Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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junger Hund. Einen Spitzenkragen hat er um, der Affe, und seine Schuhe sind –«

      Er kam nicht weiter. Mit einem raschen, festen Griff hatte die Frau ihn gepackt und züchtigte ihn weidlich mit ihren großen, kräftigen Händen – dann stellte sie ihn auf die Beine und stieß ihn nach der offenen Tür, die vom Gange in das Klosterhaus führte.

      Zuerst hatte er, stumm vor Überraschung, keinen Laut von sich gegeben. Er war in seinem ganzen jungen Leben noch nicht geschlagen worden – wer von den Leuten hätte sich auch je an dem vergötterten Ratssöhnchen auf dem Klostergute vergreifen mögen? – Er wußte nur, daß andere Geschöpfe unter seinen Gerten- und Peitschenhieben aufschrien, und nun schrie er selber, aber erst in dem Augenblick, wo ihn die unerbittliche Hand auf die Füße stellte ... Nun rannte er wie besessen durch den Gang und die Treppen hinab; die eisenbeschlagenen Absätze tosten über die Stufen; er kreischte wie ein Tier – je tiefer er hinab kam, desto durchdringender. Das gellte von den Treppenwänden und hallte aufschreckend durch die weite Flur des alten Klosterhauses. Das Gesinde lief zusammen, und der Rat kam entsetzt aus dem Amtszimmer und fing seinen auf ihn zustürzenden Sprößling in den Armen auf.

      Kreideweiß vor Schrecken trug er ihn in seine Stube, und die Hand, die das magere, braune Gesicht des Knaben beruhigend streichelte, zitterte sichtlich.

      Mosje Veit wußte, daß er an Krämpfen litt – die Mägde hatten in seiner Gegenwart davon gesprochen und die Zuckungen nachgeahmt. Seitdem traten diese Erscheinungen sehr häufig auf; er warf sich hintenüber und zuckte mit Armen und Beinen, wenn irgend einer seiner Wünsche auf Widerstand stieß ... In diesem Augenblick nun durchschütterte eine wirkliche Aufregung, eine grenzenlose Wut, den dürren, schmächtigen Körper – er schlug um sich und wühlte, immer noch schreiend, den Kopf krampfhaft in die dicken Federkissen des Sofas, auf das der Rat ihn gelegt hatte. Dieser Zustand erschien allerdings beängstigend; aber die kleinen, zwinkernden Augen des Patienten schielten sehr bewußt und beobachtend dem Vater nach, der angsterfüllt nach einem Schranke eilte, um das gewohnte, krampfstillende Mittel herbeizuholen.

      Da riß das Geschrei jäh ab, und das Schlagen auf dem Sofa verstummte. Diese plötzlich eintretende Stille hinter seinem Rücken machte den Rat erschreckt umsehen – Veit hatte sich aufgerichtet und starrte bestürzt nach der gegenüberliegenden Wand. Dem einen in Holz geschnitzten Heiligen dort war der segnend ausgestreckte Arm abgerissen – ein breiter dunkler Spalt trennte ihn weit vom Rumpfe. »Papa, die Wand geht entzwei – sie fällt ein!« schrie er erschrocken auf.

      Mit einem fast wilden Satze sprang der Rat auf die Galerie; er bückte sich, und unter seinen schiebenden Händen schloß sich der Spalt sofort geräuschlos.

      »Närrchen du!« sagte er, die Stufen wieder herabkommend. »Die dicke Wand wird doch nicht einfallen! Aber das vermorschte Holz kriegt allenthalben Risse – da muß der Tischler her und wieder einmal zusammenflicken.«

      Mosje Veit war ein kleiner Skeptiker. Sein scharfer Verstand und sein Lauern und Horchen in allen Ecken hatten ihm bereits jenen Kinderglauben geraubt, der alles für bare Münze nimmt, was Erwachsene sagen. Er schielte ungläubig nach dem Heiligen, der wieder scheinbar unverletzt das Weib zu seinen Füßen segnete – aber er schwieg und fing dann wieder an zu jammern, während der Rat an einen Tisch trat und die Arznei in einen Löffel voll Wasser schüttete.

      »Die Tante hat mich halbtot geschlagen, Papa!« schrie Veit, er konnte den Augenblick nicht erwarten, wo der Vater fragen würde.

      Der Rat fuhr herum, als traue er seinen Ohren nicht.

      »Ja, furchtbar geschlagen und gestoßen hat sie mich. – Was kann ich denn dazu, wenn der dumme Bengel mir überall nachläuft, wie ein kleiner Hund?«

      »Wer? – Von wem sprichst du denn, mein Kind?« fragte der Rat bebend – er glaubte, der Knabe beginne zu phantasieren.

      »Ich meine den fremden Jungen aus dem Schillingshofe,« versetzte Veit, sich ungeduldig herumwerfend; »den blauen Bengel, der immer mit seinem großen Hund drüben im Garten spielt. – Er ist mitgelaufen bis in unsere Rumpelkammer –«

      »Er ist hier im Hause? – Oben bei der Tante Therese?«

      Veit nickte, und der halbe Inhalt des Löffels, den sein Vater in der Hand hielt, flog verschüttet auf die Dielen.

      17.

       Inhaltsverzeichnis

      Schon während Veit heulend im Dämmerdunkel des Treppenhauses verschwunden war, hatte sich die Glut der Empörung auf dem Antlitz der Frau verflüchtigt; es wurde wieder starr und weiß wie von Stein. Sie nahm den Zipfel ihrer breiten, blauleinenen Schürze und wischte dem kleinen José den Schweiß von dem erhitzten Gesichtchen. Dabei vermied sie jedoch beharrlich, in seine verweinten Augen zu sehen; sie hatte auch kein beruhigendes Wort für das Kind, und als es auf ihren Wink hin, mitzukommen, seine Hand vertrauensvoll in die ihre schob, da zuckten die hartgearbeiteten Finger zusammen, als sei dieses weiche, warme Kinderhändchen ein zusammengeringeltes Reptil.

      Es war damals auch so eine Spätnachmittagstunde gewesen, als die heimlich aus Königsberg abgereiste Offiziersfrau den Vorsaal der Giebelwohnung betreten hatte. Da waren auch zögernde kleine Füße neben ihr hergetrippelt, und ein blondes Cherubimköpfchen hatte sich ängstlich an die Mutter geschmiegt, die mit harter Entschlossenheit das Einsiedlerleben auf dem Klostergute gegen eine immerhin glänzende Stellung eintauschte, um ihren Mann grausam zu strafen, ihn geflissentlich vor der Welt zu brandmarken ... damals hatte sie gemeint, das Kind an ihrer Hand so leiten zu können, daß es nie nach dem »leichtsinnigen« Vater zurückverlangen werde und für alle Zeit ihr ausschließliches Eigentum bleibe – eine furchtbare Katastrophe hatte sie eines anderen belehrt.

      Ob das alles in diesem Augenblick durch den Frauenkopf flog, über dessen wachsweißer Stirne die starkgebleichte Flechte noch immer so glatt und elegant als Diadem geordnet lag, wie einst das glänzende, vielbewunderte Dunkelhaar? –

      Sie führte den kleinen José in das Giebelzimmer mit den braungebeizten Wandschränken, vor das altfränkische Tischchen, auf dem das Waschzeug stand – genau auf dieselbe Stelle hatte sie damals ihren Knaben geführt, ihm den Reisestaub vom Gesicht zu waschen und das von ihrem Bruder so sehr angefeindete blaue Samtröckchen mit einem Hauskittel zu vertauschen ...

      Ihre großen starren Augen blickten wie unter einem Schleier, während sie das Handtuch in frisches Wasser tauchte und die verschwollenen Lider des Kindes betupfte, und die Fingerspitzen hüteten sich augenscheinlich, die rosige Wange selbst zu berühren.

      »Sprich nicht!« gebot sie mit harter Kürze, als er geängstigt in weichen, sanften Tönen von Tante Mercedes, Jack und Deborah zu reden begann – ein anderes Ohr, als das des erschrocken verstummenden Kindes, hätte gehört, daß ein Laut mehr, als die zwei rauhen Worte, das Brechen der Stimme verraten müsse.

      Er hatte wohl sagen wollen, daß er dürste – nun wagte er kein Wort mehr; aber seine Augen hingen begehrlich an der Wasserflasche, und der kleine, heißatmende Mund war verdorrt vom Schreien, von der brütenden Sonnenglut und dem Staub in der Dachkammer. – So sanft fügsam war der Knabe auch gewesen, der vor fünfundzwanzig Jahren seinen Spielwinkel dort in der Fensterecke gehabt, und dessen kleines Lager, hinter dem grobwollenen Türvorhang, dicht am Bett der geschiedenen Frau gestanden hatte ...

      Die Majorin schüttete etwas Wein, Fruchtsaft und Wasser in einem Trinkglas zusammen und hielt es mit weggewendetem Blicke dem Kinde an die Lippen. Das war eine Labung, wie sie auf dem Klostergute hie und da dem erschöpften

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