Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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sein Gesicht hervor, daß die Finger es halten konnten, alles wich noch zwischen den leise tastenden Worten aus und von nichts konnte man sprechen, aber es war jedes Wort, das nun nicht mehr gesagt wurde, schon von ferne wie durch einen weiten Ausblick gesehn und von jenem merkwürdig mitschwingenden Verstehen begleitet, das alltägliche Handlungen auf einer Bühne zusammendrängt und zu Zeichen eines im flachen Kieselgeflecht des Bodens sonst nicht sichtbaren Weges auftürmt. Wie eine ganz dünne, seidene Maske lag es über der Welt, hell und silbergrau und bewegt wie vor dem Zerreißen; und sie spannte ihre Augen und es flimmerte ihr davor, wie wenn sie von unsichtbaren Stößen gerüttelt würde.

      So standen sie nebeneinander, und als der Wind immer voller über den Weg kam und wie ein wunderbares, weiches, duftiges Tier sich überall hin legte, über das Gesicht, in den Nacken, in die Achselhöhlen …, und überall atmete und überall weiche samtene Haare ausstreckte und sich bei jedem Erheben der Brust enger an die Haut drückte …, löste sich beides, ihr Entsetzen und ihre Erwartung, in einer müden, schweren Wärme, die stumm und blind und langsam wie wehendes Blut um sie zu kreisen begann. Und sie mußte plötzlich an etwas denken, was sie einmal gehört hatte, daß auf den Menschen Millionen kleiner Wesen siedeln und mit jedem Atmen ungezählte Ströme von Leben kommen und gehn, und sie zauderte eine Weile erstaunt vor diesem Gedanken und es ward ihr so warm und dunkel wie in einer großen, purpurnen Woge, aber dann fühlte sie nahe in diesem heißen Blutstrom ein zweites und wie sie aufsah, stand er vor ihr und seine Haare wehten im Winde zu ihren zitternden Haaren herüber und sie berührten einander schon ganz leise mit ihren bebenden Spitzen; da packte sie eine knirschende Lust, wie wenn sich taumelnd zwei Schwärme vermengen, und sie hätte ihr Leben aus sich herausreißen mögen, um in heißer, schützender Finsternis ihn rasend vor Trunkenheit ganz damit zu überstäuben. Aber ihre Körper standen steif und starr und ließen bloß mit geschlossenen Augen geschehen, was da heimlich vor sich ging, als dürften sie es nicht wissen, und nur immer leerer und müder wurden sie und dann sanken sie ein wenig zusammen, ganz sanft und ruhig und so sterbensstill zärtlich, wie wenn sie ineinander verbluten würden.

      Und wie der Wind sich hob, war ihr, als stiege sein Blut an ihr unter den Röcken hinauf, und es füllte sie bis zum Leibe mit Sternen und Kelchen und Blauem und Gelbem und mit feinen Fäden und tastendem Berühren und mit einer reglosen Wollust, wie wenn Blumen im Winde stehn und empfangen. Und noch als die untergehende Sonne durch den Rand ihrer Röcke schien, stand sie ganz träg und still und schamlos ergeben, als ob man es sehen könnte. Und nur ganz, ganz vergessen dachte sie schon an jene größere Sehnsucht, die sich noch erfüllen sollte, aber das war in diesem Augenblick bloß so leise traurig, wie wenn weit weg die Glocken läuten; und sie standen nebeneinander und hoben sich groß und ernst – wie zwei riesige Tiere mit gebogenen Rücken in den Abendhimmel.

      Die Sonne war untergegangen; Veronika ging nachdenklich und allein den Weg zurück; zwischen Wiesen und Feldern. Wie aus einer zerbrochen am Boden liegenden Hülle war ihr aus diesem Abschied ein Gefühl von sich emporgestiegen; es war plötzlich so fest, daß sie sich wie ein Messer in dem Leben dieses andern Menschen fühlte. Es war alles klar gegliedert, er ging und würde sich töten, sie prüfte es nicht, es war etwas so Wuchtendes wie ein dunkler, schwerer Gegenstand auf der Erde liegt. Es erschien ihr als etwas so Unwiderrufliches wie ein Schnitt durch die Zeit, vor dem alles Frühere unverrückbar erstarrt war, es sprang dieser Tag mit einem plötzlichen Blinken wie ein Schwert aus allen anderen heraus, ja ihr war, als sähe sie körperlich in der Luft, wie die Beziehung ihrer Seele zu dieser andern Seele zu etwas Letztem, Unabänderlichem geworden war, das wie ein Aststumpf in die Ewigkeit ragte. Sie fühlte zuweilen Zärtlichkeit für Johannes, dem sie dies dankte, dann wieder nichts, nur ihr Schreiten. Eine in die Einsamkeit drängende Bestimmtheit ohne anderes Ziel trieb sie; zwischen Wiesen und Feldern. Die Welt wurde abendlich klein. Und allmählich begann eine seltsame Lust Veronika zu tragen wie eine leichte, grausame Luft, die sie mit bebendem Wittern einatmete, die sie erfüllte und hob und in der ihre Gebärden ausfuhren, in die Ferne griffen, in der sich ihre Schritte mit einem leisen Druck vom Boden lösten und über Wälder hoben.

      Es war ihr fast übel vor Leichtigkeit und Glück. Diese Spannung wich erst von ihr, als sie die Hand auf das Tor ihres Hauses legte. Es war ein kleines, rundes, festgefügtes Tor; als sie es schloß, legte es sich undurchdringlich vor und sie stand im Dunkel wie in einem stillen, unterirdischen Wasser. Sie schritt langsam vorwärts und fühlte dabei, ohne sie zu berühren, die Nähe der kühlen sie umschließenden Wände; es war ein sonderbar heimliches Gefühl, sie wußte, daß sie bei sich war.

      Dann tat sie still, was sie zu tun hatte, und der Tag lief zu Ende wie alle andern. Von Zeit zu Zeit tauchte Johannes zwischen ihren Vorstellungen auf, dann sah sie nach der Uhr und wußte, wo er sein mußte. Einmal aber strengte sie sich an, lange nicht an ihn zu denken, und als sie es das nächstemal tat, mußte der Zug schon durch die Nacht der Bergtäler nach Süden rollen und unbekannte Gegenden schlossen schwarz ihr Bewußtsein.

      Sie legte sich zu Bett und schlief rasch ein. Aber sie schlief leicht und ungeduldig wie jemand, dem am nächsten Tag etwas Ungewöhnliches bevorsteht. Es war unter ihren Augenlidern eine beständige Helligkeit; gegen den Morgen zu wurde sie noch lichter und schien sich zu dehnen, sie wurde unsagbar weit: als Veronika aufwachte, wußte sie: das Meer.

      Jetzt mußte er es schon vor sich sehen und hatte nichts Notwendiges mehr zu tun als seinen Entschluß auszuführen. Er würde wohl hinausrudern und schießen. Aber Veronika wußte nicht wann. Sie begann zu mutmaßen und Gründe gegeneinanderzustellen. Wird er gleich von der Bahn ins Boot? Wird er auf den Abend warten? Wenn das Meer ganz ruhig daliegt und wie mit großen Augen einen ansieht? Sie ging den ganzen Tag in einer Unruhe dahin, wie wenn beständig feine Nadeln gegen ihre Haut schlügen. Zuweilen tauchte wieder irgendwo – aus einem goldenen Rahmen, der an der Wand aufleuchtete, aus dem Dunkel des Treppenhauses oder aus dem weißen Leinen, an dem sie stickte, – Johannes’ Gesicht auf. Bleich und mit karmoisinroten Lippen, … verzerrt und aufgedunsen vom Wasser, … oder bloß wie eine schwarze Locke über einer eingefallenen Stirn. Hie und da war sie dann wie von treibenden Bruchstücken einer plötzlich zurückflutenden Zärtlichkeit erfüllt. Und als es Abend wurde, wußte sie, daß es geschehen sein müsse.

      Fern war eine Ahnung in ihr, daß alles sinnlos sei, diese Erwartung und dieses Gebaren, etwas ganz Ungewisses wie wirklich zu behandeln. Zuweilen sprang hastig ein Gedanke durch sie, Johannes wäre nicht tot, und riß wie an einer weichen Decke und ein solches Stück Wirklichkeit sprang auf und sank wieder zusammen. Sie fühlte dann, lautlos und unscheinbar glitt draußen der Abend um das Haus, bloß wie: irgendeinmal kam eine Nacht, kam und ging; sie wußte es. Aber plötzlich erstarb dies. Eine tiefe Ruhe und ein Gefühl des Geheimnisses legte sich langsam in vielen Falten über Veronika.

      Und es kam die Nacht, diese eine Nacht ihres Lebens, wo das, was sich unter der Dämmerdecke ihres langen kranken Daseins gebildet hatte und durch eine Hemmung von der Wirklichkeit abgehalten, wie ein fressender Fleck zu seltsamen Figuren unvorstellbarer Erlebnisse auswuchs, die Kraft hatte, sich endlich bewußt in ihr emporzuheben.

      Sie zündete, von etwas Unbestimmtem getrieben, in ihrem Zimmer alle Lichter an und saß zwischen ihnen, reglos in der Mitte des Raums; sie holte Johannes’ Bild und stellte es vor sich hin. Aber es schien ihr nicht mehr, daß das, worauf sie gewartet hatte, das Geschehen mit Johannes sei, auch nichts in ihr, keine Einbildung, sondern sie empfand mit einemmal, daß ihr Gefühl von ihrer Umgebung sich verändert hatte und hinausgedehnt in ein unbekanntes Gebiet zwischen Träumen und Wachen.

      Der leere Raum zwischen ihr und den Dingen verlor sich und war seltsam beziehungsgespannt. Die Geräte wuchteten wie unverrückbar auf ihren Plätzen, – der Tisch und der Schrank, die Uhr an der Wand, – ganz erfüllt von sich selbst, von ihr getrennt und so fest in sich geschlossen wie eine geballte Faust; und doch waren sie manchmal wieder wie in Veronika oder sie sahen wie mit Augen auf sie, aus einem Raum, der wie eine Glasscheibe zwischen Veronika und dem Raum lag. Und sie standen da, als ob sie viele Jahre nur auf diesen Abend gewartet hätten, um zu sich zu finden, so wölbten und bogen sie sich in die Höhe, und unaufhörlich strömte dieses Übermäßige von ihnen

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