Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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style="font-size:15px;">      Die Schwarze litt doppelt. Die Leute des Hauses behaupteten einstimmig, das Kind müsse sterben – Adam sei ihm erschienen. Ein panischer Schrecken hatte alle gepackt, seit die gellenden Hilferufe des Knaben Korridor und Flurhalle erfüllt hatten – niemand mochte sich nachts, selbst bei hellster Beleuchtung, bis an die Laokoongruppe, nächst der Tür des Salons mit den Holzschnitzereien, wagen, und Deborah zitterte am ganzen Leibe bei dem leisesten Geräusch im anstoßenden Zimmer, sie warf die Schürze über den Kopf, um nicht zu sehen, wie der »schreckliche Mann« plötzlich auf die Schwelle trete, um die Seele ihres Lieblings zu holen.

      In Haus und Garten des Schillingshofes herrschte Totenstille, die Baron Schilling selbst behütete und überwachte. Keine rauhe Stimme, kein hart auftretender Fuß durfte laut werden; man hatte alle Klingeln im Erdgeschoß abgenommen, das Geräusch des rollenden und rasselnden Kieses auf den Wegen des Vorgartens war gedämpft durch aufgeschüttetes Stroh, kein plätschernder Wasserstrahl sprang aus den geschlossenen Leitungsröhren, und der lärmende Pirat wurde Tag und Nacht in strenger Haft gehalten.

      In diesen schweren Tagen stand das Atelier völlig verwaist, Baron Schilling verließ das Säulenhaus nicht mehr. Er war in der ersten Nacht fast mit dem Arzt zugleich erschienen, und seitdem hatte er ein Hinterzimmer des Oberbaues bezogen, um stets bei der Hand zu sein.

      Anfänglich kam er nur auf Stunden in das Krankenzimmer; er fühlte sehr gut, daß die schweigende Pflegerin in ihrer namenlosen, wenn auch heroisch niedergekämpften Angst nicht beobachtet sein wolle. Nur ganz allmählich verlängerte sich sein Aufenthalt am Bett des Kindes, und er stieß auf keinen Widerspruch; die Kräfte der Pflegerin waren nahezu aufgerieben, und sie mochte einsehen, daß sie eine zuverlässigere Stütze nicht finden konnte, als in dem Mann, der mit Augen voll Schmerz und tiefer Zärtlichkeit ihren Liebling behütete. Sie empfing ihn nicht mehr mit finster abweisenden Blicken, wenn er eintrat; seine nahenden Schritte machten sie nicht mehr zornig emporschrecken aus der Stellung, die sie oft stundenlang, auf dem Teppich knieend, vor dem Krankenbett einnahm ... Sie hatte sich neulich gegen jegliche Art des Zusammengehens verwahrt, und doch kam und ging er jetzt infolge stillschweigenden Einvernehmens und wachte des Nachts bei dem Kranken, während er darauf bestand, daß die tieferschöpfte Pflegerin sich in der anstoßenden Kinderstube zur Ruhe niederlege – und sie fügte sich; angesichts des furchtbaren Unglückes, das über sie hereinzubrechen drohte, versanken alle Bedenken, die sonst die Oberhand in ihrer stolzen Seele hatten.

      Es fiel fast nie ein Wort zwischen ihnen, und doch kamen sich beide näher in der gegenseitigen Beurteilung. Er hatte es freilich mit einer Sphinxnatur zu tun, die oft genug seiner Prüfung entschlüpfte, um ihm plötzlich wildfremde, rätselvolle Züge zuzuwenden. So oft er den Blick vom kleinen Krankenbett hob, wurde ihm ganz märchenhaft zu Sinne. Als hätten Gnomenhände einen ganzen Regen ihrer unterirdischen Schätze hier verstreut, um eine schöne Frau mit kühlem Feuer zu umspielen, so funkelte der Steinschmuck an allem Gerät, selbst vom kleinsten Trinkbecher sprühte Rubinenlicht wie aus halbversteckten, rotglühenden Koboldaugen. Und die weiße Duftwolke mit ihrem eingewobenen köstlichen Blumen- und Blättergerank, die über den weißen Atlas, die Spitzenkanten der Polster herabfloß, die farbenglänzenden Matten auf dem Parkett, die Sitzmöbel, aus kostbaren Hölzern so luftig aufgebaut, als sollten sie auf ihren Seidenkissen nur leichte Feengestalten tragen–das alles war aus einer mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Pflanzervilla über das Meer hergeschwommen, um wenigstens einen Raum des deutschen Hauses für die verwöhnte Tochter des Südens heimisch und erträglich zu machen.

      Für Donna Mercedes war der raffinierteste Luxus sichtlich die Lebensluft, das Element, das ihre ätherische Erscheinung vom ersten Atemzug an auf seinen Wogen gleichsam hoch über der Erde gewiegt und getragen – und dieselbe Frau hatte es gleichwohl verschmäht, in Zeiten der Gefahr auf ihre sturmgeschützte Besitzung zu flüchten – sie hatte sich in andere Wogen geworfen, in die brausende Brandung des erbitterten Kampfes; das verwöhnte Ohr war nicht zurückgeschreckt vor dem Schlachtendonner, es hatte geschärft auf die Signale, die rauhen Kommandos lauschen gelernt; durch Dornen und Gestrüpp waren die zarten Füße gewandert, die schlanken, ringgeschmückten Finger hatten kräftig die todbringende Waffe umspannt, und das atlasschimmernde Lager war mit der harten Erde, dem groben Soldatenmantel vertauscht worden – statt der Spitzenwolke des Betthimmels hatte sich das feucht niederschauernde Nachtgewölk über die am Lagerfeuer Rastende hingebreitet.

      Ja, sie war rücksichtslos und unbeugsam hart gegen den eigenen verweichlichten Körper, angesichts großer Fragen, wie sie unerbittlich, ja fanatisch gehässig denen gegenüberstand, die »unberechtigt« ein menschenwürdiges Dasein erstrebten. »Menschen?!« hatte sie neulich im Hinblick auf die aufrührerischen Schwarzen mit empörendem Hohn gerufen – man hätte damals glauben müssen, sie habe auch zu jenen raffiniert grausamen Plantagenherrscherinnen gehört, die das Fleisch ihrer Sklavinnen als Stecknadelpolster benutzen sollten, und doch – kamen die sanften, gütevollen Laute, mit denen Jack und Deborah stets und immer angeredet wurden, wirklich von den stolzen Lippen? ... Deborah war infolge des Schreckens und Kummers selbst erkrankt; sie lag in der Kinderstube und sträubte sich in kindischer Furcht gegen die verordnete Arznei. Baron Schilling hörte, wie ihr Donna Mercedes besorgt, in unerschöpflicher Geduld und Langmut zuredete – sie litt es nicht, daß eine andere Hand als die ihre der »alten, treuen Dienerin« die Labung reicht, ihr das Lager aufschüttle.

      Sie zeigte seiner offenbaren Haß gegen das Germanentum, seit sie deutschen Boden betreten hatte, deutsche Luft atmete; aber sie las und kaufte fast nur deutsche Bücher; auf dem Flügel lagen Bach, Beethoven und Schubert, und verschiedene Schriftstücke auf dem Schreibtisch bewiesen, daß sie vorzugsweise in deutscher Sprache schreibe ... Diesem Arbeitstisch kam Baron Schilling nur nahe, wenn einer der Ärzte dahinter saß, um ein Rezept zu schreiben. Da wurde flüsternd über den Zustand des kleinen Patienten verhandelt, manchmal vielleicht einen Augenblick länger als nötig, denn die Fensterecke hinter den grünen Seidenvorhängen war höchst interessant. Donna Mercedes hatte auch hier in enggezogener Schranke ein kleines Stück ihres amerikanischen Heims aufgebaut.

      Da hing das Ölbild ihrer stolzen spanischen Mutter. Von derselben undinenhaften Schönheit wie die Tochter, das herabflutende »Zigeunerhaar« an den Schlafen leicht mit Perlenschnüren zurückgenommen, ließ diese Frau ihre feine, biegsame Gestalt, nach Fürstenart, von schwerem, violettem Samt umbauschen; Perlenspangen rafften da und dort die Faltenwucht zusammen, und da, wo der köstliche Marmorton der Schultern und Anne hervortrat, sah es aus, als strebe ein hellgeflügelter Schmetterling der erdrückenden Last zu entschlüpfen ... Ja, der Urtypus des Hochmuts war sie gewesen, diese zweite Frau, die sich der imposant schöne Major Lucian, nachdem er im Leben schon halb und halb Schiffbruch gelitten, noch zu erobern gewußt hatte ... Seine Photographie hing unter dem Ölbild, daneben sein Sohn Felix, beide Porträts umringt von herrlichen kleinen Landschaftsbildern in Wasserfarben, Ansichten von Lucianschen Besitzungen vor dem Kriege. Und auf dem Schreibtisch selbst, inmitten kostbarer Gerätschaften von Edelmetall, stand im ovalen Bronzerahmen die Photographie eines jungen Mannes, ein Kopf von großer Schönheit, aber ziemlich unbedeutend im Ausdruck. – »Der arme Valmaseda« – hatte Lucile, Baron Schillings Blick nach dem Bilde verfolgend, in ihrer verletzenden Art eines Tages geflüstert – »er war ein netter, ein bildhübscher Mensch, aber – es war doch gescheit von ihm, zu sterben. Wissen Sie – ein großes Licht war er gerade nicht ... Mercedes hatte sich mit fünfzehn Jahren verlobt, da paßten sie noch zusammen; aber nachher tat sie ja so furchtbar geistreich, und da konnte der arme Schelm nicht mehr mit – in der Ehe hätte das kein Jahr lang gut getan – mein Gott, was sage ich – nicht vier Wochen! – Die brave Feindeskugel kam gerade recht noch in seine Bräutigamsträume hinein – Mercedes ist an seiner Seite gewesen und hat ihn in ihren Armen aufgefangen. »Ein himmlisches Sterben!« soll er gesagt haben.«

      An den Verhandlungen in der Fensterecke beteiligte sich Donna Mercedes später nicht mehr – aus Furcht vor der eigenen Schwäche, die sie allmählich überkam; sie ließ sich deshalb die Aussprüche der Ärzte durch Baron Schilling berichten ... Es war ein seltsam neues Gefühl, das sie immer mehr beschlich, das Bewußtsein

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