Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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fühlte sie ihn als eine Wohltat. Sie sagte sich, daß der Mann, der sich mit ihr in den Krankenwärterdienst teilte, aufmerksamen Auges zugleich ihr Wohl und Wehe behüte, aber das stolze verächtliche Lächeln, mit dem sie gewohnt war, unbegehrte Teilnahme zurückzuweisen, spielte ihr dabei nicht um die Lippen ... Wenn der nichts weniger als schöne, aber kraftvoll stattliche Mann mit dem Ausdruck stillen Ernstes am Krankenbett saß, dann schöpfte sie Trost aus seinem Anblick, dann war ihr, als sei ihr Liebling geborgen, als müßten alle finsteren Gewalten zurückweichen. Sie wurde unruhig, wenn er fortging, und atmete freudig klopfenden Herzens auf, sobald sie seinen nahenden Schritt draußen im Korridor hörte. Sie dachte nicht mehr an die Frau, die in Rom betete, um die verhaßten Eindringlinge möglichst schnell los zu werden, an diese Klosterschülerin, welche im finsteren Aberglauben ihr eigenes Heim mit spukhaften Seelen bevölkerte, und alle Wohnräume bis auf die verrufene Zimmerflucht verschlossen hatte, jedenfalls, damit der unsaubere Geist den ungewünschten Besuch austreibe.

      Etwas Unheimliches hatte diese Erdgeschoßwohnung allerdings auch für Donna Mercedes – es waren die mächtigen, tief auf den Boden herabgehenden Fenster. Die Brüstung zwischen den Zimmern und der draußen hinlaufenden Säulenhalle war so niedrig, wie kaum ein Balkongeländer, das man mühelos übersteigen kann ... Der erstickenden Hitze wegen durften abends die inneren Läden nicht vorgelegt werden; die Fensterflügel des Krankenzimmers standen auf Anordnung der Ärzte meist offen, und damit kein helles Licht von außen hereinfalle, hatte Baron Schilling das Anzünden der Gasflammen im Vorgarten verboten. Es herrschte somit gähnende Finsternis unter der Wölbung der Halle? nur ganz fern glühten drüben auf der menschenleeren Promenade vereinzelte Gaslichter, der Nachtwind zog schwach seufzend an der Säulenreihe hin, und vom Klostergut kamen die Fledermäuse herüber und schwammen scheu in dem schwachen grünen Licht, das die kleine Flamme durch den Lampenschirm des Krankenzimmers hinauswarf.

      Aber dieser blasse Schimmer, den die Nacht draußen schon aufsog, ehe er nur die nächste Säule erreichte, er hob auch andere Erscheinungen aus der Finsternis, und das war unheimlich, visionenartig ... Donna Mercedes sah zweimal dasselbe, als sie regungslos im Dunkel hinter dem Spitzenbehang ihres Bettes sitzend, das phantasierende Kind behütete. Kein Schritt war draußen auf dem Steingetäfel hörbar geworden, nicht das leiseste Geräusch hatte Menschennähe ahnen lassen, und doch hatte sich plötzlich ein Antlitz über die Brüstung hereingeneigt, ein totenweißes, schönes Frauengesicht mit Zügen wie in Stein gemeißelt, mit dunkelglühenden Augen, die starren, verzehrenden Blickes auf das kranke Kind gerichtet waren, als wollten sie ihm die Seele aussaugen ... Bei dem unwillkürlichen Emporschrecken der Pflegerin aber war das Gesicht jedesmal verschwunden, als sei es von einer schwarzen Tafel weggelöscht worden.

      Donna Mercedes hatte das weibliche Dienstpersonal des Schillingshofes nie beachtet; aber sie meinte, dieses in Schmerz und Gram förmlich versteinerte Antlitz müßte ihr doch bei der Begegnung notwendig aufgefallen sein. Sie forschte jedoch nicht nach, wie sie überhaupt während der ganzen schweren Prüfungszeit nur über das Allernötigste sprach.

      So waren viele Tage in unbeschreiblicher Angst und Aufregung verstrichen – nun eine furchtbare Nacht noch, in der man jeden Augenblick fürchtete, den schwachen Kindesodem für immer verlöschen zu sehen, dann brach ein rosig schöner Morgen an, und das goldene Tageslicht flammte auf, um ein junges Menschenkind wiedergewonnen in seine lebenatmende Flut zurückzunehmen – der kleine José war gerettet. Der Jubel darüber war groß. Die beiden Schwarzen gebärdeten sich wie toll, und Lucile war in ihrer Freude so maßlos wie vorher in ihrer Angst. Zum erstenmal wieder sorgsam frisiert, in hellseidenem Kleide, die Locken voll frischer Rosen, einen Rosenstrauß an der Brust und in den Händen, kam sie geschmückt und grazienhaft wie eine Bajadere früh in das Krankenzimmer geflogen und machte Miene, sich stürmisch über den Knaben hinzuwerfen und sein Lager mit den starkduftenden Blumen zu bestreuen; allein die anwesenden Ärzte verbaten sich energisch derartige Freudenausbrüche, was die kleine Frau durchaus nicht begreifen wollte und als ein gänzliches Mißverstehen ihrer Zärtlichkeit sehr übel nahm. Sie kehrte ihnen trotzig den Rücken und lief schmollend hinaus – die Gefahr war ja vorüber – nun konnte man ja wieder naiv und unartig sein.

      Donna Mercedes war tagsüber standhaft geblieben; sie hatte den Tränen des Glückes, der unaussprechlichen Erleichterung vor den Augen der anderen gewehrt. Aber nun war es wieder Abend geworden; Baron Schilling hatte sein Atelier aufgesucht, Lucile und Paula tranken den Tee in den Gemächern der kleinen Frau, und Deborah war hinübergegangen, um dabei zu bedienen.

      Es war um die neunte Stunde, aber schon herrschte die Finsternis der tiefen Nacht – der Himmel hing voll Regenwolken. Nur hinter der weit drüben liegenden Häuserreihe der Straße schoß dann und wann die grelle Lohe des Wetterleuchtens empor, um machtlos in den düfteschweren, schwülen Lüften zu verlöschen.

      Der kleine José schlief – es war der traumlose Schlaf der tiefsten Erschöpfung; ein in den Kissen ruhender Engel von Wachs hätte nicht lebloser daliegen können, als dieses Kind in seinem spitzenbesetzten, weißen Nachtkleidchen ... Donna Mercedes kniete an seinem Bette und hatte die Rechte leise auf das kühle, fieberlose und schlaff hingesunkene Händchen gelegt. Nun war sie allem mit ihm, nun konnte sie ihre Augen wieder werden an dem Gesichtchen unter dem blonden Gelock, wenn es auch noch so unheimlich vertieft und dunkel in den Augenhöhlen, so abgezehrt und blutlos wächsern dalag – es sollte sich ja wieder runden und aufblühen zu seiner früheren Lieblichkeit. – Sie grub die Stirn in die weiße Decke, die den schwachatmenden kleinen Leib halb verhüllte, und ein lautloses, aber heftiges und befreiendes Ausweinen durchschüttelte ihren Körper.

      Der Nachtwind kam über die Rosenbäume des Vorgartens her; er zog heiß und balsamisch durch das Zimmer, und blähte die Vorhänge auf – die Knieende hörte, wie sich die Seidenfalten im Zurücksinken aneinander rieben. Es klang aber auch, als schleife ein Gewand draußen über die Steinmosaik der Säulenhalle, und plötzlich tastete eine Hand auf der Fensterbrüstung.

      Donna Mercedes fuhr empor – und da war das weiße Gesicht wieder. Eine schwere, graue Flechte wie ein Fürstendiadem über der Stirn, um die Schultern einen zurückgesunkenen schwarzen Schal, der jedenfalls das Haupt vermummt gehabt, stand die fremde Frau da und krallte die Hände um den Holzrahmen des Fensters.

      »Gestorben?!« stöhnte sie im wilden, halberstickten Aufschrei.

      Die Knieende erhob sich – dieser Anblick, der Stimmklang, der sich unbeherrscht einer schmerzgefolterten Menschenbrust entrungen, erschütterten sie. Lebhaft verneinend schüttelte sie den Kopf und wollte auf das Fenster zugehen – sofort wich das Gesicht draußen in die Nacht zurück; sie sah noch, wie sich die Brauen über die funkelnden Augen in finsterer Zurückweisung falteten, wie die großen, weißen Hände in wilder Hast das Tuch über den Kopf zogen, dann war die Fremde wie ein Trugbild verschwunden.

      Diesmal wollte und mußte Donna Mercedes Aufklärung haben. Sie eilte in die anstoßende Kinderstube; dort brannte kein Licht, und die Fenster standen offen. Sie bog sich weit hinaus, allein es war unmöglich, in der völligen Finsternis irgend einen Gegenstand zu sehen; nur einen Augenblick später hörte sie das eiserne Gittertor drüben an der Promenade leise klirrend zufallen.

      »Nun weiß ich's ganz genau – es war ein Mann –« sagte plötzlich eine männliche Stimme ganz in ihrer Nähe.

      »Daß du doch immer streiten mußt, alter Dickkopf!« fiel eine andere ärgerlich ein – sie gehörte dem Bedienten Robert. »Willst du nicht auch behaupten, es sei der tote Adam gewesen? – Eine Frau war's und dabei bleibt's – Hab' ich sie doch vor ein paar Tagen beinahe erwischt!«

      Das Fenster, an welchem Donna Mercedes stand, war das letzte der Zimmerreihe, es stieß an die Flurhalle und befand sich nahe der Haupttür, in welche die Männer soeben getreten sein mußten.

      »Wenn ich nur wüßte, was sie eigentlich will,« fuhr der Bediente fort. »Soviel steht fest, sie hat's auf die Säulenhalle abgesehen

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