Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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sie wie eine ältere Schwester ihrer Kinder, als welche sie sich ja auch am liebsten gibt.« – Ein leises, verächtliches Lächeln stahl sich flüchtig um ihren Mund. – »Lucile ist brustschwach – die Ärzte behaupten, sie befinde sich bereits in den ersten Stadien der Lungenschwindsucht,« fuhr sie ernst fort. »Es ist mithin meine Aufgabe, ihr jede wirkliche Aufregung fern zu halten. Aus dem Grunde habe ich auch vorhin streng verboten, daß sie von Josés Verschwinden benachrichtigt werde, ehe wir eine Gewißheit hatten.«

      Sie rief den Knaben herbei und ergriff seine Hand... Welche Kraft wohnte in dieser jungen Seele, die, leidenschaftlich, herrisch, ja despotisch angelegt, einen steten Kampf mit sich selbst bestand, weil der Egoismus eines geliebten Sterbenden ihr Wort in das Grab mitgenommen hatte!

      »Vielleicht begleiten Sie mich zu Lucile,« sagte sie zu Baron Schilling. »Es ist möglich, daß sie nunmehr von dem Vorfall erfahren hat – sie regt sich oft nachträglich noch unnötig auf, und das wird Ihr Besuch verhindern.«

      Sie gingen nach dem Säulenhause.

      19.

       Inhaltsverzeichnis

      Donna Mercedes betrat sonst nie Luciles Gemächer – sie hatte keine Veranlassung dazu. Die Mahlzeiten nahm man im großen Salon mit den holzgeschnitzten Wänden ein – auch der Tee wurde abends da getrunken, trotz Luciles täglich sich erneuernden Protestes – und die Kinderstube war nur durch Mercedes' Schlafzimmer von diesem Salon getrennt.

      Draußen lag noch heller Sonnenglanz; von Westen her zu rötlicher Glut entfacht, machte er die Welt in einem doppelt grellen Lichte schwimmen; er fiel breit und lästig durch die Fenster und kroch als feuriges Schlänglein in alle Türspalten und Ritzen. Mercedes drückte geräuschlos die Türe zu Luciles Wohnzimmer auf und wich erstaunt zurück.

      Da drin war, mittels fest vorgelegter Läden und zugezogener Gardinen, intensive, von Kerzen- und Lampenlicht durchstrahlte Nacht hergestellt. An der Decke brannte der kleine Kronleuchter, zu beiden Seiten des deckenhohen Pfeilerspiegels flammten Kerzen auf den Bronzearmen, und das Licht hoch auf Wandbretter gestellter Kugellampen floß weiß hernieder – man suchte unwillkürlich nach dem schwarzbehangenen Katafalk, auf den dieses Glanzmeer zu strömen habe; aber es war etwas ganz anderes – es war Bühnenlicht.

      Vor dem Spiegel gaukelte ein Schmetterlingswesen. Die zierlichsten Beinchen, die je ein Menschenkind getragen, steckten in fleischfarbenen Trikots, und darüber bauschte sich ein ganz kurzes Röckchen von gleißendem, goldgelbem Atlas; dann kam ein silberbesetztes rotlila Samtmieder, das eine zerbrechlich dünne Mädchentaille umschloß, und bei jeder Bewegung der schlanken, weißgeschminkten Arme, bei jedem Schritt flatterten und wehten glänzende Bandstreifen wie Flügel von den Schultern, wogte das dunkel niederrollende, mit weißen Rosen durchflochtene, lange Gelock über den Nacken, fast bis auf die Hüften herab... Das war kein Tanz – weit eher ein fast gespenstisches Schwimmen und Schweben, als habe sich die Luft verdichtet und trage mühelos den kleinen, biegsamen Feenleib – Lucile war in der Tat eine Tänzerin ersten Ranges.

      Sie hatte eine seltsame musikalische Tanzbegleitung. Die Kammerjungfer Minna stand, den Rücken der Türe zugekehrt, inmitten des Zimmers und summte eine Melodie, so scharf akzentuiert im Rhythmus, so gewohnheitssicher, als sei sie seit Jahren das begleitende Orchester bei den Übungen ihrer Herrin. Sie schlug dabei leise klatschend in die Hände, machte jede Wendung und Schwenkung mit wiegendem Oberkörper unwillkürlich mit und war in ihre Aufgabe ganz ebenso vertieft, wie die Tänzerin selbst. – Sie hatten beide keine Augen für die kleine Paula, die auf dem Teppich saß und in verschiedenen Kartons kramte. Die Kleine hatte sich, jedenfalls »genau wie Mama«, geschmückt, hatte einen weißen Kranz verkehrt aufgesetzt, Schuhe und Strümpfchen ausgezogen und wickelte eben einen gelben Seidenschal um die kleine, nackte Büste, von der sie das lose, weiße Kleidchen nach den Hüften hinabgeschoben hatte.

      »Lucile!« rief Donna Mercedes mit dem schrillen Klang zorniger Überraschung.

      Die Tänzerin vor dem Spiegel fuhr erschrocken herum. »Minna, dummes Ding, du hast vergessen, die Türe zu verriegeln!« platzte sie erbost heraus; aber im nächsten Augenblick schon brach sie in ein gezwungenes, schallendes Gelächter aus. Baron Schilling strich sich mit einem charakteristisch heiteren Lächeln den Bart – diese Sylphide sah nicht aus, als werde sie noch nachträglich über das Erlebnis ihres kleinen Sohnes in Ohnmacht fallen. Während er, José an der Hand, der Schwelle nahe stehen blieb, schritt Mercedes, ohne ein Wort zu sagen, durch das Zimmer; sie nahm der kleinen Paula, die sich unter gellendem Geschrei lebhaft widersetzte, den Kranz vom Köpfchen, zog ihr das Kleid über die Schultern, Schuhe und Strümpfe an die Füße, und redete ihr dabei mit sanfter Stimme begütigend zu.

      »Du solltest das Kind nicht Zeuge deiner Amüsements sein lassen,« sagte sie zu Lucile, nachdem sich die Kleine beruhigt hatte.

      »Ah bah, warum denn nicht?« versetzte die kleine Frau trotzig und herausfordernd. »Wenn du glaubst, ich gebe es jemals zu, daß Paula auch so philisterhaft erzogen wird, wie du mit José bereits den Anfang gemacht hast, da irrst du dich gründlich! – Das arme Ding hat ohnehin eine jammervolle Kindheit. Was bin ich dagegen für ein glückliches Kind gewesen – oh, wie glücklich! – Gehätschelt, bewundert, in Saus und Braus, in Glanz und Herrlichkeit bin ich groß geworden – oh, mein schönes, geopfertes Paradies!« – Sie streckte sehnsuchtsvoll die Arme gen Himmel, diese zarten Arme, die in der Tat überschlank geworden waren – die Ärzte hatten doch wohl recht mit ihrem furchtbaren Ausspruch, nach dem dieses in Lebenslust glühende Wesen den Todeskeim in der Brust tragen sollte, die eben unter beängstigend heftigen, zitternden Atemzügen flog.

      Sie griff nach den Blumen über ihrer Stirne, riß sie halb ergrimmt, halb im Übermut aus den Locken und schleuderte sie nach den Kartons. »Meine Amüsements, sagst du?« fuhr sie impertinent lächelnd fort. »Mein Gott, ja, armselig genug sind sie – aber was will man machen? – Ein jedes eben nach seinem Geschmack und Bedürfnis, Donna Mercedes! – Du spielst Bach auf deinem Flügel und stellst dich ganz entzückt über den alten Zopf – und ich, nun ich tanze, ich krieche dann und wann wehmutsvoll in die alten, lieben Theatersachen –«

      »Der Anzug ist neu – ei ist noch nie in einem Koffer verpackt gewesen,« unterbrach sie Mercedes kalt und unerbittlich und zeigte nach dem Kostüm.

      Lucile lachte verlegen auf und drehte sich wie ein Kreisel in gemachter Lustigkeit auf der feinen Fußspitze, und Minna, die wie verscheucht in den Hintergrund des Zimmers zurückgetreten war, bückte sich schleunigst, um die verstreuten Blumen zusammenzulesen.

      »Nun, und wenn?« fragte die kleine Frau – sie hielt plötzlich inne mit ihren Fußschwingungen und trat erbittert auf ihre Schwägerin zu. »Und wenn, Donna Valmaseda? Was geht es schließlich dich an, wenn ich mir ein paar Ellen Samt und Atlas kaufe? Geht es etwa aus deinem Beutel – wie? ... Ich bitte Sie, Baron Schilling, sehen Sie sich meine gestrenge Schwägerin an! Der Spitzenbesatz, den sie da zerrissen auf dem Teppich nachschleift, ist so kostbar, daß ihn eine deutsche Herzogin auf ihrer Staatsschleppe tragen könnte – diese Baumwollenprinzessinnen leisten das Menschenmögliche in der Verschwendung, sag' ich Ihnen! Ich armer Tropf aber soll mir nicht einmal den Spaß machen, mich auch einmal in einem neuen Kostüm bei meinen einsamen Amüsements zu sehen! – Es ist unverantwortlich von dieser Vormundschaft, daß sie die Auszahlung meiner Nadelgelder in Mercedes' Hände gelegt hat –« Sie trat zornig mit dem atlasbekleideten Füßchen den Teppich. – »Aber ich bin auch immer so dumm und leichtgläubig, ich lasse mir alles bieten! – Weiß ich denn, ob dieses behauptete Recht nicht ein angemaßtes ist?? – Nun wird mir jede Stecknadel, jeder Seidenfaden nachgerechnet –«

      »Du weißt sehr gut, daß ich das nie tue,« fiel

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