Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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zu ordnen begannen, wenn er daraufsah; es kam ihr vor, manchmal wenn er über sich erschrocken lächelte, als ob er die Welt einatmen und im Leibe halten und von innen spüren könnte, und wenn er sie dann wieder ganz sacht und vorsichtig vor sich hinstellte, erschien er ihr wie ein Künstler, der einsam für sich mit fliegenden Reifen arbeitet; es war nicht mehr. Es tat ihr bloß weh, mit einer blinden Eindringlichkeit der Vorstellung, wie schön alles in seinen Augen vielleicht war, sie war eifersüchtig auf etwas, das er bloß vielleicht fühlte. Denn obgleich unter ihren Blicken jede Ordnung wieder zerfiel und sie zu den Dingen nur die gierige Liebe einer Mutter für ein Kind hatte, das zu leiten sie zu gering ist, begann ihre müde Lässigkeit jetzt manchmal zu schwingen wie ein Ton, wie ein Ton, der im Ohr klingt, wie ein Ton, der im Ohr klingt und irgendwo in der Welt einen Raum wölbt und ein Licht entzündet, … ein Licht und Menschen, deren Gebärden aus verlängerter Sehnsucht bestehen, wie aus Linien, die über sich hinaus verlängert sich erst weit, weit, fast erst im Unendlichen treffen. Er sagte, es sind Ideale, und da bekam sie Mut, daß es wirklich werden könnte. Und es war vielleicht nur, daß sie sich schon in die Höhe zu richten versuchte, aber es schmerzte sie noch, wie wenn ihr Körper krank wäre und sie nicht tragen könnte.

      Und damals geschah es auch, daß ihr alle andern Erinnerungen einzufallen begannen bis auf die eine. Sie kamen alle und sie wußte nicht warum und fühlte nur an irgend etwas, daß eine noch fehlte und daß es nur diese eine war, um deretwillen alle andern kamen. Und es bildete sich in ihr die Vorstellung, daß Johannes ihr dazu helfen könnte und daß ihr ganzes Leben davon abhinge, daß sie diese eine gewinne. Und sie wußte auch, daß es nicht eine Kraft war, was sie so fühlte, sondern seine Stille, seine Schwäche, diese stille, unverwundbare Schwäche, die wie ein weiter Raum hinter ihm lag, in dem er mit allem, was ihm geschah, allein war. Aber weiter konnte sie es nicht finden und es beunruhigte sie und sie litt, weil ihr immer, wenn sie schon nahe daran zu sein glaubte, davor wieder ein Tier einfiel; es fielen ihr häufig Tiere ein oder Demeter, wenn sie an Johannes dachte, und ihr ahnte, daß sie einen gemeinsamen Feind und Versucher hatten, Demeter, dessen Vorstellung wie ein großes wucherndes Gewächs vor ihrer Erinnerung lag und deren Kräfte an sich sog. Und sie wußte nicht, ob das alles in dieser Erinnerung seinen Grund hatte, die sie nicht mehr kannte, oder in einem Sinn, der sich vor ihr erst bilden sollte. War das Liebe? Es war ein Wandern in ihr, ein Ziehen. Sie wußte es selbst nicht. Es war wie Gehen auf einem Weg, scheinbar einem Ziel zu, mit einer langsam die Schritte zögern lassenden Erwartung, vorher, irgendeinmal, plötzlich einen ganz andern zu finden und zu erkennen.

      Und da verstand er sie nicht und wußte nicht, wie schwer es war, dieses schwankende Gefühl von einem Leben, das sich auf etwas, das sie noch gar nicht kannte, für ihn und sie aufbauen sollte, und begehrte sie mit einer ganz einfachen Wirklichkeit, zur Frau oder irgendwie. Sie konnte es nicht fassen, es erschien ihr sinnlos und im Augenblick fast gemein. Sie hatte niemals ein geradehinzielendes Begehren gespürt, aber nie so sehr wie damals erschienen ihr die Männer nur als ein Vorwand, bei dem selbst man sich nicht aufhalten soll, für etwas anderes, das sich in ihnen nur ungenau verkörpern konnte. Und sie sank plötzlich wieder in sich zurück und kauerte in ihrer Finsternis und starrte ihn an und erstaunt empfand sie dieses sich in sich Verschließen zum erstenmal wie eine sinnliche Berührung, der sie sich lüstern vor Bewußtsein hingab, es ganz nahe seinen Augen und doch ihm unerreichbar zu tun. Es sträubte sich etwas in ihr wie ein weiches knisterndes Katzenfell gegen ihn, und als sähe sie einer kleinen, glitzernden Kugel nach, ließ sie ihr Nein aus ihrem Versteck heraus und vor seine Füße rollen … Und dann schrie sie, als er es zertreten wollte.

      Und da nun, jetzt, als der Abschied schon unwiderruflich zwischen ihnen aufgerichtet stand und mit zwischen ihnen den letzten Weg ging, war es geschehen, daß plötzlich, mit voller Bestimmtheit, in Veronika auch diese verlorenste Erinnerung emporsprang. Sie fühlte nur, daß sie es sei, und wußte nicht woran und war ein wenig enttäuscht, weil sie an nichts ihres Inhalts erkannte, warum sie es sei; und fand sich nur wie in einer erlösenden Kühle. Sie fühlte, daß sie schon einmal in ihrem Leben so wie jetzt vor Johannes erschrocken war, und verstand nicht, wie es zusammenhing, daß ihr das so viel bedeutet haben konnte, und was es in Zukunft nun sollte, – aber es war ihr mit einemmal, als stünde sie wieder auf ihrem Wege, dort, auf dem gleichen Punkt, wo sie ihn einst verlor, und sie empfand, daß in diesem Augenblicke das wirkliche Erlebnis, das Erlebnis an dem wirklichen Johannes, seinen Scheitelpunkt überschritten hatte und beendigt war. Sie hatte in diesem Augenblick ein Gefühl wie ein Auseinanderfallen; obwohl sie ganz nahe beieinander standen, war ihr so schräg, als sänken und sänken sie voneinander weg; Veronika sah nach den Bäumen seitlich ihres Wegs, sie standen gerader und aufrechter, als ihr natürlich geschienen hätte. Und da glaubte sie, ihr Nein, das sie vordem nur verwirrt und aus Ahnung gesprochen hatte, erst vollends zu fühlen, und begriff, daß er seinethalben jetzt fortfuhr und es doch nicht wollte. Und es wurde ihr eine Weile lang dabei so tief und schwer, wie zwei Körper nebeneinander liegen, nur mehr so eins und das andre, getrennt und traurig und jeder nur das, was er für sich ist, weil es ja doch beinahe Hingabe geworden wäre, was sie fühlte; und es kam irgendetwas über sie, das sie klein und schwach und zu nichts machte wie ein Hündchen, das klagend auf drei Beinen hinkt, oder wie ein zerschlissenes Fähnchen, das hinter einem Lufthauch daherbettelt, so ganz löste es sie auf und es war eine Sehnsucht in ihr, ihn zu halten, wie eine weiche wunde Schnecke, die mit leisem Zucken nach einer zweiten sucht, an deren Leib es sie verlangt, aufgebrochen und sterbend zu kleben.

      Aber da sah sie ihn an und wußte kaum, was sie dachte, und ahnte, daß das, was sie einzig davon wußte, vielleicht – diese plötzliche Erinnerung, die blank und allein in ihr lag – überhaupt nichts war, das man aus sich selbst begreifen konnte, sondern nur dadurch etwas, daß es – irgendeinmal durch eine große Angst an einer Vollendung gehindert – seither verhärtet und verschlossen sich in ihr verbarg und einem andern, das es hätte werden können, den Weg versperrte und aus ihr herausfallen mußte wie ein fremder Körper. Denn schon begann ihr Gefühl für Johannes zu sinken und abzuströmen, – in breiter, befreiter Flut brach etwas lange wie tot und machtlos darunter Gefangnes aus ihr heraus und riß es mit sich, – und an seiner Stelle wölbte sich weit aus der in ihr bloßgelegten Ferne ein Leuchten, etwas pfeilerlos Steigendes, etwas endlos Gehobenes und wie durch Traumnetze zusammenhangverloren Glitzerndes empor.

      Und das Gespräch, das sie außen noch führten, wurde kurz und sickernd, und während sie sich noch damit abmühten, fühlte Veronika, wie es schon zwischen den Worten zu etwas anderem wurde, und wußte endgültig, daß er fortreisen mußte, und brach es ab. Es erschien ihr alles, was sie noch sagten und versuchten, umsonst getan, da es entschieden war, daß er weggehen und nicht mehr wiederkehren sollte, – und weil sie empfand, daß sie gar nicht mehr wollte, was sie sonst vielleicht doch noch getan hätte, gewann das davon Übriggebliebene mit einer jähen Wendung einen starren, unverständlichen Ausdruck; sie wußte kaum einen Sinn und eine Begründung dafür, es war schnell und hart, eine Tatsache, ein Gefaßt-und Geworfenwerden.

      Und wie er da in dem Gewirr seiner Worte noch immer vor ihr stand, begann sie das Unzureichende seiner Gegenwart, seines wirklichen Bei ihr seins zu fühlen, es drückte schwer auf etwas in ihr, das sich mit der Erinnerung an ihn schon irgendwohin erheben wollte, und sie stieß überall an seine Lebendigkeit, wie man an einen toten Körper stößt, der starr und feindselig und allen Bemühungen widerstehend ist, ihn zur Seite zu schieben. Und wie sie merkte, daß er sie noch immer so dringend ansah, erschien ihr Johannes wie ein großes erschöpftes Tier, das sie nicht von sich abwälzen konnte, und sie fühlte ihre Erinnerung in sich wie einen kleinen, heißen, umklammerten Gegenstand in Händen und mit einemmal hätte es ihr beinahe die Zunge gegen ihn herausgestreckt und war ein sonderbar zwischen Flucht und Lockung geteiltes Empfinden, fast wie die Bedrängnis eines Weibchens, das nach seinem Verfolger beißt.

      In diesem Augenblick aber hub wieder der Wind an und ihr Gefühl weitete sich in ihm und löste sich von allem harten Widerstand und Haß, den es ohne ihn aufzugeben wie etwas sehr Weiches in sich einsog, bis von ihm nur ein ganz verlassenes Entsetzen zurückblieb, in dem sich Veronika, während sie es empfand, gleichsam selbst zurückließ; und alles andere ringsumher ward zitternder vor Ahnung. Das Undurchsichtige, das bisher wie ein dunkler Nebel auf ihrem Leben gelastet hatte,

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