Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
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Erik Truwor hielt die schon erkalteten Finger des Freundes in seinen Händen. Atma trat in den Raum. Er schritt auf Silvester zu und schloß ihm mit sanftem Druck die Augen.
»Er hat gegeben, was das Schicksal von ihm verlangte, das Wissen.«
Erik Truwor nickte und ließ seine Blicke auf den blassen Zügen ruhen.
»Das Wissen, das mir die Macht schafft.«
Er wandte sich von dem Toten weg nach dem großen Strahler. Nur die Farbschreiber tickten leise und warfen immer neue Nachrichten von den Kriegsschauplätzen auf das Papier. Mit schweren Schritten ging Erik Truwor auf den mächtigen Strahler los. Nur ein einziges Wort kam von seinen Lippen: »Auf!«
Wie Kampfruf klang es! Kampfruf war es!
Doktor Rockwell, der Leibarzt des Präsident-Diktators, und Hauptmann Harris, der diensttuende Adjutant, unterhielten sich mit gedämpfter Stimme im Vorzimmer.
»Solange der Präsident meinen ärztlichen Rat nicht wünscht, darf ich mich ihm nicht aufdrängen.«
»Es geht so nicht weiter, Herr Doktor! Das Leben hält auf die Dauer kein Mensch aus. Seit zwölf Tagen, seit der englischen Kriegserklärung, ist der Präsident nicht mehr aus seinen Kleidern gekommen, hat sein Arbeitzimmer kaum verlassen …«
»Ich gebe zu, daß solche Lebensweise angreifend ist, namentlich, wenn man die Fünfzig überschritten hat. Aber andererseits … bedenken Sie die außergewöhnliche Lage. Der Krieg mit einer ebenbürtigen Großmacht. Es geht um das Schicksal der Staaten und … des Diktators. Es ist schließlich nicht zu verwundern, daß er seine ganze Kraft an die Leitung des Krieges setzt.«
»Kraft! Kraft! Herr Doktor! Wo soll die Kraft herkommen, wenn er so gut wie nichts zu sich nimmt? Eine Tasse Tee. Ein paar Schnitten Toast. Das genügt ihm für vierundzwanzig Stunden. Dazu kein Schlaf. Ich habe den Präsidenten während meiner Dienststunden seit zwölf Tagen nicht schlafend gefunden. Meine Kameraden von den anderen Wachen auch nicht.«
»Er wird trotzdem geschlafen haben. Viertelstundenweis, zu Zeiten, in denen niemand in seinem Zimmer war. Zwölf Tage ohne Schlaf hält niemand aus. Das kann ich Ihnen als Arzt versichern. Am dritten Tage machen sich bei vollkommener Schlafentziehung schwere Symptome bemerkbar.«
»Die Symptome sind da, Herr Doktor! Darum bitte ich Sie, zu dem Präsidenten zu gehen. Sein Wesen ist verändert. Sein Blick, früher so ruhig und kalt, ist flackernd und fiebrig geworden.«
»Fieber erkennen wir an der Temperatur des Patienten. Seien Sie überzeugt, daß der Präsident in den zwölf Tagen in seinem Lehnstuhl ganz gut geschlafen hat. Die Natur läßt sich nicht betrügen. Am wenigsten um den Schlaf. Die ärztliche Wissenschaft kennt Beispiele, daß Reiter auf ihren Pferden im Zustand der Übermüdung fest geschlafen haben, ohne es zu wissen und ohne … das ist besonders wichtig … ohne herunterzufallen. Um wieviel mehr müssen wir annehmen, daß der Präsident in seinem bequemen Armstuhl den nötigen Schlummer gefunden hat.«
»Schlummer? Herr Doktor! Sie können so sprechen, weil Sie die Verhältnisse hier noch nicht aus der Nähe gesehen haben. Auf seinem Tisch stehen zwölf Telephonapparate. Jeder Apparat für eine besondere Wellenlänge. Er hat ständige Verbindung mit den Kriegsschauplätzen. Eben spricht er vielleicht mit dem Befehlshaber unserer afrikanischen Fliegergeschwader. Wenige Minuten später mit dem Chef der australischen Flotte. Unter Umständen meldet sich schon während dieses Gesprächs das indische Geschwader. So geht es Tag und Nacht.«
»Ihre Mitteilungen in Ehren, Herr Hauptmann. Trotzdem kann ich nicht ungerufen meinen Rat aufdrängen. Sollten sich wirklich ernsthafte Symptome zeigen, kann ich in zwei Minuten zur Stelle sein.«
Während dies Gespräch im Vorraum geführt wurde, saß der Präsident-Diktator in seinem Arbeitzimmer in dem schweren hochlehnigen Armstuhl hinter dem mächtigen Tisch. Hauptmann Harris hatte recht. Das Wesen Cyrus Stonards war verändert. Bald stierte er Minuten hindurch auf irgendeine vor ihm liegende Meldung. Dann blickte er wieder starr gegen die Zimmerdecke. Nervös, unruhig, als erwarte er jeden Moment eine bestimmte Nachricht.
Ein Sekretär trat ein. Vorsichtig, auf den Fußspitzen gehend, schritt er über den schweren Teppich bis an den Tisch heran und legte eine rote Mappe mit neuen Depeschen vor den Präsidenten hin.
Es waren gute Nachrichten. Erfolge in Indien. Eine für das Sternenbanner siegreiche Luftschlacht über der Straße von Bab el Mandeb. Auch ein anspruchsvoller Feldherr konnte kaum mehr verlangen. Doch der Präsident-Diktator las die Nachrichten ohne Freude.
Seit zwölf Tagen wurde sein Gehirn nur von dem einzigen Gedanken beherrscht: Wird das Spiel noch glücken oder wird die unbekannte Macht sich einmischen? Daß seine Streitkräfte mit den englischen fertig werden würden, daran hatte er nie gezweifelt.
Aber die Macht! Die unbekannte Macht, die Maschinen sprengte und drahtlose Stationen spielen ließ! Die unbekannte Macht, die über so unheimliche Waffen und Kräfte verfügte.
Telegramm um Telegramm las er und legte es beiseite. Bis er zu den beiden letzten Schriftstücken der Mappe kam.
Er las und wischte sich mit der Hand über die Augen, wie um besser zu sehen. Las zum zweitenmal, hielt die Depesche in den Händen und ließ den Kopf mit den Augen auf die Papiere sinken.
Zwei Depeschen waren es. Die eine um zwölf Uhr zehn Minuten amerikanischer Zeit von Sayville datiert. Die andere um sechs Uhr zwanzig Minuten westeuropäischer Zeit von der englischen Großstation in Cliffden. Berücksichtigte man die verschiedenen Ortszeiten, so waren beide Depeschen nur mit zehn Minuten Abstand aufgegeben worden. Zwei Depeschen von völlig gleichem Wortlaut: »An alle! Die Macht verbietet den Krieg. Die Macht wird jede feindliche Handlung verhindern.«
Was Cyrus Stonard seit zwölf Tagen heimlich fürchtete, was ihn zwölf Tage und Nächte in dieser unnatürlichen Spannung und Aufregung gehalten hatte, war geschehen. Die unbekannte Macht verbot den Krieg, stellte eine gewaltsame Verhinderung aller Operationen in Aussicht.
Der Diktator sprang auf und lief wie ein gefangenes Raubtier im Zimmer hin und her. Jetzt flatterte der helle Wahnsinn in seinen Augen. Seine Lippen murmelten Flüche, während er die Faust ballte.
Hauptmann Harris trat mit einer neuen Depeschenmappe in das Zimmer. Er sah mit Schrecken, wie der Zustand des Diktators sich verschlimmert hatte. Cyrus Stonard riß ihm die Mappe aus der Hand, beugte sich über den Schreibtisch und las. Seine Augen weiteten sich, während er den Inhalt der Depesche verschlang. Dann stieß er die Mappe weit von sich und brach in ein gellendes Gelächter aus. Ein Lachen des Wahnsinns und der Verzweiflung, das immer schriller und krampfartiger wurde. Bis es schließlich mehr Schluchzen als Lachen war. Dann stürzte er auf der Stelle, auf der er stand, nieder und lag regungslos auf dem Teppich.
Jetzt war es Zeit, Dr. Rockwell zu rufen. Hauptmann Harris bettete den Bewußtlosen auf den Diwan und ging dem Doktor zur Hand, solange er gewünscht wurde.
Eine Viertelstunde nach der Erkrankung waren die Staatssekretäre des Krieges, der Marine, des Innern und Äußern zur Stelle. Sie hörten den Bericht des Arztes. Prüften dann die Schriftstücke, die der Präsident-Diktator zuletzt bekommen hatte. Die beiden Depeschen von Sayville und Cliffden, die noch zerknittert auf der Schreibmappe lagen.
Die Mitglieder des Kabinetts wußten nur wenig von der Existenz der unbekannten Macht. Gerade das, was sich nach der ersten warnenden Depesche in Sayville nicht mehr gut verheimlichen ließ. Cyrus Stonard hatte diese