A.I. APOCALYPSE. William Hertling

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A.I. APOCALYPSE - William Hertling Singularity

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ihn an.

      »Kannst du uns sagen, warum die Kolonien sich von Großbritannien unabhängig erklärten?«

      Leon starrte die Lehrerin einfach nur an. Sie sprach zwar mit ihm, aber die Worte schienen aus großer Ferne zu kommen. Wovon redete sie überhaupt?

      Die Lehrerin ging zu ihrem Pult. »Mr. Tsarev, würden Sie freundlicherweise aufpassen?« Dies war keine Frage.

      Leon nickte geistesabwesend und wartete, bis sie ihm den Rücken zudrehte, um die Mail weiter zu lesen.

       Sie sind sehr unglücklich über das schrumpfende Botnetz und geben mir zwei Wochen, um einen Virus zu entwickeln, der das Botnetz wieder ausdehnt. Nichts, was ich bisher ausprobiert habe, funktioniert. Ich habe nur noch eine Woche, und ich fürchte, sie werden …

      »Mr. Tsarev.« Leon sah auf und fand seine Lehrerin über ihn gebeugt. »Muss ich Ihnen erst das Handy abnehmen?«

      »Aber wie soll ich mir dann Notizen machen?«, fragte Leon in seinem unschuldigsten Tonfall.

      »Das wäre vielleicht der Fall, wenn du wirklich zuhören würdest, aber da du das nicht tust, denke ich, dass die Notizen deine geringste Sorge sind.« Sie ging zurück nach vorne, behielt Leon dann aber die ganze Zeit im Auge. Um genau zu sein, sah sie für den Rest der Stunde nicht mehr weg.

      Sobald Leon den Klassenraum verlassen konnte, lief er hinüber in eine Ecke des Korridors, um die Nachricht fertig zu lesen.

       Ich habe nur noch eine Woche, und ich fürchte, sie werden mich töten, wenn ich ihnen keinen neuen Virus liefern kann. Neffe, deine Eltern reden ständig über deine Fähigkeiten am Computer, und ich muss wissen, ob ihre Worte wahr sind. Wenn du mir helfen kannst, dann kontaktiere mich sobald wie möglich. Ich gebe dir die nötigen Hintergrundinformationen über die Entwicklung von Viren: Quellcode, Programmierbeispiele, Details über Wirkmechanismen und die Methoden, die die Antivirussoftware benutzt. Ich habe nicht mehr viel Zeit.

       Was du auch tust, sprich bitte nicht mit deinen Eltern über diese Sache.

      Leon hob seinen Blick von dem kleinen Display und starrte in die Ferne. Er erinnerte sich an ein Weihnachten, als er jung gewesen und sein Onkel aus Russland gekommen war, um sie zu besuchen. Sein Vater hatte geweint, als sein Bruder in ihre kleine Wohnung kam. In den folgenden Tagen während der Weihnachtsferien schienen Leons Eltern so glücklich wie nie zuvor. Seine Eltern waren meist sehr ernst, aber er erinnerte sich deutlich, wie fröhlich sie gelacht hatten, selbst tief in der Nacht, wenn Leon schon im Bett lag und zu schlafen versuchte.

      Der Gedanke, einen Virus zu schreiben, erschien ihm absurd und dass deshalb jemand getötet werden könnte, erschien ihm nicht weniger absurd. Was konnte er tun? Während seiner nächsten Stunde grübelte er darüber. Er hatte Englisch. James saß neben ihm und bewarf ihn mit kleinen Papierkügelchen. Leon bedeckte sein Ohr, das James' wahrscheinlichstes Ziel war, und tat so, als würde er dem Lehrer zuhören, obwohl er nicht aufhören konnte, über die Mail nachzudenken. Er konnte einfach den freundlichen Mann, der ihm zu Weihnachten ein Fahrrad geschenkt hatte, nicht mit dem Bild eines Mannes in Verbindung bringen, der Computerviren für die Mafia schrieb. Und wenn es eine Sache gab, die Leons Eltern ihm immer wieder eingeschärft hatten, dann war es, sich aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Seine Familie hatte nicht das Geld, um ihn aufs College zu schicken, was bedeutete, dass er ein Stipendium brauchte. Für Kids mit Vorstrafen gab es keine Stipendien.

      Er hasste es, wenn die Logik der Eltern sein eigenes Denken beeinflusste, aber so war es eben. Er wollte Biologe werden. Das bedeutete, dass er auf ein richtig gutes College gehen musste – er hoffte auf das Caltech oder das MIT. Nein, seinem Onkel zu helfen, war der direkte Weg in Schwierigkeiten.

      

       Onkel Alex, natürlich erinnere ich mich an dich! Ich bin stolz auf dein Vertrauen in mich, aber ich weiß absolut nichts über Computerviren. Ja, ich kenne mich ganz gut mit Computern aus, aber es geht dabei hauptsächlich um Onlinespiele und Biologie. Ich glaube nicht, dass ich dir helfen kann. Leon

      Biologie war auch das Thema der nächsten Stunde. Der Gedanke an sein Lieblingsfach brachte ein Lächeln auf sein Gesicht. Er konnte nicht sagen, was ihm so sehr an seinem Biologiekurs gefiel, aber er konnte nicht leugnen, dass es die Stunde war, auf die er sich jeden Tag am meisten freute.

      Von allem Stoff in der Schule barg Biologie für ihn die kühnsten Konzepte: Leben konnte jederzeit aus dem Nichts entstehen. Es konnte sich ohne ein spezifisches Ziel entwickeln. Alles, was den Menschen ausmachte, war Zufall und Überlebensinstinkt. Man konnte Lebensformen variieren, sie auf der Basisebene verändern, um neue Lebensformen entstehen zu lassen. Die Möglichkeiten waren grenzenlos und spontan.

      In der heutigen Biologiestunde ging es um rekombinante DNS, eine Technik, mit der man DNS-Sequenzen aus verschiedenen Quellen zusammenbrachte, um Kombinationen zu erzeugen, die es in der Natur nicht gab. Am Ende der Stunde ging Leon zur Tür, tief in Gedanken über die DNS von Caninen versunken. Plötzlich schnitt ihm Mrs. Gellender den Weg ab.

      »Leon, hast du eine Minute?«

      Leon sah sich um, wollte sich vergewissern, dass keine Freunde von ihm in der Nähe waren. Die Luft war rein. Er nickte.

      »Ich baue ein Schulteam für Computerbiologie auf. Es wird in New York eine neue Stadtliga geben. Ich denke, du wärst perfekt. Das Team wird sich nach der Schule treffen.«

      Leon mochte Mrs. Gellender. Er hatte sie wirklich gern. Und er liebte das Fach Biologie. Ein Teil von ihm war interessiert, wirklich interessiert. Aber, Mann-o-Mann, wie uncool wäre das denn? Und dann auch noch nach der Schule hierbleiben – das nervte.

      Mrs. Gellender musste seinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet haben. »Du machst exzellente Arbeit in meinem Biologiekurs. Das Essay über Evolution, das du eingereicht hast, war wirklich inspirierend. Mir gefiel die Art, wie du biologische Evolution mit der Spieltheorie verknüpft hast.«

      Leon spürte, wie er rot wurde. Wenn es etwas gab, was noch schlimmer war als nach der Stunde zu bleiben, um mit der Lehrerin zu reden, dann war es, von ihr für die Hausaufgaben gelobt zu werden. Wie peinlich konnte es noch werden?

      »Denk einfach darüber nach. Bitte. Mitglied des Teams zu sein, würde dir auch sicher bei deinem College-Stipendium helfen.« Mrs. Gellender hielt ihm einen Hochglanzflyer hin.

      Leon nahm das Blatt und hörte die Worte aus seinem Mund kommen. »Okay, ich mache es.«

      Er ging aus den Raum. Collegestipendium. Wenn er aufs College, auf irgendein College gehen wollte, brauchte er ein Stipendium. Seine Mutter machte Maniküre, sein Vater Grafikdesign. Sie machten beide nicht das große Geld.

      Schließlich lief er durch die nun leeren Schulkorridore auf den Haupteingang zu. Als er durch die Tür ging, wurde er von beiden Seiten attackiert. »HAJAAAH«, erklang der Kampfschrei, und Leon fuhr zurück.

      James und Vito standen lachend da. Mit klopfendem Herzen keuchte Leon: »Ihr Idioten, ich hatte fast einen Herzanfall.«

      »Wenn du wirklich einen Herzanfall willst, dann schaue dir das hier an.«

      James griff in seine Jackentasche und zog einen schwarzen Quader heraus. Er hielt ihn Leon hin. Der leckte sich die Lippen und nahm es James aus der Hand. Es war das dunkelste, matte Schwarz, das Leon je gesehen hatte. Es fühlte sich ein wenig warm an, wie ein Stück Holz, das in der Sonne gelegen hatte.

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