Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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das Fortgehen zu erinnern. »Es ist sehr spät –« meldete sie unterwürfig, aber mit unruhig flackernden Augen – »und wenn die gnädige Frau heute wirklich das Geschäft noch abmachen wollen –«

      Lucile ließ sie nicht ausreden. Wie eine gereizte kleine wilde Katze sprang sie auf ihre Schwägerin los, als beabsichtige sie, ihr die Augen auszukratzen.

      »Du bist von jeher mein böser Geist gewesen,« zischte sie durch die Zähne. »Meine Triumphe hast du mir stets geschmälert, wenn nicht gestohlen, gelbe Zigeunerin, hochmütige Pflanzerprinzessin, du, indem du dich vordrängtest, indem du dich auf deine Baumwollsäcke stelltest – dagegen kommen bei euch drüben wirkliche Schönheit und Anmut natürlich nicht auf. Die dummen Leute bildeten sich nachgerade wirklich ein, die kleine Deutsche reiche dir das Wasser nicht, und schließlich haben sie dich auch noch zu meinem Zuchtmeister gemacht... Aber nun ist an mir die Reihe, Donna de Valmaseda! Nun sollst du sehen, was Lucile Fournier in Deutschland wert ist! ... Wenn ich bedenke, daß ich hier nur zu winken brauche, um alt und jung zu begeistern, so begreife ich selbst nicht mehr, wie ich's acht Jahre lang drüben in der Einöde, zwischen euren Reisfeldern und Zuckersiedereien ausgehalten habe.«

      Sie griff nach dem Sonnenschirm, den sie vorhin auf den Stuhl vor Paulas Bett geworfen hatte, und fegte mit ihrer seidenraschelnden Schleppe hinaus. Im Krankenzimmer huschte sie zu José hin und strich ihm mit schmeichelnder Hand das Haar aus der Stirn. »Mache, daß du aus dem Käfig da heraus kommst, Herzle!« sagte sie. »Du bist ja wieder gesund wie ein Fisch und könntest längst mit Pirat im Garten herumtollen ... Geh, sei ein rechter Junge und leide es nicht, wenn sie dich noch länger mit Spitalsuppen füttern wollen ... Adieu, Schatz!«

      Wenige Augenblicke darauf sah sie Donna Mercedes in Minnas Begleitung eiligst durch den Vorgarten schreiten. Drüben auf der Promenade wurde ein eben leer vorüberfahrender Mietwagen angerufen, und die kleine Frau fuhr nach der Stadt, um jedenfalls wieder einmal mit großen Einkäufen heimzukommen.

      Donna Mercedes sah ihr mit tiefverfinsterten Augen nach. Sie fühlte dieser gefallsüchtigen, vergnügungstollen Frau gegenüber oft das leidenschaftliche Verlangen, die Flinte ins Korn zu werfen und sich loszusagen. Auch jetzt durchfuhr ihr Herz der heiße Wunsch, der davonrollende Wagen möchte mit seiner schönen Insassin in die weite Welt hineinfahren, um – nicht wiederzukehren... Sie schrak zusammen und sah sich scheu um, als habe sie diesen blitzähnlich auftauchenden Gedanken laut ausgesprochen, und irgend eine in der Nähe lauernde böse Macht könnte sich seiner bemächtigen. Dabei fühlte sie den todestraurigen Blick ihres Bruders vorwurfsvoll auf sich ruhen, und beschämt gedachte sie der heiligen Versicherungen, die sie ihm gegeben, und unter denen er beruhigt die Augen für diese Welt geschlossen hatte ... O wunderliches Frauenherz! Unter den furchtbarsten Schicksalsschlägen ausdauernd und mit unerschöpflichem eigner Kraft sich immer wieder stählend, bäumte es sich gegen die Nadelstiche einer boshaften Zunge und fühlte den Mut erlahmen!... Dieses leichtfertige Schmetterlingsgeschöpfchen, die kleine Frau, die eben noch einmal im Davonfahren den Lockenkopf wie triumphierend nach dem Schillingshof zurückgewendet, sie war keine Erzieherin, kein Beispiel, kein Schutz für ihre Kinder; sie gefiel sich darin, durch heimliches Einflüstern, wie auch durch offenkundiges, rücksichtsloses Vorgehen das Wirken anderer in den jungen Seelen zu verwischen; und doch mußte alles geschehen, sie den Kindern zu erhalten, denn sie war und blieb die Mutter... Für Donna Mercedes selbst aber fielen noch mehr die immer aufs neue wiederholten inständigen Bitten ihres Bruders ins Gewicht, nach welchen sie alles aufbieten sollte, Lucile vor jeder Aufregung zu bewahren, damit sich ihr Brustleiden nicht weiter ausbilde. Wie oft hatte er angstvoll die Hände gerungen bei dem Gedanken, daß später unheilbare Schmerzen den zarten Körper heimsuchen könnten, den er bis zum letzten Atemzug über alles geliebt! ...

      Ruhiger geworden, setzte sich Donna Mercedes zu José und sprach mit leiser, sanfter Stimme zu ihm. Die laute, lebhafte Mama mit ihrem ungedämpft hohen Organ und den umherfegenden, seidenrauschenden Gewändern hatte den kleinen Patienten aufgeregt. Die dichten Fenstervorhänge mußten zugezogen werden, weil er sich selbst gegen das durch die verdüsternde Säulenhalle und den herabgelassenen Rollvorhang sehr gemilderte Tageslicht wieder empfindlich zeigte; er schrak beim leisesten Geräusch zusammen, und der Puls ging beschleunigter.

      Über dem Bemühen, die bösen Folgen der Aufregung zu beseitigen, war es Abend geworden. Deborah machte im großen Salon den Teetisch zurecht und fragte an, ob sie auch für Paula, die seit Josés Erkranken um diese Zeit stets bei ihrer Mama war, die Abendmilch herüberbringen dürfe; sie habe zwar drüben alles zum Tee vorgerichtet, aber die gnädige Frau sei noch nicht zurückgekommen.

      Donna Mercedes sah befremdet nach der Uhr – der Zeiger stand nahe bei acht; so lange war Lucile noch nie ausgeblieben... Ein unbestimmtes Bangen überschlich sie, eine leise Furcht vor jener geheimnisvollen Gewalt, die strafbare Wünsche, zu unserer eigenen Qual und Reue, oft blitzschnell verwirklicht...

      Sie trat an eines der Fenster des großen Salons und sah über den Garten hinweg. Noch war es tageshell; der Blütenschmuck der Rosenbäume, die Teppichbeete schimmerten farbenprächtig herüber, auf den Platanen lag ein letzter Goldhauch des Abendsonnenfeuers, die weißen Steinfiguren des Brunnenmonumentes hoben sich in scharfen Konturen von dem Samt des Rasenteppichs, und jenseits des Eisengitters, auf der Promenade, drängte sich ein reger Verkehr. Wagen rollten ab und zu, und Scharen von Spaziergängern strömten aus den benachbarten engen und heißen Straßen, um sich in der beginnenden Abendkühle der Kastanienallee zu erquicken.

      Wie töricht war es doch, sich zu ängstigen! Wäre irgend ein Unfall vorgekommen, es hätte längst Nachricht da sein müssen – die kleine Frau hatte sich offenbar in der Konditorei beim Naschen und Eisessen verspätet ... Aber es wurde allmählich dunkler; keiner der Mietwagen, die nur noch sehr vereinzelt von der Stadt herkamen, hielt am Gittertor, und das schwach herüberschallende Fußgeräusch auf den Gehwegen der Promenade war längst erloschen.

      Der Teetisch stand noch unberührt inmitten des Salons. Paula hatte ihr Abendbrot eingenommen und war zu Bett gebracht worden; Donna Mercedes aber durchmaß schweigend und ruhelos den Salon. Dann und wann hemmte sie in gespanntem Aufhorchen ihre Schritte, oder sie trat zu dem kleinen Kranken, der sich im unruhigen Schlummer hin und her warf ... Inzwischen war auch Jack wieder heimgekommen. Ei hatte Lucile in den letzten Tagen einigemal in die Stadt begleiten müssen, und nun war er auf Befehl seiner Herrin durch die Hauptstraßen gewandert; er hatte die gashellen Verkaufslokale durchforscht, in welchen die kleine Frau zu kaufen pflegte, und war in allen Konditoreien gewesen, aber niemand wollte die schöne amerikanische Dame aus dem Schillingshofe gesehen haben.

      So war Viertelstunde um Viertelstunde in sinnvoller Langsamkeit vorübergeschlichen; nun aber schlug es zehn Uhr auf dem nahen Benediktinerturm – diese hallenden Schläge fielen wie mit niederschmetternder Wucht auf das Herz der angstvoll Wartenden – sie ergriff die Lampe und ging in Luciles Räume. Es war ihr, als müsse sie das kleine, launenhafte Wesen, das ihr ebenso anvertraut worden war, wie die beiden Waisen, in der Sofaecke zusammengeschmiegt finden; allein die tiefe Finsternis, die ihr beim Offnen der Tür entgegengähnte, belehrte sie eines anderen.

      Im Wohnzimmer sah es unordentlich aus, wie es stets bei Lucile auszusehen pflegte. Man sah, die kleine Frau hatte hier, vor dem großen Pfeilerspiegel, Toilette gemacht. Auf dem Boden lagen noch die winzigen Pantöffelchen, wie sie im Übermut von den Füßen geschleudert worden waren; nicht weit davon breitete sich der weiße Frisiermantel über das Parkett, verschiedene Schleier, Bandschleifen und neue Handschuhe lagen durcheinander gezerrt und sichtlich die Spuren der Anprobe tragend, auf Tischen und Stühlen, und beim Umherleuchten trat Donna Mercedes auf die Puderquaste, die nach ihrem verschönernden Dienst den Pantoffeln und dem Frisiermantel gefolgt war.

      Und jetzt schrak die Suchende zusammen, als weiche der Boden plötzlich unter ihren Füßen; mit bebender Hand stellte sie die Lampe auf den Sofatisch, ihre Knie wankten, sie sank in den nächsten Lehnstuhl und starrte auf das weiße Kuvert, das, an sie selbst adressiert, mit offenbarer Absicht auf

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