Das Dekameron. Giovanni Boccaccio

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Das Dekameron - Giovanni  Boccaccio Literatur (Leinen)

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Antwort ankam, wodurch er sich keine Blöße gäbe, so kam ihm auf der Stelle sein Scharfsinn zu rechter Zeit zustatten, und er sagte: „Herr, Ihr habt mir da eine wichtige Frage vorgelegt, um Euch aber zu sagen, wie ich darüber denke, so bitte ich Euch, vorher eine kleine Geschichte von mir anzuhören. Wenn ich nicht irre, so hat man mir oft erzählt, dass einst ein reicher, vornehmer Mann war, der unter anderen kostbaren Kleinoden, die sich in seinem Besitze befanden, einen sehr schönen und köstlichen Ring besaß, den er wegen seines Wertes und seiner Schönheit besonders in Ehren gehalten wissen und ihn auf immer seiner Nachkommenschaft erhalten wollte, und darum befahl er, dass derjenige unter seinen Söhnen, dem er diesen Ring hinterlassen würde, als sein Erbe angesehen werden sollte, und alle seine anderen Brüder sollten ihn als das Haupt der Familie ehren und hochachten. Derjenige, der den Ring erbte, beobachtete gegen seine Nachkommen dasselbe Verfahren und folgte dem Beispiele seines Ahnherrn. So ward der Ring vom Vater auf den Sohn durch viele Geschlechter vererbt, bis ihn endlich einer bekam, der drei liebenswürdige und tugendhafte Söhne hatte, welche dem Vater alle gleich gehorsam waren und deswegen alle drei von ihm gleich geliebt wurden. Die Jünglinge wussten, was es mit dem Ringe auf sich hatte. Jeder wünschte, vor den anderen ausgezeichnet zu sein. Sie strebten um die Wette, den Ring zu bekommen, und jeder von ihnen bat den Vater, der schon alt war, ihm nach seinem Tode den Ring zu vermachen. Der gute Vater, der seine Söhne gleich lieb hatte und selbst keine Wahl unter ihnen zu treffen wusste, versprach einem jeden, ihm den Ring zu geben, und ersann ein Mittel, sie alle drei zufriedenzustellen. Er ließ deswegen bei einem geschickten Meister heimlich zwei andere Ringe machen, die dem ersten so völlig glichen, dass er selbst, der sie hatte anfertigen lassen, kaum imstande war, den echten von den unechten zu unterscheiden. Auf seinem Sterbebette gab er jedem seiner Söhne insgeheim einen von den drei Ringen. Nach seinem Tode wollte nun jeder von den Söhnen der Erbe sein und den Vorrang vor seinen Brüdern behaupten. Um diesen den anderen streitig zu machen, zog ein jeder, dem hergebrachten Brauche gemäß, seinen Ring hervor. Da war aber ein Ring dem anderen so ähnlich, dass es nicht möglich war, den echten zu erkennen, und die Frage, wer der rechte Erbe des Vaters wäre, blieb unentschieden, und bleibt unentschieden bis auf diesen Tag und alle Tage. Und eben dieses sage ich Euch, Herr, von den drei Religionen, die Gott der Vater den drei Völkern gegeben hat, wegen welcher Ihr mich befragt. Ein jedes glaubt, sein Erbteil, seine Lehre und seine Gesetze unmittelbar von ihm empfangen zu haben. Von welchem unter ihnen aber sich dieses mit Wahrheit behaupten lasse, das bleibt (wie bei den drei Ringen) noch dahingestellt.“

      Saladin sah wohl ein, dass der Jude sich gut aus der Schlinge zog, die er ihm gelegt hatte. Er entschloss sich demnach, ihm sein Anliegen geradezu zu eröffnen und zu versuchen, ob er ihm aus freien Stücken würde helfen wollen. Er tat es und gestand ihm zugleich, was seine Absicht gewesen wäre zu tun, wenn er nicht so vernünftig geantwortet hätte. Der Jude bediente ihn willig mit der ganzen Summe, die er brauchte, und Saladin bezahlte ihm in der Folge nicht nur seine Schuld, sondern machte ihm noch überdies ansehnliche Geschenke und behielt ihn als seinen Freund in großen Ehren und Ansehen beständig an seinem Hof.

       VIERTE NOVELLE

      Ein Mönch, der sich durch sein Vergehen einer schweren Strafe schuldig gemacht hatte, befreit sich davon, indem er seinen Abt der gleichen Sünde überführt.

      Kaum hatte Filomena ihre Geschichte beendigt, als Dioneo, der ihr zunächst saß, ohne den Befehl der Königin abzuwarten, das Wort nahm, das der begonnenen Ordnung gemäß ja nun an ihm war: Verehrte Damen, wenn ich Sie alle recht verstanden habe, so sind wir hier versammelt, um uns mit Geschichtenerzählen zu unterhalten. Deswegen meine ich, es müsse einem jeden von uns erlaubt sein (sofern der Endzweck nicht verfehlt wird), die Geschichte zu erzählen, die seiner Meinung nach am meisten zu ergötzen vermag. Vorhin noch sagte uns die Königin, dass es so sein solle. Da wir nun gehört haben, wie der Jude Abraham durch den guten Rat des Jeannot de Sevigny sein Seelenheil fand, wie Melchisedech durch seine Weisheit seine Reichtümer vor Saladin rettete, so scheltet mich bitte nicht, wenn ich euch mit wenigen Worten erzähle, wie listig ein junger Mönch sich vor schwerer Züchtigung bewahrte.

      In Lunigiana, nicht weit von hier gelegen, war ein Kloster, welches einst reicher an Mönchen und an Heiligkeit war als heutigen Tages, und woselbst sich unter anderen ein junger Klosterbruder befand, dessen strotzende Jugendkraft weder Fasten noch Nachtwachen schwächen konnten. Wie dieser einst nach Mittag, indes die übrigen Mönche schliefen, außer den Mauern des Klosters bei einer Kapelle lustwandelte, die an einem ziemlich einsamen Orte lag, ward er ein sehr hübsches, junges Mädchen gewahr, vielleicht die Tochter eines Bauern aus der Gegend, die im Felde ging, um Kräuter zu sammeln. Er hatte sie kaum erblickt, als ihn auch schon die Fleischeslust mit aller Gewalt bestürmte. Er näherte sich also dem Mädchen und knüpfte ein Gespräch mit ihr an, wobei er seine Worte so verschmitzt zu setzen wusste, dass er mit ihr einig ward, und sie in seine Zelle führte, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Indem er hier, von gar zu großer Begierde getrieben, ein wenig zu laut mit ihr das Liebesspiel spielte, traf sich‘s, dass der Abt, der nach beendigtem Mittagsschläfchen aufgestanden war, das Gebalz der beiden Liebenden hörte, als er mit leisen Tritten vor der Zelle vorbeiging. Um die Stimmen besser zu erkennen, schlich er sich an die Tür der Zelle und horchte, wo er denn deutlich vernahm, dass ein Frauenzimmer sich in der Zelle befand. Schon war er willens, sich die Tür öffnen zu lassen, doch bedachte er sich wieder und ging in seine Zelle, um zu warten, bis der Mönch aus der seinen käme. Diesen hatte jedoch, so sehr ihn auch das Vergnügen mit dem jungen Weibe beschäftigte, bereits eine kleine Furcht angewandelt, und weil es ihm geschienen, als hätte er jemand im Schlafhause mit schlürfenden Schritten gehen gehört, so hatte er durch eine kleine Spalte geguckt und den Abt deutlich wahrgenommen. Er konnte wohl denken, dass dieser das Mädchen in seiner Zelle bemerkt haben müsste, und da er wusste, dass ihm dafür eine schwere Strafe bevorstand, so ward er darüber sehr niedergeschlagen, doch ließ er das Mädchen nichts von seiner Verlegenheit merken, sondern dachte nur geschwinde hin und her, wie er sich heraushelfen könne. Und da fiel ihm eine Bosheit ein, die ihn, wie er meinte, zum Ziele werde gelangen lassen. Er stellte sich gegen das Mädchen, dass es Zeit wäre, sie wieder zu entfernen, und sagte: „Ich will gehen und Mittel und Wege suchen, dass du wieder ungesehen hinaus kommst; halte dich unterdessen hier ganz still, bis ich zurückkehre.“ Darauf ging er hinaus, verschloss seine Zelle und ging geradewegs zu dem Abt in seine Kammer, übergab ihm den Schlüssel, wie es bei den Mönchen Sitte war, wenn sie ausgingen, und sagte mit unbefangener Miene: „Hochwürdiger Herr, ich konnte heute früh nicht alles Holz heimfahren lassen, das ich schlagen ließ. Ich gehe jetzt mit Eurer Erlaubnis in den Wald, um das übrige herzuschaffen.“ Der Abt, der nicht glaubte, dass ihn der Klosterbruder bemerkt hätte, und der wünschte, sich genauer von seinem Vergehen zu unterrichten, war froh über diese Gelegenheit und empfing mit Vergnügen den Schlüssel; er gab ihm Urlaub, und wie er weggegangen war, überlegte er, was am besten getan wäre, ob er in Gegenwart des ganzen Klosters die Zelle des Mönchs öffnen und sein Verbrechen jedermann offenbaren solle, damit man über ihn nicht murren möchte, wenn er den Mönch bestrafte, oder ob er erstlich von dem Mädchen erforschen sollte, wie alles zugegangen wäre. Da er nun zugleich erwog, dass es vielleicht die Tochter oder Verwandte irgendeines solchen Mannes sein könne, dem er ungern die Schande zufügen möchte, dass er sie allen Mönchen zeigte, so entschloss er sich, erst zu sehen, wer sie wäre, und dann seine Maßregeln zu treffen. Er schlich demnach leise nach der Zelle, öffnete die Tür, ging hinein und schloss hinter sich zu. Wie das arme Mädchen den Abt hereintreten sah, ward ihr angst und bange, und zitternd vor Scham fing sie an, bitterlich zu weinen. Der Abt, der sie indessen aufmerksam betrachtete und fand, dass sie ein schönes, frisches Geschöpf sei, fühlte plötzlich, so alt er auch war, den Stachel des Fleisches nicht minder rege werden als zuvor der junge Mönch. Er dachte bei sich: „Ei nun, warum soll ich nicht das Vergnügen genießen, wenn es sich mir darbietet. Verdruss und Unannehmlichkeiten finde ich ja ohnehin immer genug bei der Hand. Hier ist ein hübsches Mädchen, kein Mensch in der Welt weiß etwas davon; wenn ich sie dahin bringen kann, mir zu Willen zu sein, so weiß ich nicht, warum ich es nicht versuchen sollte, wer wird‘s erfahren? Kein Mensch! Und heimliche Sünde ist halb vergeben. Es wird mir vielleicht nie wieder so geboten, und ich denke, es ist vernünftig getan,

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