Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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etwas gespenstisch Erwachtes, das wie ein demütig haftender Schatten den Füßen des Geliebten folgt. Und wenn Demeter in einer Liebe auch diesen Geschmack der Überreife und schon mit dem Anfang beginnenden Vernichtung zu schätzen wußte, es galt ihm das doch als etwas, das man heimlich wie eine üble Anwandlung befriedigt, und er vermochte sich nicht vorzustellen, wie man es bis zum Selbstmord ernst nehmen könne.

      Trotzdem ahnte, – vielleicht durch den Eindruck des ganzen Hauses verstärkt, – selbst er etwas von der eigenartigen Schönheit Viktorias, das ihm Zurückhaltung aufzwang. Als er gekommen war, wäre er beinahe nicht eingelassen worden. Die alte Dame, Viktorias Tante wollte durchaus nicht oder sie hätte wenigstens gern eine Exzellenz gehabt und nur als der Bürgermeister selbst sie zu bitten kam und persönlich seine Gründe anführte, gab sie nach, und Demeter wurde, noch immer ein wenig übel, im Hause aufgenommen. Sein Bursche bekam durch einen alten Diener, was er brauchte, sonst sah er niemanden, und Demeter selbst hatte man in der kleinen nie benützten Bibliothek einquartiert, die neben den Empfangszimmern lag; dort standen seine Reiterstiefel auf dem alten glänzenden Parkett, zwischen den zierlichen Füßen eines Empiretischleins, auf dem über ihrer schweren, ritterlichen Wucht eine goldene Standuhr leise und unaufhörlich pendelte. Und etwas von diesem Polternden, Knarrenden, von einem Gefühl wie ein grob hineingetriebener Keil wurde auch Demeter nicht los, seit er in diesem Hause war. Wenn er noch so vorsichtig ging, dröhnten in dem schweigenden Gebäude die Dielen und Stiegen, und die Türen lärmten in seiner Hand. Er erschrak häufig über sich selbst und verlor zuweilen fast seine Sicherheit. Die alte Dame zwar fürchtete er nicht zu stören, sie lebte abseits in dem Flügel des Hauses, der nach dem Garten zu stand, und er sah sie niemals, aber Viktoria begegnete er öfters. Er hatte dann immer den Eindruck, daß sie wie lautlos vor ihm aus dem Dunkel auftauchte, und daß es sich hinter ihr ganz sonderbar ohne Bewegung wieder zusammenschloß. Und Demeter blieb manchmal stehen und empfand etwas wie Scheu und war nicht mehr sicher, ob sein Urteil, daß es sich hier bloß um das stille, machtlose Welken eines alternden Mädchens handle, auch richtig sei. Ja es ereignete sich, daß er etwas wie eine machtvolle, ungewöhnliche Sinnlichkeit gleich einer fremden Krankheit an sich vorbeistreifen fühlte. Viktoria war hoch gewachsen und hatte eine breite, ein wenig flache Brust, über ihrer niedrigen, wölbungslosen Stirn waren die Haare dicht zusammengeschlossen, ihr Mund war groß und wollüstig und ein leichter Flaum schwarzer Haare bedeckte ihre Arme. Wenn sie ging, hielt sie den Kopf gesenkt, wie wenn der feine Hals ihn nicht tragen könnte, ohne sich zu biegen, und den Leib drückte sie ein wenig hervor. Es war eine eigentümliche, fast schamlos gleichgültige Sanftmut in ihrer Art zu gehen und eben so sanft und leise übersah sie den Offizier und dankte seinem Gruße, wie wenn er etwas sehr Fernes wäre.

      «… Ob sie nicht doch eine Heimlichtuerin ist», schloß Demeter ärgerlich und fast ein wenig eingeschüchtert sein Nachdenken und warf mit einem mißmutigen Ruck seine Reisetasche zu. –

      Viktoria hatte indessen den Scheidenden ein Stück seines Weges zurückbegleitet. Etwas Undurchsichtiges, das bisher wie ein dunkler Nebel auf ihrem Leben gelastet hatte, war in Bewegung geraten und Formen unbekannter Glieder drückten sich wie in einem Schleier ab und verschwanden wieder. Dinge, die sie noch nie gesehen hatte, geschahen. Ihr Leben, das bisher wie ein schmaler, trüber Weg gewesen war, hatte sich plötzlich in die weite Pracht eines Gartens verwandelt. Alles, was sie tat, geschah, wie wenn es gleich schweren, kostbaren Gewändern an ihr herabfiele, an ihren Bewegungen hing das Spiel edler goldener Ketten, – oder alles, was sie tat, geschah wie durch einen weiten Ausblick gesehen; es war von jenem leise mitschwingenden Verständnis begleitet, das die Handlungen auf einer Bühne zusammendrängt und wie zu Zeichen eines im flachen Kieselgeflecht des Bodens sonst unsichtbaren Weges auftürmt. Aber alles war noch Ahnung. Nichts noch hob so sein Gesicht hervor, daß die Finger es halten konnten, alles wich noch zwischen den leise tastenden Händen aus. Es war bloß nicht mehr jene schwarze, klebrige Masse, die stumpf und häßlich alle Formen verwischt hatte, es lag nur mehr wie eine ganz dünne, seidene Maske über der Welt, hell und silbergrau und bewegt wie vor dem Zerreißen. Und sie spannte ihre Augen und es flimmerte ihr davor, wie wenn sie von unsichtbaren Stößen gerüttelt würde.

      Lange schon war diese Bewegung dahergekommen, Viktoria dachte daran, ob es wohl Liebe sei. Langsam war sie gekommen. Und doch für das Zeitmaß ihres Lebens zu rasch. Das Zeitmaß ihres Lebens war noch langsamer; es war ganz langsam. Es war wie ein langsames Öffnen und wieder Schließen der Augen und dazwischen wie ein Blick, der sich an den Dingen nicht halten kann, abgleitet, langsam, unberührt vorbeigleitet. Mit diesem Blick hatte sie es kommen gesehen. Und sie konnte daher nicht glauben, daß es Liebe sei. Denn sie verabscheute ihn so dunkel wie alles Fremde; ohne Haß, ohne Schärfe, nur wie ein fernes Land, jenseits der Grenze, wo weich und trostlos das eigene mit dem Himmel zusammenfließt. Ihr Leben war freudlos geworden, seit sie so alles Fremde verabscheute, sich still davor zurückzog. Es schien ihr manchmal, daß sie seinen Sinn nicht wüßte, aber seit dieser Mann darin war, dünkte sie, daß sie ihn bloß vergessen hatte; es quälte sie manchmal etwas wie die unter dem Bewußtsein treibende Erinnerung an eine wichtige vergessene Sache.

      Es war irgend einmal, daß sie dem Leben näher stand, es deutlicher spürte, wie mit den Händen oder wie am eigenen Leibe, aber sie wußte nicht mehr, wie und wann das war. Denn seither hatte ein schwaches Alltagsleben sich über diese Eindrücke gelegt und hatte sie verwischt, wie ein matter dauernder Wind Spuren im Sand; nur mehr seine Eintönigkeit hatte in ihrer Seele geklungen, wie ein leise auf und ab schwellendes Summen. Sie kannte keine starken Freuden mehr und kein starkes Leid, nichts, das sich merklich oder bleibend aus dem Übrigen herausgehoben hätte und allmählich war ihr Leben ihr immer undeutlicher geworden. Die Tage gingen einer wie der andere dahin und eines gleich dem anderen kamen die Jahre, sie fühlte wohl noch, daß ein jedes ein wenig hinwegnahm und etwas hinzutat und daß sie sich langsam in ihnen änderte, aber nirgends setzte sich eines klar von dem anderen ab; sie hatte ein unklares, fließendes Gefühl von sich selbst und wenn sie sich innerlich betastete, fand sie nur den Wechsel ungefährer und verhüllter Formen, unverständlich, wie man unter einer Decke etwas sich bewegen fühlt ohne den Sinn zu erraten. Es war wie wenn sie unter einem weichen Tuche lebte oder unter einer Glocke von dünn geschliffenem Horn, die immer undurchsichtiger wurde. Die Dinge traten weiter und weiter zurück und verloren ihr Gesicht, und auch ihr Gefühl von sich selbst sank immer tiefer in die Ferne. Es blieb ein leerer ungeheurer Raum dazwischen und in diesem lebte ihr Körper. Er sah die Dinge um sich, er lächelte, er lebte, aber alles geschah so beziehungslos, und häufig kroch lautlos ein zäher Ekel durch diese Welt, der alle Gefühle wie mit einer Theermaske verschmierte.

      Und dann kam er, der alles besaß, durch die verdämmernde Einöde ihres Lebens. Er ging, und die Dinge ordneten sich unter seinen Augen. Es war, wie wenn er die Welt einatmen und im Leibe halten und von innen spüren könnte und sie dann wieder ganz sacht und vorsichtig vor sich hinstellte, wie ein Künstler, der mit fliegenden Reifen arbeitet; es tat ihr weh, wie schön er war. Sie war eifersüchtig auf ihn, denn unter ihren Augen ordnete sich nichts, und sie hatte zu den Dingen die Liebe einer Mutter für ein Kind, das zu leiten sie zu gering ist. Sie suchte sich in die Höhe zu richten, aber es schmerzte sie, wie wenn ihr Körper krank wäre und sie nicht tragen könnte. Und sie sank langsam wieder in sich zurück und kauerte in ihrer Finsternis und starrte ihn an und empfand dieses sich in sich Verschließen fast wie eine sinnliche Berührung, der sie sich lüstern vor Bewußtsein hingab, es ganz nahe seinen Augen und doch ihm unerreichbar zu tun. Es sträubte sich etwas in ihr wie ein weiches, knisterndes Katzenfell und wie eine kleine glitzernde Kugel ließ sie ihr Nein aus ihrem Versteck heraus und vor seine Füße rollen.

      Und nun war es, wie wenn etwas mit einem leisen Klingen zersprungen wäre und wie aus einer zerbrochen am Boden liegenden Hülle war ihr daraus ein Gefühl von ihr selbst hervorgestiegen; es war plötzlich so fest, daß sie sich wie ein Messer in dem Leben dieses anderen Menschen fühlte. Es war alles klar gegliedert; er wird gehen und sich töten, das war etwas so Wuchtendes, wie ein dunkler schwerer Körper auf der Erde liegt, es war etwas so Unwiderrufliches wie ein Schnitt durch die Zeit, vor dem alles Strömende erstarrte, es sprang dieser Augenblick mit einem plötzlichen Blinken wie ein Schwert aus allen anderen heraus und sie sah ganz deutlich etwas, das man gar nicht sehen kann, wie

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