke werden so zart sein wie eine beständige leise Müdigkeit. Sie dachte es nicht, sie fühlte es; es war etwas bleichgrau Gespanntes in ihr und wenn die Gedanken gingen, säumten sie sich hell, wie dunkle Gestalten vor einem Winterhimmel. Bloß so ein Saum war es. Von unsagbarer Zärtlichkeit. Es war ein leises Herausheben; … ein stärker werden und doch nicht da sein, … ein nichts und doch alles.

      Sie saß ganz still und spielte mit ihren Gedanken. Es gibt eine Welt, etwas Abseitiges, eine andere Welt oder nur eine Traurigkeit … wie vom Fieber bemalte Wände, zwischen denen die Worte der Gesunden nicht tönen und sinnlos zu Boden fallen, wie Teppiche, auf denen zu schreiten, ihre Gebärden zu schwer sind, eine ganz dünne, klingende Welt, durch die sie zu ihm schritt, und allem, was sie tat, folgte darin eine Stille und alles, was sie dachte, hallte ohne Ende wie Flüstern in verschlungenen Gängen. –

      Und als es ganz klar und kalt und Tag geworden war, kam der Brief. Es pochte am Haus und riß durch die Stille, wie ein Felsblock eine dünne Schneedecke zerschlägt; durch das geöffnete Tor bliesen Wind und Helligkeit herein. In dem Brief stand: «Was sind Sie, ich habe mich nicht erschossen? Vielleicht sind Sie schön wie eine schlafende Kranke. Aber ich bin wie einer, der auf die Straße hinausfand. Ich bin heraußen und kann nicht zurück. Das Butterbrot, das ich esse, das schwarz-braune Boot, das am Strande liegt und mich hinaustragen sollte, alles Lärmende, Lebendige ringsum hält mich fest. Ich bin wie ein Pfahl gefaßt und verrammt und wieder verwurzelt worden, daß ich nicht anders kann …»

      Es stand noch anderes darin, aber sie sah nur dieses eine: was sind Sie, ich fand auf die Straße! Es enthielt etwas Höhnisches, kaum angedeutet, aber doch diesen rücksichtslos rettenden Sprung zu sich selbst. Es war nichts, gar nichts, nur wie ein Kühlwerden am Morgen und einer fängt laut zu sprechen an, weil der Tag kommt. Es war alles um solch einen getan, der nun ernüchtert zusah. – Von diesem Augenblick an, durch lange Zeit, dachte Viktoria nichts noch empfand sie etwas; nur eine ungeheure, von keiner Welle durchbrochene Stille glänzte um sie, bleich und leblos wie Teiche, die stumm im Frühlicht liegen.

      Als sie dann aufwachte und wieder nachzudenken begann, geschah es wie unter einem schweren Mantel, der sie hinderte, sich zu bewegen, und wie Hände unter einer Hülle, die sie nicht abwerfen können, sinnlos werden, verwirrten sich ihre Gedanken. Sie fand nicht mehr in die Wirklichkeit. Daß er sich nicht erschossen hatte, war nicht die Tatsache, daß er lebte, sondern es war etwas in ihrem Dasein, ein Verstummen, ein wieder Sinken, es verstummte etwas in ihr und sank wieder in jene murmelnde Vielstimmigkeit zurück, aus der es sich kaum herausgehoben hatte. Sie hörte sie mit einemmal wieder von allen Seiten. Es war wie ein enger Gang, in dem sie einst lief und dann kroch und dann kam jenes weiter werden, jenes leise heben und sich aufrichten und nun schloß es sich wieder. Ihr war trotz der Stille, als ob Menschen um sie stünden und beständig leise sprächen. Sie verstand nicht, was sie sich sagten. Ihre Sinne waren in ganz dünne Flächen gespannt und diese Stimmen schlugen raschelnd daran wie die Zweige eines wirren Gestrüpps. Fremde Gesichter tauchten auf. Es waren lauter fremde Gesichter, die Tante, Freundinnen, Bekannte, sie wußte es wohl, aber doch blieben es fremde Gesichter. Sie bekam plötzlich Angst davor, wie jemand, der fürchtet, streng behandelt zu werden. Sie bemühte sich an ihn zu denken, aber sie konnte sich nicht mehr vorstellen, wie er aussah, er verfloß ihr mit den anderen; es fiel ihr ein, daß er von ihr weggegangen war, ganz, ganz ferne, wie unter eine Menge, es war ihr, als ob irgendwo da heraus seine Augen listig und versteckt auf sie schauen müßten. Sie spannte sich ganz klein davor zusammen, sie wollte sich schließen und versuchte noch einmal jene leise Deutlichkeit wieder zu gewinnen, mit der sie sich selbst empfunden hatte. Aber sie fand auch sich nicht mehr und allmählich verlor sie überhaupt das Gefühl, etwas Wirkliches zu sein. Sie konnte sich nicht mehr von den Andern unterscheiden und alle diese Gesichter waren kaum mehr von einander zu unterscheiden, sie tauchten auf und verschwanden ineinander, sie waren ihr eklig wie ungekämmtes Haar und doch verstrickte sie sich in ihnen, sie antwortete ihnen, die sie nicht verstand, sie hatte nur das eine Bedürfnis, etwas zu tun, es war eine Unruhe in ihr, als ob unter ihrer Haut tausende kleine Tiere heraus wollten, und immer neue Gesichter tauchten auf und immer die alten, das ganze Haus war voll von dieser Unruhe.

      Sie sprang auf und tat ein paar Schritte. Und plötzlich schwieg

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