Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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plötzlich verlegen, und auf die erstaunten Fragen der anderen hin sagte er ausweichend, er habe »ein Vögelchen davon singen hören –« daß er bei Ausübung seiner Obliegenheiten im Wintergarten und Atelier in einen offen daliegenden Brief der Gnädigen geschielt hatte, konnte er freilich nicht sagen. – »Ich glaube, sie kommt bald wieder,« meinte er mit verständnisvollem Augenzwinkern,– »nachher sollt ihr aber sehen, was geschieht! Die amerikanische Gesellschaft fliegt aus der Türe, daß es eine Art hat – denkt an mich!« –

      »Das leidet der Herr nicht,« sagte die Hausmamsell ganz erregt.

      »Ich bitte Sie, reden Sie doch kein dummes Zeug, Mamsell Birkner!« versetzte der Bediente grob. »Wem gehört denn der Schillingshof?«

      »Uns!« platzte sie erbittert heraus. »Uns gehört er, und nicht den Steinbrücks ... Wie wir noch zusammen waren, der alte Freiherr und der Arnold – der gnädige Herr wollt' ich sagen – und ich, da gab es keine Gnädige bei uns, und wir haben auch gelebt und sind in unserem Gott vergnügt gewesen. Aber das Haus hier hatte der alte Herr allein zu befehlen, da ist er geboren und gestorben... Und gut und kreuzfidel waren alle, und die Kellerschlüssel sind auch nie auf die Reise mitgenommen worden, als wäre das Haus voll Spitzbuben –« sie hielt plötzlich inne und trat respektvoll zur Seite ...

      Die schöne, stolze Frau kam mit der kleinen Paula von Luciles Gemächern her. Wie ein breiter, schwarzer Schatten lagen die Wimpern tief auf ihren Wangen; sie schritt vorbei, als seien die Leute an der Türe von Stein, wie die Statuen in den Nischen, und der lose herabhängende Spitzenbesatz ihres Kleides rieselte auf den Mamorfliesen nach wie zerflatternder Schnee ...

      »Bettelprinzeß!« murmelte der Bediente Robert grimmig zwischen den Zähnen, während sie in der Türe nächst der Laokoongruppe verschwand.

      20.

       Inhaltsverzeichnis

      Lucile hatte sich nach der stürmischen Szene wie ein erbostes, trotziges Kind in ihre Zimmer eingeschlossen und war auch nicht zum Tee im Salon erschienen. Die Kammerjungfer hatte eine Platte voll Erfrischungen aus der Küche holen und ihrer Herrin für den Rest des Abends Gesellschaft leisten müssen – auch sie war nicht wieder zum Vorschein gekommen. So hatte die kleine Frau nicht erfahren, daß der Hausarzt auf Baron Schillings Wunsch noch spät am Abend dagewesen war, um José ein beruhigendes Mittel zu verschreiben, weil sich die fieberhafte Aufregung des Knaben eher steigerte, als verminderte.

      Donna Mercedes hatte sein kleines Bett in ihr Schlafzimmer tragen lassen, um ihn selbst zu überwachen. Er war auch unter der Wirkung der Medizin eingeschlafen, zur Beruhigung aller. – Aber nun, gegen Mitternacht, wachte er plötzlich auf. Er glühte, als schlügen Flammen aus dem Bettzeug über ihn hin, und sein heftig schmerzender Kopf lag mit hämmernden Schläfen schwer wie Blei auf dem Kissen. Mühsam hob er die Lider und sah sich fremd um – er hatte ja noch nie hier geschlafen.

      Dort an der gegenüberliegenden Wand stand Tante Mercedes' Bett – sie lag unausgekleidet auf der weißatlassenen Steppdecke und schlummerte. Das ganze Zimmer schwamm in einem sanften Rosaschein, den die Glasampel an der Decke verbreitete. – Er färbte die weiße Spitzenwolke, die vom Betthimmel herab das Lager der schlafenden Frau umfloß, er weckte ein seines Sprühen aus dem steinfunkelnden Gerät des Toilettentisches, quoll durch die offene Türe schräg über das blanke Parkett des anstoßenden großen, unbeleuchteten Salons und ließ drüben den breiten Pfeilerspiegel zwischen den Fenstern wie einen bleichen Silberstreifen aus der Dunkelheit dämmern.

      Auch die Pflanzengruppe, die, hart neben diesem Spiegel, in dem Fensterbogen Tante Mercedes' Schreibtisch flankierte, reckte ihre langen Wedel und Schwertblätter in das blaßrote Licht hinein – dem fieberumflorten Blick des kranken Kindes erschienen sie wie riesige, krallenhaft gekrümmte Finger, die zusehends wuchsen, um nach dem Bett herüber zu greifen.

      Der Knabe schloß die Augen vor Furcht – in der entsetzlichen Dachkammer war ja auch alles lebendig geworden, was er angesehen. Und jetzt knisterte es auch drüben in der stillen, dunklen Fensterecke, als werde im Vorüberstreifen ein bewegliches Stück Papier berührt – war das die große Maus wieder? –

      Er hob den Kopf vom Kissen und starrte auf den Fußboden jenseits der Türe, über den das gefürchtete Tier hinlaufen mußte – da trat ein langer, hellbekleideter Menschenfuß auf einen der Parkettwürfel, die der rote Lichtfleck spiegelnd hervorhob – dieser Fuß ging lautlos auf den Zehen ...

      Instinktmäßig sah das Kind empor und suchte den Kopf des Menschen, der da aus der Fensterecke kam – und es sah in ein bärtiges, ihm flüchtig zugewendetes Gesicht auf schattenhafter Männergestalt, es sah den kurzgeschnittenen, starren Haarschopf, der hartlinig tief in die Stirne ging, und drunter die herabhängenden, buschigen Brauen, unter denen so grimme Augen funkelten – und entsetzt fuhr der Kleine mit dem Kopf unter die Bettdecke, jeden Augenblick fürchtend, die große, braune Hand des Mannes falle auf ihn nieder, um ihn zu züchtigen.

      Er wagte nicht zu schreien, nur ein angstvolles Stöhnen rang sich aus der kleinen schweratmenden Brust. Aber schon bei den ersten Lauten fuhr Mercedes aus ihrem leichten Schlummer empor und eilte an das Bett des Kindes. Sie zog ihm die Decke vom Gesicht und erschrak heftig über die brennenden Händchen, die krampfhaft fest ihre Finger umklammerten, über den verstörten Blick, mit welchem der Knabe ihr zuflüsterte:«Lasse den schrecklichen Mann nicht herein, Tante – du weißt, er will mich schlagen! – Klingle schnell, Jack soll kommen und Pirat auch!«

      »Kind, du hast geträumt,« sagte sie bebend – wie ein Feuerstrom ging die Fieberglut von dem kleinen Körper aus – und jetzt schnellte der Knabe empor; er stieß sie von sich. »Jack, Pirat!« schrie er mit gellender Stimme.

      Donna Mercedes riß an der Klingel. Die schwarzen Diener erschienen voll Bestürzung, und bald darauf stand der herbeigerufene Arzt mit bedenklichem Gesicht am Bett des Kindes, das im vollsten Delirium fort und fort nach Hilfe rief, um den »schrecklichen Mann« fortzujagen.

      Damit begann eine furchtbare Zeit ...

      Der Tod stand lange am Bett des kleinen José und drohte, das Geschlecht der Lucians in seinem letzten Sproß für immer auszulöschen. Oft schien es, als recke er seinen Arm bereits hinüber bis an das junge, wildschlagende Herz; dann lag das Kind im schlafähnlichen Zustande und tiefe Schattenzüge verwischten bis zur Unkenntlichkeit das frühere Gepräge des schönen, blondlockigen Köpfchens. Die Ärzte boten alles auf, den Knaben dem Leben zu erhalten, und es war seltsam zu sehen, wie sie fast instinktmäßig in ihrem Benehmen darin übereinstimmten, als gelte es, ihn einzig und allein zu retten für die junge Frau mit dem südlichen Bronzegesicht, die tränenlosen, starren Blickes, mit fest zusammengepreßten Lippen, ihre Berichte entgegennahm, die nie klagte, aber jede Speise und Labung schweigend zurückwies, und Tag und Nacht nicht von dem Krankenbett wich.

      Die kleine Mama dagegen, die oft mit dickverschwollenen Lidern, in vernachlässigter Toilette am Fußende des Bettes lauerte und unaufhörlich flüsterte und gestikulierte, war ein wahrer Schrecken für die Ärzte. Angesichts des bewußtlosen Kindes brach das Muttergefühl leidenschaftlich durch, aber auch zugleich der ganze Egoismus dieser Frauenseele. Die Angst, die sie folterte, wollte sie nicht ertragen; sie wollte beruhigt sein, sie peinigte die Ärzte mit Fragen, und doch nahm sie jedes besorgte Achselzucken, jeden noch so verhüllten Hinweis auf die Gefahr wie eine beleidigende Schonungslosigkeit auf. Sie warf sich jammernd über den kleinen Kranken hin und erging sich in maßlosen Schmähungen und Vorwürfen gegen diejenigen, die ihr Kind nach Deutschland, in den spukhaften Schillingshof geschleppt und in eine solche Lebensgefahr geflissentlich gebracht haben sollten ... Mit ihrem Gebaren füllte sie den Leidenskelch für Mercedes bis an den Rand

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