Das Dekameron. Giovanni Boccaccio

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Das Dekameron - Giovanni  Boccaccio Literatur (Leinen)

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ihn nach den Umständen fragte, die ihn hergeführt hätten, was Rinaldo ihr alles ausführlich erzählte. Sie hatte bereits, gleich nach der Ankunft seines Dieners in dem Schlosse, etwas von der Sache gehört, weswegen sie umso leichter seinen Worten Glauben beimaß und ihm auch sagte, was sie von seinem Diener wusste, und wie er ihn leicht am folgenden Morgen antreffen könne. Sobald der Tisch gedeckt war, musste Rinaldo sich mit ihr zur Tafel setzen. Er war groß und wohlgewachsen, von einnehmender Miene und gefälligem Wesen und in der vollen Blüte seiner Jahre. Da die Erwartung des Markgrafen bereits ihre Begierde rege gemacht hatte, so konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, ihn immer wieder wohlgefällig zu betrachten.

      Nach dem Essen stand sie mit ihm vom Tisch auf und beredete sich mit ihrer Magd, ob es recht sei, sich die Gelegenheit zunutze zu machen, die ihr das Glück geschickt habe, da der Markgraf sie heute vergeblich warten gelassen. Die Magd merkte, worauf die Dame hinaus wolle, und unterstützte sie nach Kräften in ihrem Bestreben, ihrem Verlangen nachzugeben. Die Dame ging zum Feuer, wo Rinaldo allein saß, und warf ihm verliebte Blicke zu. Danach sprach sie: „Glaubt Ihr nicht, dass ein Pferd und ein paar Kleider, die Ihr verloren habt, sich bald wieder ersetzen lassen? Seid guten Mutes und stellt Euch vor, dass Ihr hier zu Hause seid, denn kurz, ich kann es Euch nicht verhehlen: Seitdem ich Euch in diesen Kleidern meines verstorbenen Mannes vor mir sehe, finde ich zwischen Euch und ihm die Ähnlichkeit so auffallend, dass ich diesen Abend wohl tausendmal in Versuchung geraten bin, Euch für ihn selbst anzusehen, Euch zu umarmen, zu küssen und Euch wie ihm zu begegnen. Und hätte ich nicht befürchten müssen, Euch lästig zu fallen, so hätte ich es, weiß Gott schon getan.“

      Rinaldo, der nicht auf den Kopf gefallen war, begriff den Sinn ihrer Worte, den ihm ein zärtliches Feuer in ihren Blicken vollends erklärte. Er ging mit offenen Armen auf sie zu und sagte: „Madonna, Ihr habt mich aus einer jämmerlichen Lage gerettet, und für alle Zukunft verdanke ich Euch mein Leben. Es wäre undankbar, wollte ich nicht alles tun, Euch zufriedenzustellen. Gebt Eurer Lust nur nach: Umarmt und küsst mich! Was mich betrifft, will ich Euch mehr als gerne umarmen und küssen.“ Es bedurfte keiner Worte weiter. Die Witwe, vor liebevollem Verlangen ganz entzündet, sank in seine Arme. Sie umschlangen und küssten einander tausendmal, standen auf, gingen in die Kammer und legten sich sogleich zu Bett, wo sie, bis der Morgen anbrach, ihre Sehnsucht völlig und wiederholt stillten. Wie die Morgenröte erschien, standen sie, wie die Dame es wünschte, auf, und damit kein Aufsehen verursacht würde, so ließ sie ihm einige schlechte Kleider umwerfen, füllte ihm seine Börse, und nachdem sie ihm gesagt hatte, wie er in das Schloss kommen und seinen Diener wiederfinden könne, entließ sie ihn durch dasselbe Pförtchen, durch welches er hereingekommen war, mit der Bitte, geheim zu halten, was diese Nacht geschehen war.

      Wie es heller Tag ward, ging er, sobald die Tore geöffnet wurden, ins Schloss, als wenn er erst eben von fernher käme, und fand auch bald seinen Diener. Indem er seine eigenen Kleider, die im Felleisen des Dieners waren, wieder anzog, und schon im Begriff war, seines Dieners Pferd zu besteigen, begab es sich wie durch ein Wunder Gottes, dass die drei Räuber, die ihn abends vorher ausgeplündert hatten, über einer anderen Untat, die sie begangen, ertappt, in dasselbe Schloss gefänglich eingebracht wurden, wo Rinaldo, laut ihrem Bekenntnis, sein Pferd, seine Kleider und alle seine Sachen wiedererstattet wurden, sodass er nichts davon einbüßte, außer ein Paar Kniebändern, von denen die Räuber selbst keine Nachricht geben konnten. Rinaldo stieg zu Pferde und dankte Gott und dem heiligen Julian, als er heil und gesund nach Hause ritt. Die drei Schnapphähne aber schaukelten am folgenden Tage schon im Winde.

       DRITTE NOVELLE

      Drei Jünglinge verschwenden das Ihrige und geraten in Armut. Einer ihrer Neffen, der aus Verzweiflung nach Hause zurückfährt, macht unterwegs mit einem Abt Bekanntschaft, den er hernach für eine Tochter des Königs von England erkennt. Sie vermählt sich mit ihm, ersetzt seinen Oheimen ihren Verlust und verhilft ihnen wieder zum Wohlstand.

      Das Abenteuer des Rinaldo d‘Asti ward von den Damen und Herren mit Verwunderung angehört; man lobte seine Andacht und dankte Gott und dem heiligen Julian, die ihm in seiner höchsten Not beigestanden hatten; auch gestand man sich insgeheim, die Dame sei keine Närrin gewesen, indem sie das Gute genossen, das ihr Gott ins Haus geschickt habe. Indem man noch mit Schmunzeln von der guten Nacht sprach, die sie gehabt hatte, überlegte Pampinea, die nächst Filostrato saß und erwartete, dass die Reihe sie treffen würde, was sie erzählen wollte. Wie sie den Befehl der Königin vernahm, fing sie unbefangen und fröhlich folgendermaßen an zu reden:

      Liebenswürdige Frauen! Je mehr man von den Wechselfällen des Glücks spricht, desto mehr wird jeder finden, der seine eigenen Umstände nur wohl erwägen will, dass davon immer noch vieles zu sagen übrig bleibt, und darüber wird sich niemand wundern, wenn er vernünftig überlegt, dass alle Dinge, die wir einfältigerweise uns selbst zuschreiben, in die Hände des Schicksals gegeben sind und folglich nach seinem geheimen Ratschluss unaufhörlich von diesem zu jenem, und von jenem zu diesem, sich in einem beständigen Umlaufe befinden, an dem wir weder Ordnung noch Regel wahrzunehmen imstande sind. Obwohl sich nun dies zur Genüge an allen Dingen und an jedem Tage ergibt und uns auch schon in einigen vorhergehenden Erzählungen ist dargestellt worden, so will ich doch, weil es der Wille unserer Königin ist, dass wir alle etwas darüber sagen sollen, vielleicht nicht ohne Nutzen meiner Zuhörer, ein Geschichtchen von meiner Art hinzufügen, das euch hoffentlich nicht missfallen wird.

      In Florenz war einst ein Kavalier namens Tedaldo, von dem Geschlechte der Lamberti, wie einige behaupten wollen, obgleich andere behaupten, er habe den Agolanti zugehört, welche letzteren ihre Meinung vielleicht auf das Gewerbe stützten, das in der Folge seine Söhne trieben und das in der Familie der Agolanti Tradition geworden ist. Ohne mich darauf einzulassen, von welchem dieser Häuser er abstammte, wird es genügen, anzumerken, dass er zu seiner Zeit einer der reichsten Edelleute war, und dass er drei Söhne hatte, von denen der älteste Lamberto hieß, der zweite Tedaldo und der dritte Agolante: lauter schöne, muntere Jünglinge, von welchen jedoch der älteste kaum achtzehn Jahre alt war, als der Vater starb und ihnen, als seinen rechtmäßigen Erben, sein bewegliches und unbewegliches Vermögen hinterließ. Die Jünglinge, die einen so beträchtlichen Schatz an barem Gelde und an Grundstücken in die Hände bekamen und damit nach ihrem eigenen Belieben, ohne Einrede und Widerspruch, schalten konnten, fingen an, auf allerlei Art das Ihrige zu vertun, indem sie ein großes Haus, kostbare Pferde, Jagdhunde, Falken, offene Tafel hielten, Geschenke machten, Turniere anstellten und nicht nur lebten, wie es Edelleuten ziemt, sondern wie es ihnen nach ihrem jugendlichen Leichtsinn in den Kopf kam. Diese Lebensart konnte nicht lange dauern, ohne die väterlichen Schätze zu erschöpfen. Als ihre gewöhnlichen Einkünfte nicht zureichten, fingen sie an, ihre Grundstücke eines nach dem anderen zu versetzen und zu verkaufen, und wurden es nicht eher gewahr, wie sie mit ihren Umständen nach und nach auf die Neige gerieten, bis die Armut ihnen die Augen öffnete, die der Reichtum verschlossen hatte. Lamberto berief deswegen eines Tages seine Brüder zusammen und stellte ihnen vor, in welchem Ansehen ihr Vater gelebt hätte und in welche Dürftigkeit sie durch die übermäßige Verschwendung geraten wären. Er gab sich daher alle Mühe, sie zu überreden, ehe ihre armseligen Umstände noch sichtbarer würden, seinem Rat und Beispiel zu folgen, die wenigen Güter zu verkaufen, die ihnen noch übrig geblieben wären, und davonzureisen; was sie auch taten und ohne Abschied und Aufsehen Florenz verließen und geradewegs nach England gingen, ohne irgendwo Station zu machen. In London mieteten sie ein kleines Haus, machten wenig Aufwand und liehen ihr bisschen Geld, das ihnen geblieben, auf Wucherzinsen; hierbei war ihnen das Glück so günstig, dass sie in wenigen Jahren einen ungeheuren Reichtum sammelten. Einer nach dem anderen zogen sie nun wieder nach Florenz, kauften einen großen Teil ihrer vorigen Besitztümer zurück und manches neue dazu, verheirateten sich, und da sie noch immer in England Wucher trieben, so übergaben sie dort einem ihrer Neffen namens Alessandro ihre Geschäfte. Allein uneingedenk des Zustandes, in welchen ihre törichte Verschwendung sie schon einmal versetzt hatte, und ohne Rücksicht darauf, dass sie alle drei jetzt Familienväter geworden waren, fingen sie wieder an, in Florenz mehr Aufwand als je vorher zu treiben, zumal, da sie bei allen Kaufleuten

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