Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman. Leni Behrendt
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Einfluß hatte Mechthild auf die selbstherrliche kleine Person ja nie besessen, weil der Gatte ihrer Erziehung ständig entgegengearbeitet. Und als ihr diese bei der damals Zwölfjährigen allein zufiel, konnte sie noch kaum etwas nachholen, was solang versäumt worden war. Eine straffere Hand als die der gütigen Mutter hätte da vielleicht noch etwas ausrichten können. Daher trug sich Mechthild eine Zeitlang ernstlich mit dem Gedanken, ihrem eigenwilligen Kinde einen zweiten Vater zu geben, und zwar den Großkaufmann Holger Hadebrandt, den sie durch Zufall kennenlernte. Als sie nämlich vor ungefähr drei Jahren an einem Wintertag das Haus, in dem sie wohnte, betreten wollte, sah sie eine Dame aus dem Geschäft, das nebenan lag, kommen und auf dem glatten Weg ausgleiten. Gefällig, wie Mechthild stets war, eilte sie hinzu, um der Unbekannten aufzuhelfen. Dabei stöhnte diese vor Schmerzen, weil sie sich den Fuß verletzt hatte.
»Um Gott, gnädige Frau, das ist ja furchtbar«, sagte Mechthild erschrocken. »Vielleicht können wir ganz langsam in den Laden nebenan gehen, von dem aus ich fernmündlich ein Auto bestellen werde, das Sie nach Hause bringt. Stützen Sie sich nur tüchtig auf mich, ich halte es aus.«
»Danke, liebes Kind, Sie sind sehr gütig. Wenn ich mich an Ihnen festhalten kann, ist der Schmerz erträglich. Mein Auto muß nämlich jeden Augenblick hier sein. Der Chauffeur ist nur zum Tanken gefahren, während ich meine Einkäufe machte.«
Und tatsächlich kam der Wagen schon wenige Minuten später. Der Chauffeur brachte seine Herrin mit Mechthilds Hilfe so unauffällig und geschickt im Auto unter, daß die Straßenpassanten nichts davon merkten, sondern achtlos vorübergingen. Mechthild wollte sich verabschieden, doch die Dame hielt sie zurück.
»Machen Sie das Maß Ihrer Güte voll, mein liebes Kind. Steigen Sie bitte mit ein, damit ich mich an Sie lehnen kann.«
Dazu war die junge Frau gern bereit. Sie leistete der Verletzten Hilfestellung. So gut es gehen wollte. Bald war eine Villa erreicht, die ein wenig außerhalb der Stadt lag. Der Chauffeur eilte in das schmucke Gebäude und kam gleich darauf mit einem Herrn wieder, der hastig den Schlag aufriß.
»Muttchen, was machst du bloß für Sachen!« sagte er erschrocken. »Komm, leg deine Arme um meinen Hals, dann werde ich dich tragen, so behutsam ich nur kann.«
Während die Dame der Aufforderung ihres Sohnes nachkam, schlüpfte Mechthild von der anderen Seite aus dem Auto und eilte auf schnellstem Wege nach Hause. Sie hatte am anderen Tage den Vorfall bereits vergessen und war überrascht, als sie auf ein Klingelzeichen die Korridortür öffnete und der Sohn der Verletzten, der sie gestern Hilfe geleistet, vor ihr stand und sich höflich verneigte.
»Verzeihung«, sagte eine
dunkle, klangvolle Stimme, die sich sofort in ihr Ohr schmeichelte. »Sind Sie die Dame, die meine Mutter gestern so gütigst betreut hat?«
»Ja. Es geschah von Herzen gern.«
»Darf ich mich bei Ihnen bedanken?«
»Wenn es sein muß«, lächelte sie ihr anmutiges Lächeln, das ihr rasch viele Herzen gewann. »Wollen Sie bitte nähertreten.«
»Wenn ich darf, mit Vergnügen.«
Bevor er im Zimmer den ihm angewiesenen Platz nahm, stellte er sich vor:
»Holger Hadebrandt.«
»Und ich heiße Mechthild Runard. Wie geht’s Ihrer Frau Mutter?«
»Danke – besser, als zu befürchten war. Sie ist nur recht unzufrieden, daß ihre gütige Helferin sich davongeschlichen hat, ohne ihren Dank entgegenzunehmen. Daher beschwor sie mich, Sie unter allen Umständen ausfindig zu machen, gnädige Frau. Allein, das schien nicht so einfach. Wohl konnte meine Mutter Ihr Aussehen beschreiben, doch das war sehr wenig, um Sie in dieser nicht so kleine Stadt zu finden. Zum Glück hatte Mutter bemerkt, welches Haus Sie betreten wollten. Also bin ich nach dem Geschäft gegangen, vor dem der kleinen Unfall geschah, beschrieb dort Ihr Äußeres, man wies mich hierher – und da bin ich«, schloß er mit seinem warmen Lachen.
Während er sprach, hatte Mechthild ihn unauffällig betrachtet. Keine alltägliche Erscheinung. Ziemlich hochgewachsen und recht schlank, mit einem rassigen Gesicht. Augen blaugrau und seine Haare von einem satten Blond. Dazu mit der unauffälligen Eleganz eines gutsituierten Menschen gekleidet.
Aber auch er hatte ihr Bild diskret in sich aufgenommen. Ergebnis: Die Gestalt über mittelgroß, Gesicht fein geschnitten, Augen groß, von einem leuchtenden Blau, Haare kastanienbraun, mit einem metallischen Glanz. Über allem lag ein Hauch von Vornehmheit, trotz der sehr einfachen Kleidung. Und das Lächeln – ja, das war einfach bezaubernd. Es umschmeichelte Kopf und Herz.
»Aber ich bitte Sie, Herr Hadebrandt«, lächelte sie ihn an. »Die Mühe, die mein Auffinden Ihnen gemacht hat, war doch unnötig. Was ich gestern getan habe, war einfachste Menschenpflicht.«
»Gewiß, gnädige Frau. Aber wird Sie dieser Pflicht genügen, das ist ausschlaggebend. Deshalb müssen Sie sich auch meiner Mutter und meinen Dank gefallen lassen. Darf ich Sie bitten, ihr den Gefallen zu tun und sie heute zu besuchen? Oder wäre Ihr Gatte dagegen?«
»Ich bin seit zwei Jahren Witwe, Herr Hadebrandt. Habe nur eine vierzehnjährige Tochter.«
»Wie ist denn das möglich, gnädige Frau?« fragte er verblüfft. »Wann haben Sie denn geheiratet?«
»Mit achtzehn Jahren«, lächelte sie amüsiert. »Mit neunzehn war ich bereits Mutter.«
»Immer noch erstaunlich, gnädige Frau. Sie sehen so jung aus, daß ich Sie ohne weiteres für ein junges Mädchen gehalten hätte, wenn der Geschäftsinhaber nebenan Sie nicht als Frau Runard bezeichnete.«
»Machen Sie oft solche Komplimente«, fragte sie leicht errötend, und er lachte.
»Bewahre! Ich mache Ihnen ja auch kein Kompliment, ich stelle nur ganz sachlich eine Tatsache fest. – Doch wie ist es, gnädige Frau, darf meine Mutter Sie heute nachmittag zu einer Tasse Kaffee erwarten? Die Ärmste, die nun an den Diwan gefesselt ist, langweilt sich sträflich. Daher täte ein gemütlicher Plausch ihr gut.«
»Wenn es nicht unbescheiden ist, dann komme ich gern«, entgegnete Mechthild einfach.
»Herzlichen Dank! Und bringen Sie auch Ihr Töchterlein mit.«
*
Mit dem Tage begann für Mechthild die glücklichste Zeit ihres Lebens. Als sie das Hadebrandt-Haus betrat, fühlte sie sich sofort darin heimisch. Seine feudale Umgebung, die vornehme Art seiner Bewohner nahmen sie immer mehr gefangen. Es verging kaum ein Tag, wo sie und Ebba dieses traute Heim nicht aufsuchten und es sich darin gut sein ließen. Auch dann, als Frau Hadebrandt schon längst wieder munter einherging.
Sie und ihr Sohn kannten nun die Vergangenheit Mechthilds. Die ihr karge Freude, doch um so mehr Trübsal
und Sorge gebracht. Frau Hadebrandt machte kein Hehl daraus, daß dieses feine, bescheidene Menschenkind ihr Herz besaß vom ersten Sehen an. Sie zeigte es ihr durch mütterliche Herzlichkeit.
Die menschenkundige Frau hat auch Ebba sofort durchschaut. Versuchte in feinfühliger Art, erzieherisch auf das eigenwillige Mädchen einzuwirken. Allein, viel Erfolg hatte sie nicht zu verzeichnen. Die verkehrte Erziehung von seiten des Vaters machte sich immer mehr bemerkbar.
Mechthild zuliebe ertrug