Das Dekameron. Giovanni Boccaccio

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Das Dekameron - Giovanni  Boccaccio Literatur (Leinen)

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der Einförmigkeit der Erzählungen etwa müde würde, durch eine lustige Geschichte aufzuheitern, und gab ihm gern, mit Bewilligung der anderen, die erbetene Erlaubnis. Hierauf wandelten die Mädchen mit langsamen Schritten durch ein schattiges Tal zwischen schroffen Felsen und blumigen Matten zu einem kristallhellen Bache, der sich von einem Hügel herabstürzte. Hier plätscherten sie mit entblößten Armen und Füßen im Wasser und schäkerten miteinander auf mancherlei Art. Als die Abendstunde kam, kehrten sie nach dem Palaste zurück und hielten mit Vergnügen ihre Abendmahlzeit. Wie nach dem Essen die Instrumente gebracht wurden, befahl die Königin Lauretta, einen Tanz anzuführen, und Emilia, ein Lied, von Dioneo mit der Laute begleitet, dazu zu singen. Lauretta begann augenblicklich den Tanz anzuführen, zu welchem Emilia mit innigem Ausdruck folgendes Lied sang:

      So sehr kann meine Schönheit mich entzücken,

      dass keine and‘re Liebe

      imstande ist, mich jemals zu beglücken.

      Ich find in ihr, sooft ich mich betrachte,

      für meinen Geist den Grund im höchsten Glücke.

      Nichts Neues reizt mich, dass ich‘s höher achte;

      kein Bild der Vorzeit denk‘ ich mir zurücke,

      das diesen Eindruck bei mir schwächer machte.

      Und welche neue Liebe

      vermöcht‘ es denn, mich jemals zu beglücken?

      Sie flieht mich nie, sooft ich auch begehre,

      durch ihren Anblick mein Gemüt zu laben,

      und welche Freude sie mir auch gewähre,

      das zu beschreiben, kann nicht Worte haben,

      kann nicht empfinden, was er selbst entbehre,

      wen nicht (wie mich) die Liebe

      zu seinem eig‘nen Bilde kann beglücken.

      Und ich, die ich mich stündlich mehr entzünde,

      je mehr ich auf mein Bild die Blicke hefte,

      ich gebe mich ihm gänzlich hin und finde

      auf dieser Welt kein seliger Geschäfte,

      weil ich das Vorgefühl damit verbinde,

      es werd‘ einst dieser Liebe

      mit nie empfund‘ner Wonne mich beglücken.

      Als dies Tanzlied geendigt war, in das alle mit vieler Fröhlichkeit eingestimmt hatten, obwohl die Worte des Liedes manchen Anlass zum Nachdenken gaben, wurden noch einige Reihen getanzt, und wie bereits ein Teil der kurzen Nacht vergangen war, gefiel es der Königin, den ersten Tag zu beschließen. Sie ließ demnach die Fakkeln anzünden und empfahl einem jeden, sich bis zum folgenden Morgen zur Ruhe zu begeben. Dies geschah, wie sie wünschte, und jeder ging in sein Zimmer.

      Es schließt der erste Tag des Dekameron.

       ES BEGINNT DER ZWEITE TAG DES DEKAMERON

      Es wird unter Filomenas Regierung von solchen Personen erzählt, die von mancherlei Unglücksfällen angefochten wurden und sie dennoch wider alle Hoffnung überstanden.

      Schon hatte die Sonne überall den neuen Tag mit ihrem Strahl verbreitet, und die Vögel des grünen Hains verkündeten ihn dem Ohr durch ihren süßen Gesang, als die Mädchen alle und die drei Jünglinge sich ebenfalls von ihren Lagern erhoben, in die Gärten gingen, den betauten Rasen mit langsamen Schritten hin und her wandelten und, schöne Kränze windend, sich geraume Zeit belustigten. Wie sie nach dem Beispiele des vorigen Tages im Kühlen gesessen und ein wenig getanzt hatten, begaben sie sich zur Ruhe, standen nach der dritten Stunde des Vormittags wieder auf und lagerten sich auf Befehl ihrer Königin um sie her im frischen Grase. Nachdem diese, eine junge Dame von großer Schönheit des Gesichts und Anmut der Gestalt, mit ihrem Lorbeerkranz gekrönt, eine kleine Weile gesessen und die ganze Gesellschaft mit ihren nachdenklichen Blicken gemustert hatte, befahl sie Neifile, die neue Unterhaltung mit einer Erzählung anzufangen, welche auch keinen Anstand nahm und fröhlich also begann:

       ERSTE NOVELLE

      Martellino verstellt sich als Krüppel und gibt vor, durch den Leichnam des hl. Heinrich geheilt worden zu sein. Sein Betrug wird entdeckt, er wird geprügelt, wird festgesetzt und läuft große Gefahr, gehenkt zu werden, kommt aber noch glücklich davon.

      Es trägt sich oft zu, meine lieben Freundinnen, dass der, welcher anderer Leute spotten will, besonders wenn er seinen Scherz mit ehrwürdigen Dingen treibt, sich selbst zum Spott macht und sich bisweilen in Schaden bringt. Um dem Befehl der Königin nachzuleben und mit einer Erzählung des verabredeten Inhalts den Anfang zu machen, so will ich euch sagen, was einmal einem unserer Mitbürger Unglückliches und hernach über alle Erwartung Glückliches begegnet ist.

      Es lebte vor nicht langer Zeit in Treviso ein Deutscher namens Heinrich, ein armer Mann, der sein Brot als Lastträger verdienen musste, aber dabei einen sehr frommen Wandel führte und bei jedermann beliebt war, daher denn, wie die Leute aus Treviso versichern (es mag nun wahr sein oder nicht), in der Stunde seines Todes die Glocken der Hauptkirche zu Treviso, ohne von jemandem gezogen zu sein, von selbst anfingen zu läuten. Das ward von jedermann für ein Wunder und Heinrich deswegen für einen Heiligen gehalten; alles Volk in der Stadt lief zusammen nach dem Hause, wo sein Leichnam lag, den sie wie eine Reliquie nach der Hauptkirche trugen, und Lahme, Gichtbrüchige, Blinde und Kranke jeder Art, oder Leute, die sonst Mängel hatten, zu ihm brachten, als ob die Berührung seines Leibes sie alle gesund machen könnte. Während dieses allgemeinen Zulaufes begab es sich, dass in Treviso drei Männer aus Florenz ankamen, wovon der eine Stecchi hieß, der andere Martellino und der dritte Marchese, die ihr Brot damit verdienten, dass sie an den Höfen umherzogen und die Leute damit belustigten, dass sie die Gebärden eines jeden Menschen nachmachten. Da sie hier noch nie gewesen waren, so wunderten sie sich, einen so großen Auflauf von Menschen zu finden, und wie sie die Ursache davon erfuhren, wurden sie neugierig, dieselbe auch zu sehen. Sie ließen demnach ihr Gepäck in einer Herberge und Marchese sagte: „Wir wollen zwar hingehen, den Heiligen zu sehen, allein ich weiß wahrlich nicht, wie wir zu ihm gelangen wollen, weil ich höre, dass der Platz voll von Deutschen und anderen Landsknechten ist, die der Herr der Stadt dort auf den Beinen hält, um Unruhen zu verhüten; überdies ist die Kirche (sagt man) so voll von Menschen, dass man fast nicht hineinkommen kann.“

      Martellino, der sehr neugierig war, sagte: „Das soll uns nicht hindern. Ich will wohl ein Mittel finden, bis zu dem Leichnam vorzudringen.“

      „Und wie denn?“ fragte Marchese.

      „Das will ich dir sagen“, entgegnete Martellino. „Ich will mich wie ein Gichtbrüchiger anstellen, und du sollst mich an einer Seite und Stecchi an der anderen führen, als wenn ich allein nicht gehen könnte, und ihr wolltet mich zu dem Heiligen bringen, dass er mich gesund mache. Da wird kein Mensch sein, wenn er uns sieht, der uns nicht aus dem Wege ginge, uns Platz zu machen. Dieses gefiel Marchese und Stecchi, und sie beeilten sich, ihre Herberge zu verlassen. Sie gingen an einen einsamen Ort, wo sich Martellino die Hände, Finger, Arme und Beine, die Augen und das ganze Gesicht dermaßen verrenkte

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