Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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dem Docht der Lampe, lächelte zart und erinnerungsvoll, wobei seine Augen strahlend und weit wurden. Dann sagte er, als ob er zur Lampe rede: »Da trifft man irgend einen Wanderer auf der Straße, in der Nacht, im Schnee und gleich schmieden sich Schicksale zusammen. Und man geht mit dem sonderbaren Wesen, spricht kaum, erfährt kaum einen Namen, nichts als einen lumpigen Theaternamen. Myra! Was für eine unverständliche Zusammenstellung von Buchstaben? Bis gestern noch etwas so unbekanntes wie der eigene Todestag, heute ein Ereignis, von dem alle Stunden schwer sind. Ich begreif’ es nicht, was die Leute Erleben nennen. In einem Geheimnis schlendern wir herum.«

      Voll Teilnahme, Sympathie und aufrichtiger Gesinnung blickte der Lehrer sein Gegenüber an. Er ahnte, daß ihm etwas wie ein wirklicher Mensch begegnet sei.

      Sechstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Brummbaß, zwei Geigen und eine Klarinette machten vortreffliche Musik vor Beginn des Stückes. Der »große Saal« des fränkischen Hofes, der eigentlich nur eine geräumige Wirtsstube war, füllte sich mit Zuschauern. Die Sitze der vorderen Reihen bestanden aus wirklichen Stühlen, während für die minder vermögenden Leute lange Bretter über Bierfässer gelegt waren. Alles strömte herbei, was für Kunst und Bildung eingenommen war. Man sah die Spitzen des »Kasino«, einer preiswürdigen Vereinigung der eleganten Kreise: die Frau Notar mit ihren Töchtern, die Frau Oberamtmann, die Frau Steuerrat, die Frau Expeditor, die Frau Apotheker, die Frau Major, die Frau Schulrat. Sodann zeigten sich die weniger ausgezeichneten Damen, die jüdischen Kaufmannsfrauen, die Handwerkerfrauen, welche aus Ehrfurcht vor jenen Titularherrlichkeiten nur zu flüstern wagten. Nicht so gebieterisch nahm sich die vornehme Männerwelt aus, aber man weiß, daß die stumme Würde keineswegs die geringere bedeutet. Es war eine Luft von Frohsinn und heiterer Erwartung, denn so versammelt das Theater stets die gutgestimmten Elemente, aller Nebeninteressen entledigt, um im entzückenden Spiel, nicht nur vor den Augen der eleganten Kreise, die Macht der Kunst zu erproben. Alles ist da einer edleren Erhebung geweiht. Niemand stellt sich ein, etwa nur um einen Schauspieler zu bewundern, oder um eine kostbare Robe sehen zu lassen, oder einen mißliebigen Verfasser um den verdienten Erfolg zu bringen.

      Der Vorhang erhob sich, und mit feierlichem Schritt erschien der Direktor, um den dichterischen Prolog des Barons von sich zu geben. Der Vortrag des Poems war nicht ohne Geschmack. Der Redner schrie oder brüllte nur, wenn es kaum zu umgehen war. Bei der Stelle: Wahrheit und Natur sind eins! streckte er beide Arme von sich, wie um ein Gespenst abzuwehren, und machte eine Generalpause, – eine verblüffende und gut gewählte Einzelheit. Als der Prolog zu Ende war, bekam die erste Geige ein ergreifendes Solo zu spielen. Der Baron saß mit tiefsinnigem und beglücktem Gesicht in der ersten Reihe, und einige Honoratioren kamen, ihm gerührt und mit Achtung die Hand zu schütteln. Seine Frau aber war in weicher Hingebung an seine Schulter gelehnt und blickte schmachtend ins Leere. Im Grund konnte sie nur schlecht ihre Verstimmung und ihren Ärger verhüllen, denn nicht der Provisor saß zu ihrer Linken, wie es verabredet war, sondern Philipp Unruh. Der wagte weder um sich noch neben sich zu blicken, ihn schüchterte der vornehme Platz ein, und er war froh, als der Vorhang für »Melchior oder die Leiden des Alters« aufging und eine atemlose Stille im Publikum eintrat. Nur die Baronin hörte er bisweilen vor sich hinseufzen.

      Es kam da ein alter und ein junger Mann vor. Der alte Mann hieß Melchior und war der Vater, der junge hieß Balthasar und war der Sohn. Der Sohn war ein verwerfliches Subjekt, denn er wollte Soldat werden, während der Alte wünschte, daß er sich zur Theologie wende. Die Verwerflichkeit dieses Sohnes ging so weit, daß er sich in ein armes Mädchen verliebte, und als die betrübende Tatsache nicht länger zu verheimlichen war, erschien das Mädchen selbst vor dem bitterbösen aber rechtschaffenen Melchior, welcher vom Direktor mit dem Gefühl eines gekränkten Patriarchen gespielt wurde. Die Person, welche die Rolle der armen Liebenden spielte, hatte zuerst nur wenige Worte zu sprechen; und sie sprach nicht, sondern flüsterte nur hastig und erschreckt, mit Seitenblicken auf die Zuhörer. Man hatte sie jämmerlich kostümiert: eine Mischung von Empiredame und Fabriksmädchen; aber in ihren Bewegungen verleugnete sich jedes Kostüm, war etwas, das anstatt aller Worte redete, und nicht aus der Rolle, sondern aus dem Wesen. Dies ist sicherlich Myra, dachte sich der Lehrer, und was ihn in Erstaunen und Verwirrung setzte, war Myras schöner Mund. Ihn dünkte, daß er einen ähnlichen Mund nie gesehen habe. Er sah Trauer und Anmut darin, Güte und Verschwiegenheit, Sehnsucht und frühen Tod. Es waren so jähe und starke Empfindungen, daß er dabei nicht auf sich selbst und seine Gedanken achtete, sondern sich nur einer Folge von seltsamen Einflüsterungen übergab. Myra verließ den Schauplatz und es wurde still auf der Bühne, obwohl noch immer Leute hin-und hergingen und sich erhitzten. Myra kam wieder, und die Luft schien von Wohlgeruch, ja von einem weithertönenden Gesang erfüllt. Die Lippen des schönen Mundes hoben sich und senkten sich in einer sanften, geheimnisvollen Bewegung, wie wenn der Nachtwind über zwei Rosenblätter huscht, die auf einen Marmorstein verweht sind. Und abgesehen von aller Schwermut war damit eine Art unsichtbarer, tiefer Heiterkeit verbunden, welche vielen Frauen das Seherische und zugleich das Vertrauenswürdige verleiht. Philipp Unruh saß vorgebückt da, hatte seine Hände flach zusammengedrückt und zwischen die Knie geschoben und fürchtete, daß jeder ihn beobachten müsse, und daß es um den Ruf seiner Vernunft geschehen sei. Auch diese Empfindung war ihm unklar. Sein ganzes Wesen geriet in eine Verworrenheit, welche Traumgefühle in ihm erzeugte. Myras Stimme wurde lauter und klarer, aber wenn sie sprach, blieben ihre Züge unbeweglich. Als Schauspielerin mußte sie das Mitleid eines Kenners wie Doktor Maspero erregen, und als die Sache unter großen Bemühungen bis zum Vaterfluch jenes ungewöhnlichen Melchior gediehen war, schrieb der erwähnte kritische Herr bedenkliche Notizen auf ein Rezeptpapier. Einige Leute, die es sahen, nickten respektvoll einander zu, denn der Geist der Verneinung ist an jedem Platze hochgeachtet. Melchior begann eben nebst verschiedenen anderen Dingen auch sich selbst zu verfluchen, als sich unter den Damen im Zuschauerraum eine wachsende Panik bemerkbar machte. Eine Ratte lief im Saal umher, verbreitete einen Schrecken, gegen den alle Wirkungen des zehnaktigen Lebensbildes verblaßten. Stets ist es die gemeinsame Gefahr, welches die Standesunterschiede verschwinden läßt. Bleich und zitternd erhoben sich die Frauen, und das Podium für das Schauspiel hatte plötzlich die Bedeutung einer Insel im Ozean. Melchior hörte auf, Melchior zu sein und machte für die Flüchtlinge, die nicht bis zur Saaltür hatten gelangen können, die Honneurs. Unten im Ozean waren nur noch Männer ernst und pflichtbewußt damit beschäftigt, das Untier aufzuspüren und zu töten. Auch Philipp Unruh hatte sich erhoben, verließ mechanisch den Raum und stand bald in dem verödeten Wirtsgarten draußen. Es wehten milde Lüfte, und der Schnee war weich geworden. Überall waren sickernde Geräusche vernehmbar; von den Bäumen und von den Rinnen tropfte das Tauwasser. Vor dem Tor eines Schuppens hockten zwei Katzen eng aneinander geschmiegt, und sie rührten sich nicht, sondern blickten stumpfsinnig in die flimmernden Lichter vom nahen Bahnhof. Nun war weiterhin ein ganz finsterer Winkel, denn der Schuppen grenzte an die Kegelbahn, und die beiden Mauern bildeten eine tiefe Ecke.

      Vor der Holztüre des Schuppens stand ein kleiner Handwagen und daneben eine Bank, auf welche sich der Lehrer setzte, Stille vor sich, Stille hinter sich, aber im Innern mancherlei Stimmen und Laute. Und als er so in einem Zustand fremdartigen Lauschens dasaß, knirschte der Schnee unter langsamen, näherkommenden Tritten. Eine Mädchengestalt tauchte auf, die den Kopf gesenkt trug und am Eck des Schuppens wie ermüdet stehen blieb. Als fürchte sie, gehört zu werden, setzte sie ihren Weg mit kaum vernehmlichem Auftreten fort bis zu dem Handwagen, auf dessen Deichsel sie sich setzte, die Ellbogen auf das Wagenbrett stützend. Das alles verfolgte Philipp Unruh genau, da seine Augen sich längst an das Dunkel gewöhnt hatten. Aber in einem unbewußten Drang von Scham und Furcht wandte er seine Augen ab, und in demselben Moment hörte er ein Schluchzen, dessen Unaufhaltsamkeit offenbar nur durch fest zusammengepreßte Lippen gemildert wurde. Den Lehrer begann es am ganzen Körper zu frieren, und sein Blick umschleierte sich. Er dachte nichts als den märchenhaften Namen Myra und sah nichts als einen Mund, der sich krampfhaft im Schmerz verschloß. Hatte sie nicht einmal vier Wände, um sich ausweinen

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