Das Dekameron. Giovanni Boccaccio

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Das Dekameron - Giovanni  Boccaccio Literatur (Leinen)

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ein angesehener Hofmann von feinen Sitten und Reden namens Guglielmo Borsiere, der in keinem Stücke unseren heutigen Höflingen glich, die trotz ihres verderbten und schändlichen Benehmens sich Herren und Edelleute nennen und doch lieber Esel heißen sollten, weil sie eher im Schlamme der Laster und Niederträchtigkeiten des gemeinsten Pöbels als am Hofe scheinen erzogen zu sein. Zu jenen Zeiten bestand das Geschäft und das Bestreben der Hofleute darin, dass sie Frieden machten da, wo Krieg und Streit zwischen Edelleuten entstanden war, oder Heiraten, Verwandtschaften und Freundschaften stifteten, mit unterhaltenden Scherzen und angenehmen Reden das Gemüt der Niedergeschlagenen erheiterten und den Hof vergnügten und mit ernstlichen Strafreden auf väterliche Art die Fehler und Laster der Bösen und Bösartigen tadelten – und das alles, ohne großen Lohn dafür zu erwarten. Heutigen Tages sieht man sie ihre Zeit damit zubringen, dass sie einer hinter dem Rücken des andern Übles reden, Zwietracht ausstreuen, lasterhafte und gottlose Reden führen und, was noch schlimmer ist, gottlose Handlungen vor jedermanns Augen begehen und sich dann einander alle ihre Bosheiten und Schandtaten, wahr oder unwahr, öffentlich vorwerfen, und gute Menschen durch allerlei falsche Vorspiegelungen zu niederträchtigen und schändlichen Schritten verführen. Derjenige wird am liebsten gehalten und von den verderbten Großen am meisten geehrt und durch die größten Belohnungen emporgehoben, der die unflätigsten Reden führt und die verworfensten Handlungen begeht: zur großen Schande und Vorwurf für die jetzige Welt und zum offenbaren Beweise, dass die Tugenden von uns gegangen sind und das elende Menschengeschlecht im Schlamm der Laster versinkt.

      Doch damit ich den Faden wieder aufnehme, von dem ich mich, durch gerechten Unwillen bewogen, weiter entfernt hatte, als ich wollte, so muss ich bemerken, dass dieser Guglielmo, den ich vorher nannte, von allen Edelleuten in Genua geehrt und gerne gesehen ward. Nachdem er einige Zeit in Genua gewesen war und vieles von dem Geiz und der Filzigkeit des Ermino gehört hatte, ward er neugierig, ihn kennenzulernen. Messer Ermino hatte schon gehört, dass Guglielmo Borsiere ein trefflicher Mann sei, und da er bei all seinem Geize doch auch ein Fünkchen von guter Aufführung besaß, so empfing er ihn mit sehr freundlichen Worten und mit vergnügter Miene, ließ sich in verschiedene Gespräche mit ihm ein und führte während der Unterredung ihn und einige Genueser, die mit ihm gekommen waren, in ein schönes, neues Haus, das er hatte bauen lassen. Wie er ihm alles darin gezeigt hatte, sprach er zu ihm: „Messer Guglielmo, Ihr habt doch vieles gesehen und gehört, könnt Ihr mir nicht etwas angeben, das man noch nie gesehen hat, damit ich es hier in meinem Hause könnte malen lassen?“

      Guglielmo antwortete ihm auf sein wunderliches Ansinnen: „Herr, ich glaube nicht, dass ich Euch etwas nennen könnte, das man noch nie gesehen hat, es wäre denn das Niesen oder etwas Ähnliches. Allein ich wollte Euch wohl etwas nennen, das Ihr selbst (wenigstens wie ich glaube) nie gesehen habt.“ „Und was wäre denn das?“ fragte Ermino.

      „Lasst die Freigebigkeit malen“, antwortete ihm Guglielmo.

      Von diesen Worten fühlte sich Messer Ermino derart beschämt, dass er auf der Stelle seine Gesinnung wechselte und erwiderte: „Herr Guglielmo, ich will sie dergestalt malen lassen, dass weder Ihr noch ein anderer mir jemals wieder mit Recht den Vorwurf machen soll, ich hätte sie nie gesehen noch gekannt.“ Und von dem Tage an wirkten die Worte des Guglielmo so stark auf ihn, dass er der freigebigste und umgänglichste Mann von der Welt ward und Fremde und Einheimische mit mehr Gastfreiheit aufnahm als irgendein anderer Genueser.

       NEUNTE NOVELLE

      Der König von Zypern wird von einer Gascognerin gehänselt und aus einem tatenlosen ein tätiger Mann.

      Elisa hatte als Letzte noch den Befehl der Königin zu gewärtigen. Sie kam ihm mit Munterkeit zuvor und begann:

      Liebe Mädchen, oft schon sah man, dass ein leicht ausgesprochenes Wort, eine unabsichtliche Belehrung mehr wirkte als unaufhörliche Ermahnungen und gar Strafen. Dies erhellt deutlich genug aus Laurettas Erzählung, und ich will es durch eine ganz kurze Geschichte ergänzend bestätigen. Eine gute Anekdote wird nicht ohne Nutzen angehört und verdient die gespannteste Aufmerksamkeit der Zuhörer, der Erzähler mag sein, wer er wolle. Vernehmt also:

      Zu den Zeiten des ersten Königs von Zypern, nachdem Gottfried von Bouillon das gelobte Land eingenommen hatte, wallfahrte eine adelige Frau aus der Gascogne einst zum Heiligen Grabe. Auf ihrer Rückreise, wie sie in Zypern ankam, wurde sie von einigen ruchlosen Burschen schändlich misshandelt. Ihr Schmerz darüber war ohne Grenzen, und sie wollte den König um Rache anflehen. Allein man sagte ihr, sie würde sich verlorene Mühe geben, denn der König wäre ein so schlaffer und untätiger Herr, dass er nicht nur den Beschwerden anderer Leute nicht abhelfe, sondern dass er nicht einmal die ihm selbst oft mit vieler Unverschämtheit zugefügte Schmach zu ahnden suche, weshalb denn ein jeder, dem ein schweres Unrecht zugefügt würde, seinen Unmut an ihm durch irgendeinen Spott oder Schimpf ausließe. Die Dame, die dieses hörte und alle Hoffnung aufgab, Genugtuung zu erlangen, nahm sich demnach vor, um ihren hitzigen Zorn einigermaßen zu kühlen, dem Könige seine Erbärmlichkeit vorzuwerfen. Sie trat vor ihn mit Tränen in den Augen und sagte: „Gnädiger Herr, ich komme nicht zu Euch, um Rache zu fordern für die Schmach, die man mir zugefügt hat, sondern ich will Euch nur um die Gnade bitten, dass Ihr mich lehrt, wie Ihr die vielfältigen Beleidigungen geduldig ertragt, die man (wie ich höre) Euch täglich zufügt, damit ich lerne, die meinigen auch geduldig zu tragen, welche ich Euch – bei Gott! – gern überlassen möchte, wenn ich nur könnte, weil Ihr ein so gutmütiger, göttlicher Dulder seid.“

      Der König, der bis dahin lässig und träge gewesen war, schien wie aus einem Traum zu erwachen. Er fing sein neues Leben damit an, dass er die Dame für die ihr zugefügte Beleidigung aufs Strengste rächte und hernach aufs Schärfste einen jeden strafte, der sich unterfing, gegen die Ehre seiner Krone etwas zu unternehmen.

       ZEHNTE NOVELLE

      Doktor Alberto in Bologna beschämt auf feine Art eine Dame, die ihn wegen seiner Liebe zu ihr beschämen wollte.

      Nach Elisa traf die letzte Pflicht des Erzählens die Königin selbst, die mit weiblicher Würde sich folgendermaßen vernehmen ließ: Liebenswürdige Mädchen! Wie an einem heiteren Abende die Sterne den Himmel, wie im Frühling tausendfarbige Blumen die grünen Matten zieren, so sind muntere Scherze die Zierde löblicher Sitten und anmutiger Gespräche, und ihrer Kürze wegen stehen sie den Frauen besser an als den Männern. Die Frauen müssen, wenn es möglich ist, sich des langen und weitläufigen Redens mehr enthalten als die Männer. Aber freilich gibt es heutigen Tages wenige oder gar keine Frauen mehr, die sich auf feine Scherze verstehen, oder, wenn sie sie verstehen, sie gehörig zu erwidern wissen. Und das ist eine Schande für uns und für alle Frauen, die jetzt leben. Denn die Vorzüge, die den Geist unserer Vorgängerinnen schmückten, haben die heutigen Frauen in äußerlichen Schmuck des Leibes umgesetzt, und die, deren Kleider am besten geblümt oder gestreift, oder mit Flittern und Fransen besetzt sind, glauben vornehmer und besser zu sein als die anderen, und bedenken nicht, dass ein Esel, dem man sie anzöge oder aufpackte, ihrer weit mehr tragen könnte als irgendeine von ihnen, und würde darum doch nichts besser als ein Esel. Ich schäme mich, dieses zu gestehen, denn wenn ich das von anderen sage, darf ich mich selbst nicht ausnehmen. Diese geputzten, bemalten, bunten Puppen stehen entweder da wie Bildsäulen von Marmor, fühllos und stumm, oder wenn man sie fragt, so antworten sie auf solche Weise, dass sie besser getan hätten zu schweigen, und dann bilden sie sich ein, es sei ein Zeichen der Unschuld, dass sie weder mit Frauen noch mit vernünftigen Männern reden können. Diese ihre Unbeholfenheit nennen sie Ehrbarkeit. Als wenn es sonst keine ehrbaren Weiber gäbe, als die sich bloß mit ihrer Magd, Wäscherin oder Bäckerfrau zu unterhalten wissen. Wenn das die Natur gewollt hätte (wie sie sich einbilden), so würde sie ihrer Geschwätzigkeit schon andere Grenzen gesetzt haben. Es ist inzwischen wahr, dass man in diesem Stücke sowohl als in anderen Dingen Zeit und Ort beobachten und zusehen muss, mit wem man rede.

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