Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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eigentlich müßten Sie sich wenigstens für Augenblicke davon freimachen und auch den großen Sturm erleben.» Wiederum schwieg Claudine. Sie fühlte, wie er ihr Schweigen mißdeuten mußte, aber es tat ihr eigenartig wohl. Daß es etwas in ihr gab, das sich nicht in Handlungen ausdrücken ließ und von Handlungen nichts erleiden konnte, das sich nicht verteidigen konnte, weil es unter dem Bereich der Worte lag, das um verstanden zu werden geliebt werden mußte, wie es sich selbst liebte, etwas das sie nur mit ihrem Mann gemeinsam hatte, empfand sie stärker bei diesem Schweigen; so war es eine innere Vereinigung, während sie die Oberfläche ihres Wesens diesem Fremden überließ, der sie verunstaltete.

      In solcher Weise gingen sie und unterhielten sich. Und in ihrem Gefühl war dabei ein Hinüberbeugen, schwindelnd, als empfände sie dann die wunderbare Unbegreiflichkeit des zu ihrem Geliebten Gehörens tiefer. Manchmal schien ihr, daß sie sich schon ihrem Begleiter anpaßte, mochte sie auch noch für einen andern scheinen, die gleiche zu sein, und es kam ihr manchmal vor, als erwachten Scherze, Einfälle und Bewegungen noch aus ihrer ersten Frauenzeit in ihr, Dinge, denen sie sich längst entwachsen glaubte; dann sagte er: gnädige Frau, Sie sind geistreich.

      Wenn er so sprach und neben ihr schritt, wurde sie gewahr, daß seine Worte in einen ganz leeren Raum hinausgingen, den sie mit sich allein anfüllten. Und allmählich entstanden darin die Häuser, an denen sie vorbeischritten, um ein weniges anders und verschoben, wie sie sich in den Scheiben von Fenstern spiegeln, und die Gasse, in der sie waren, und nach einer Weile sie, auch etwas verändert und verzerrt, aber doch so, daß sie sich noch erkannte. Sie fühlte die Gewalt, die von dem alltäglichen Menschen ausging, – es war ein unmerkliches Verschieben der Welt und Vorsichhinrücken, eine einfache Kraft der Lebendigkeit, sie strahlte von ihm aus und bog die Dinge in ihre Oberfläche. Es verwirrte sie, daß sie auch ihr Bild in dieser spiegelhaft gleitenden Welt gewahrte; ihr war, wenn sie jetzt noch etwas nachgäbe, müßte sie plötzlich ganz dieses Bild sein. Und einmal sagte er plötzlich: «Glauben Sie mir, es ist nur Gewohnheit. Hätten Sie mit siebzehn oder achtzehn Jahren – ich weiß es nicht – einen andern Mann kennen gelernt und geheiratet, würde Ihnen heute der Versuch, sich als die Frau ihres jetzigen Gemahls zu denken, genau ebenso schwer fallen.»

      Sie waren vor die Kirche gelangt, groß und allein standen sie auf dem weiten Platz; Claudine sah auf, die Gebärden des Ministerialrats ragten aus ihm heraus in die Leere. Da war ihr mit einem Schlag einen Augenblick lang, als ob tausend zu ihrem Körper aneinandergefügte Kristalle sich sträubten; ein umhergeworfenes, unruhiges, zersplittert dämmerndes Licht stieg in ihrem Leib empor und der Mensch, den es traf, sah darin mit einemmal anders aus, alle seine Linien kamen auf sie zu, zuckend wie ihr Herz, alle seine Bewegungen fühlte sie von innen über ihren Körper gehn. Sie wollte sich zurufen, wer er sei, aber das Gefühl blieb wie ein wesenloser Schein ohne Gesetze, eigentümlich schwebte es in ihr, als ob es nicht zu ihr gehörte.

      Im nächsten Augenblick war nur mehr ein Lichtes, Nebelndes, Entschwindendes ringsum. Sie blickte um sich; still und gerade standen die Häuser um den Platz, am Turm schlug die Uhr. Rund und metallisch sprangen die Schläge aus den Luken der vier Mauern, lösten sich im Fallen auf und flatterten über die Dächer. Claudine hatte die Vorstellung, daß sie dann weit und klingend über das Land rollen mußten, und sie fühlte mit einemmal schaudernd: Stimmen gehen durch die Welt, vieltürmig und schwer wie dröhnende Städte aus Erz, etwas, das nicht Verstand ist … eine unabhängige, unfaßbare Welt des Gefühls, die sich nur willkürlich, zufällig und lautlos flüchtig mit der der täglichen Vernunft verbindet, wie jene grundlos tiefen, weichen Dunkelheiten, die manchmal über einen schattenlosen, starren Himmel ziehn.

      Es war, als stünde etwas um sie und sähe sie an. Sie fühlte die Erregung dieses Menschen wie etwas Brandendes in einer sinnentleerten Weite, etwas finster, einsam sich Schlagendes. Und allmählich ward ihr, es sei, was dieser Mensch von ihr begehrte, diese scheinbar stärkste Handlung, etwas ganz Unpersönliches; es war nichts als dieses Angesehenwerden, ganz dumm und stumpf, wie Punkte fremd im Raum einander ansehn, die irgend etwas Ungreifbares zu einem zufälligen Gebilde vereint. Sie schrumpfte darunter ein, es drückte sie zusammen, als wäre sie selbst solch ein Punkt. Sie empfand dabei ein sonderbares Gefühl von sich, es hatte nichts mehr mit der Geistigkeit und dem Selbstgewählten ihres Wesens zu tun und war doch noch das gleiche wie sonst. Und mit einemmal entschwand ihr das Bewußtsein, daß dieser Mensch vor ihr von häßlicher Alltäglichkeit des Geistes war. Und ihr wurde, als stünde sie weit draußen im Freien, und um sie standen die Töne in der Luft und die Wolken am Himmel still und gruben sich in ihren Platz und Augenblick hinein und sie war auch nicht mehr etwas andres als sie, etwas Ziehendes, Hallendes, … sie glaubte, die Liebe der Tiere verstehen zu können … und der Wolken und Geräusche. Und fühlte die Augen des Ministerialrats die ihren suchen … und erschrak und verlangte nach sich und spürte plötzlich ihre Kleider wie etwas um die letzte ihr von sich gebliebne Zärtlichkeit Geschloßnes und fühlte darunter ihr Blut, sie glaubte seinen scharfen, zitternden Duft zu riechen, und hatte nichts als diesen Körper, den sie preisgeben sollte, und dieses geistigste, wirklichkeitsübersehnende Gefühl von Seele als ein Gefühl von ihm – diese letzte Seligkeit – und wußte nicht, wurde in diesem Augenblick ihre Liebe zum äußersten Wagnis oder verblaßte sie schon und es öffneten sich ihre Sinne wie neugierige Fenster?

      Sie saß dann im Speisezimmer. Es war Abend. Sie fühlte sich einsam. Eine Frau sprach zu ihr herüber: «Ich habe heute nachmittag Ihr Töchterchen gesehen, als es auf Sie wartete, es ist ein reizendes Kind, Sie haben gewiß viel Freude an ihm.» Claudine war an diesem Tag nicht wieder im Institut gewesen, aber es war ihr unmöglich zu antworten, sie schien plötzlich nur mit irgendeinem empfindungslosen Teil von sich, mit den Haaren oder den Nägeln oder als hätte sie einen Leib aus Horn, unter diesen Menschen zu sein. Dann entgegnete sich doch irgend etwas und hatte dabei die Vorstellung, daß alles, was sie sagte, sich wie in einem Sack oder in einem Netz verstrickte; ihre eigenen Worte erschienen ihr fremd zwischen den fremden, wie Fische an den feuchtkalten Leibern anderer Fische zappelten sie in dem unausgesprochenen Gewirr der Meinungen.

      Es faßte sie ein Ekel. Sie fühlte wieder, daß es nicht auf das ankam, was sie von sich sagen, mit Worten erklären konnte, sondern daß alle Rechtfertigung in etwas ganz anderem lag, – einem Lächeln, einem Verstummen, einem inneren Sichhören. Und sie empfand plötzlich eine unsagbare Sehnsucht nach jenem einzigen Menschen, der auch so einsam war, den auch niemand hier verstehen würde und der nichts hatte als jene weiche Zärtlichkeit voll gleitender Bilder, die wie ein nebliges Fieber den harten Stoß der Dinge auffängt, das alles äußere Geschehen groß, gedämpft und flächenhaft zurückläßt, während innen alles in dem ewigen, geheimnisvollen, in allen Lagen ruhenden Gleichgewicht des Beisichseins schwebt.

      Während aber sonst in ähnlicher Stimmung ein solches Zimmer mit Menschen sich wie eine einzige heiße, schwere, kreisende Masse um sie schloß, war hier mitunter ein heimliches Stillstehn und Auslassen und auf seine Plätze Springen. Und mürrisch sie Abwehren. Ein Schrank, ein Tisch. Es geriet zwischen ihr und diesen gewohnten Dingen etwas in Unordnung, sie offenbarten etwas Ungewisses und Wankendes. Es war plötzlich wieder jene Häßlichkeit wie auf der Reise, keine einfache Häßlichkeit, sondern es griff ihr Gefühl gleich einer Hand durch die Dinge hindurch, wenn es sie anfassen wollte. Es taten sich Löcher auf vor ihrem Gefühl, als ob – seit jene letzte Sicherheit in ihr verträumt sich anzustarren begonnen hatte – in einer sonst nicht wahrnehmbaren Einbettung der Dinge in ihr Empfinden sich etwas gelockert hätte, und statt eines verketteten Klingens von Eindrücken wurde durch diese Unterbrechungen die Welt um sie wie ein unendliches Geräusch.

      Sie fühlte, wie dadurch etwas in ihr entstand, wie wenn man am Meer geht, ein Sichuneindrückbarfühlen in dieses Tosen, das jedes Tun und jeden Gedanken bis auf den Augenblick wegreißt, und allmählich ein Unsicherwerden und ein langsames Sich nicht mehr begrenzen können und -spüren und ein Selbstverfließen, – in einen Wunsch zu schreien, eine Lust nach unglaublich maßlosen Bewegungen, in irgendeinen wurzellos aus ihr emporwachsenden Willen etwas zu tun, ohne Ende, nur um sich daran zu empfinden; es lag eine saugende, schmatzend verwüstende Kraft in diesem Verlorengehn, wo jede Sekunde wie eine wilde, abgeschnittene, verantwortungslose Einsamkeit ohne Gedächtnis

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