Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
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Er ließ das Blatt verwundert sinken.
»Beim Zeus, eine kühne Sprache! Welche Macht kann es sich erlauben, uns den Krieg zu verbieten, zwei Weltreiche zu brüskieren?«
»Die Macht! Wie das klingt? Geheimnisvoll und anmaßend! Ist es denkbar, daß der Diktator durch diese Depesche so schwer erschüttert worden sein sollte?«
Sie suchten weiter. Hauptmann Harris wies dem Staatssekretär des Krieges die Mappe, bei deren Lektüre der Präsident zusammenbrach.
Sie lasen die zweite Depesche, und ihre Wirkung auf diese vier Staatsmänner war niederschmetternd.
Sie kam von dem Chef der großen amerikanischen Atlantikflotte. Es war der verzweifelte Ruf eines wehrlos gemachten und von einer mysteriösen Kraft gepackten Geschwaders. Der Anfang der Depesche setzte um 12 Uhr 30 ein. Dann war sie bruchstückweise immer weitergegeben worden, wie die Ereignisse sich abspielten: »Klar zum Gefecht. In Schußweite mit der englischen Atlantikflotte … Die Feuerleitung versagt … Unsere Geschütze können nicht feuern … Können auch nicht laden … Geschützverschlüsse mit den Rohren verschweißt … Geschütze unbrauchbar … Torpedos unbrauchbar … Englische Flotte feuert auch nicht … Rudermaschinen blockiert … Unsere Schiffe nach Osten gezogen … Die englische Flotte zieht in geschlossener Kiellinie dicht an uns vorüber nach Westen … Auf der englischen Flotte große Verwirrung … Unsere Panzer schließen sich dicht zusammen … aller Stahl stark magnetisiert … Die englische Flotte am Westhorizont verschwunden … Eine unwiderstehliche Kraft treibt unsere Schiffe mit 50 Knoten nach Osten … Gott sei unseren Seelen gnädig.«
Sie lasen die Depesche öfter als einmal und verstanden das Gelächter, mit dem Cyrus Stonard zusammengebrochen war. Das war also die Macht! Die unbekannte, geheimnisvolle Macht, die den Krieg nicht wollte. Die Macht, die die Mittel besaß, um alle Waffen wirkungslos zu machen. Die Macht, deren erste Warnung man ignoriert hatte, und die nun ihre Gewalt zeigte.
Die Katastrophe betraf die große amerikanische Schlachtflotte. Die Ehre des Sternenbanners war bei der Affäre engagiert. Aber trotzdem konnte sich keiner der vier Staatsmänner der Wirkung des titanischen Humors entziehen, der in diesem Verfahren lag. Eine Macht, die Geschütze verschweißte und Schlachtpanzer elektromagnetisch zusammenklebte, eine Macht, die eine ganze Flotte willenlos durch den Ozean zog, wäre auch imstande gewesen, die Schlachtschiffe zu versenken. Sie tat es nicht. Sie lähmte die Waffen und zog die feindlichen Flotten in nächster Nähe aneinander vorüber, die amerikanische Flotte nach England und die englische Flotte nach Amerika.
Denn so ging die Reise ganz offenbar. Wenn noch irgendein Zweifel darüber bestand, wurde er durch das Telephon beseitigt, das sich auf dem Tisch des Präsident-Diktators meldete. Die drahtlose Verbindung mit der Atlantikflotte.
Der Staatssekretär der Marine eilte an den Apparat und erkannte die Stimme des Admirals Nichelson, der sich bei der Atlantikflotte befand.
»Habe ich die Ehre, mit Seiner Exzellenz dem Herrn Diktator zu sprechen?«
»Nein! hier ist der Staatssekretär der Marine. Der Herr Präsident-Diktator hat sich für kurze Zeit zur Ruhe begeben. Berichten Sie an mich. Ich habe Ihre Depesche über die Katastrophe vor mir liegen.«
»Sie wissen?«
»Ich weiß, daß Ihre Flotte kampfunfähig mit fünfzig Seemeilen nach Osten treibt.«
»Es sind inzwischen hundert geworden. Unsere Schiffe rasen, halb aus dem Wasser gehoben, ostwärts. Wir besitzen keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Wir müssen abwarten, was das Schicksal mit uns vorhat.«
»Wie sieht es auf der Flotte aus? Sind noch weitere Beschädigungen auf den Schiffen eingetreten? Wie ist der Zustand der Besatzung?«
»Beschädigungen? … Keine weiter. Jedes Geschütz am Verschluß verschweißt … Der Zustand der Mannschaften? … Fragen Sie lieber nicht … Keine Disziplin mehr. Ein Teil der Leute vom religiösen Wahnsinn befallen. Liegen auf den Knien, singen Psalmen, erwarten das Jüngste Gericht. Einige über Bord gesprungen. Geht die Fahrt so weiter, landen wir morgen in England.«
Der Staatssekretär der Marine legte den Hörer auf den Apparat. Er trat an den großen Globus, steckte einen Kurs ab und rechnete. Dann wandte er sich zu seinen Kollegen.
»Meine Herren! Ich glaube, wir dürfen die englische Flotte morgen etwa um die neunte Stunde an der amerikanischen Küste erwarten.«
Mr. Fox sprach durch das Telephon mit Dr. Rockwell.
»In dem Befinden des Herrn Präsident-Diktators ist bisher keine Änderung eingetreten. Die Staatsgewalt liegt nach der Verfassung bei den Staatssekretären.«
Während sich die Ärzte bemühten, Cyrus Stonard ins Bewußtsein zurückzurufen, übernahmen die vier Staatssekretäre die Lenkung des schwankenden Staatsschiffes.
Dr. Glossin saß in seiner Neuyorker Wohnung und überschlug die Ergebnisse seiner politischen Tätigkeit. Seit acht Tagen war er in Amerika und hatte keine Stunde seiner Zeit verloren. Mit den Führern der Sozialisten und mit denen der Plutokraten hatte er verhandelt, Arbeiter und Milliardäre waren der Herrschaft des Diktators gleichmäßig müde. Leise Schwankungen des sonst so festen und zuverlässigen Bodens deuteten auf kommende gewaltsame Ausbrüche.
Noch jetzt wunderte sich Dr. Glossin über die Vertrauensseligkeit, mit der die Parteiführer der Sozialisten und Plutokraten ihm entgegengekommen waren. Wer gab denen denn den Beweis, daß er wirklich von Cyrus Stonard abgefallen sei? Was wußten die Tölpel von der unbekannten Macht? Von allem, was noch zu erwarten war?
Dr. Glossin kannte die Pläne der Roten und der Plutokraten und hatte ihre Chancen genau erwogen. Beiden Parteien würde die Revolution zweifellos glücken. Aber in beiden Fällen würde der Erfolg kein vollkommener sein, würde es im weiteren Verlauf unbedingt zum Bürgerkriege kommen. Machten die Roten die Revolution, würden der Westen und ein Teil der Mittelstaaten sich dagegen erheben. Machten sie die Weißen, würde umgekehrt der Osten rebellieren.
In den Vereinigten Staaten gab es aber noch eine dritte Partei, deren Mitglieder sich einfach als »Patrioten« bezeichneten. Eine Partei, für die Dr. Glossin bis vor kurzem nur ein Achselzucken übrighatte. Die Patrioten waren so unzeitgemäß, die Politik nur des Vaterlandes und der alten amerikanischen Ideale halber zu treiben. Freiheit des einzelnen und des ganzen Staatswesens. Abschaffung aller Korruption. Innehaltung von Treu und Glauben bei allen, auch bei politischen Abmachungen. Das Programm der Patriotenpartei bestand aus idealen Forderungen. Darum hatte sie Cyrus Stonard auch gewähren lassen, hatte sie ebenso wie Glossin für ungefährliche Schwärmer gehalten.
Erst vor fünf Tagen war der Doktor mit William Baker, dem Führer der Partei, in Verhandlung getreten. Nachdem er in Erfahrung gebracht, daß die Roten und die Weißen am gleichen Tage losschlagen wollten. Er hatte die Partei zum Handeln aufgepeitscht. Er hatte sich mit Mr. Baker eine lange Nacht hindurch eingeschlossen, einen vollständigen Revolutionsplan mit ihm entworfen und in allen Einzelheiten ausgearbeitet. So raffiniert und wirkungsvoll, daß dem Parteiführer vor der teuflischen Schlauheit des Arztes graute.
Nur über die Behandlung und Beseitigung des Diktators waren sie nicht einig geworden. Glossin war für Lufttorpedos auf das Weiße Haus. Mr. Baker war gegen jedes Blutvergießen. Er verkannte die großen Verdienste des Präsident-Diktators um die Union nicht. Cyrus Stonard sollte weg, sollte der Macht beraubt