Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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      Dazu kam noch, daß mir die Fremde ganz wie mit einem Male den Blick verwandelt hatte. Entweder war ich nicht mehr derselbe, oder die Heimat war nicht mehr dieselbe. Aufrichtig gesagt: die Luft im Reich gefiel mir nicht. Sie war mir zu wetterwendisch; winterlich scharf von oben und giftig süß von unten, fast wie eine afrikanische Nacht. Nichts wurde mit Wohlwollen reguliert, alles mit Manometer, und wer hinten nicht gestoßen wurde, der ging nach vorne nicht weiter. Unsre jungen Herren fand ich so ohne jede Herzlichkeit, daß sich einem der Gaumen zusammenzog, wenn man mit ihnen redete. Immer bloß aufs Elegante versessen, geschniegelt wie die Reitpferde und trocken wie Stiefelsohlen. Die Aristokraten hochnäsig und zimperlich, die Bürgerlichen streberhaft und vom frischen Reichtum verdorben und verweichlicht, das Volk rebellisch und respektlos. Keiner, der aus Eigenem was vorstellte, erst durch sein Geld oder sein Amt oder seine Orden oder seine Hemdbrust. Großes Maul, ja, aber kein freies Wort, keine offene Meinung. Hölzernes Getue galt für Form, kaltschnäuziges Nörgeln für Geist und öde Prahlhanserei für Selbstbewußtsein.

      Wenn man mir die Berechtigung abstreitet, eine solche Sprache zu führen, so habe ich allerdings keine andere Antwort, als den Hinweis auf eine bis dahin ehrenhafte Existenz. Es war mir eben die Laune verdorben, und eher trübgestimmt als hoffnungsvoll kam ich nach der kleinen Garnison. Auch hier fühlte ich mich nicht wohl; ich begann mich zu langweilen; ich merkte alsbald, was das heißt, in einer Provinzstadt zu leben, die trotz ihrer vierzigtausend Einwohner etwas ist wie ein Sparta des Altertums, mit ebenso streng geschiedenen Kasten, nur daß die kriegerische Härte der Vorschriften durch minder folgenschwere, aber keineswegs leicht zu übertretende Bestimmungen gesellschaftlichen Charakters ersetzt werden. Da sind die Spitzen der Behörden, die militärischen Würdenträger, die Industriellen, die Gutsbesitzer, die jungen Leute, die eine Rolle spielen, die andern, die bloß eine spielen möchten; da ist die Generalin oder Oberstin, die das Wetter macht, und die kleine Apothekersgattin, die gerade noch geduldet ist; da ist die reiche Fabrikantenfrau, die ihre Toiletten aus Berlin bezieht, und die Frau Amtsrichter, die aus ihrem Wirtschaftsgeld mittelst rührender Entbehrungen den Preis für ein einziges schwarzes Seidenkleid erübrigt, das sie unter Beihilfe der Köchin und eines Mädchens vom Lande selber näht und das ihr die abendlichen Feste verbietet, wenn der Stoff an den Ärmeln den fatalen Mattglanz zu zeigen beginnt. Zu Kaisers Geburtstag gibt der Regierungspräsident einen Ball; zur Errichtung eines Kriegerdenkmals wird eine künstlerische Soiree veranstaltet, bei welcher allerlei junge Mädchen wegen ihrer Fortschritte in Gesang und Klavierspiel beklatscht werden; man geht ins Theater, man wird zur Enten-und Hasenjagd geladen, und die verheirateten Frauen holen sich aufregende Romane aus der Leihbibliothek. Einmal im Monat ist Parademarsch, am Sonntag nach der Kirche spielt die Regimentskapelle auf dem Residenzplatz, abends sitzt man dann im Kasino oder im Speisesaal des Hotels de l’Europe, und nach elf Uhr nachts lungern nur noch irgendwo hinter abgesperrten Türen ein paar ausgestoßene Existenzen an einem Kartentisch, und zwei Studenten brüllen vor dem Fenster einer begehrten Kellnerin das Krambambuli.

      Alle diese kennen einander und wissen vieles von einander und verbergen sich voreinander und schätzen einander und sind einander im Wege und passen einander auf. Das enge Zusammenleben begünstigt Klatsch und Übelrednerei; jeder kehrt den Schmutz vor des Andern Tür; Dummheit, Bosheit, Neid und Mißgunst lassen selbst den Redlichen nicht ungeschoren, alles, was Aufsehen macht, findet Teilnahme, alles, was in der Mode ist, Nachahmung; für ernsthafte Interessen ist wenig Sinn. Dies erfuhr ich bald. So sehr es anfangs meinem Selbstgefühl schmeichelte, daß ich nun auch zu Hause ein jemand war, der Beachtung verdiente und Ansehen genoß, denn es war ja meine engste Heimat dahier, so wenig wurde ich meines Wirkens froh. Ich kam mir vor wie ein verfaulender Baum.

      Ich erinnere mich nicht mehr genau, an welchem Tag es war, als ich die Majorin Westermark kennen lernte. Ich schließe daraus, daß sie mir damals wenig Eindruck gemacht hat. Ich sah sie zum erstenmal bei der Frau von Rütten, die eine Freundin meiner Mutter ist, und die, wie mir meine Mutter vorsichtig verriet, die löbliche Absicht hatte, mich mit ihrer siebzehnjährigen Tochter zu verheiraten. Ich machte mir aber nichts aus dem Mädchen, und das ist lediglich mein Fehler, da sie ein hübsches und vernünftiges, obschon etwas nüchternes Geschöpf ist. Nach allem, was ich bereits über die Majorin gehört, hatte ich mir eine junonische Gestalt gedacht und war deshalb überrascht, sie so klein, zart und kindhaft zu finden. Ihr Wesen gab in Gesellschaft nichts her, nichts von Welt und nichts von Innerem, ihr Lächeln war kühl, in der Bewegung der Lippen zeigte sich eine gewisse Naschhaftigkeit; am meisten gefielen mir die Augen, die blau, durchsichtig, ausgedehnt und voll Perlmutter waren, mit Brauen, schwarz und fein wie zwei Sepiastriche.

      Eine solche Stadt wie die, in der ich mich befand, hat alle Späherblicke immer auf den Punkt geheftet, wo eine ungewöhnliche Erscheinung hervortritt und sich auf ihre besondere Art gebärdet. Ich habe schon angedeutet, daß das vielfache Gerede über die Majorin auch zu mir geflossen war. »Was sagen Sie zu der Frau? Ach, Sie wissen nicht? Sie wissen nicht, was die Spatzen von den Dächern pfeifen?« Nein, ich wußte es nicht, ich bezeigte auch kein Interesse dafür. »Sie verstellen sich doch wohl. Oder glauben Sie, daß das eine glückliche Ehe ist? Der Mann ist zwanzig Jahre älter. Sie begreifen. Die Frau hatte früher einen reichen, schlesischen Branntweinbrenner, von dem sie geschieden ist. Sie ist schön wie das Laster, und so elegant, daß unsre Damen vor Neid nicht schlafen können; echte Pariser Hüte, echte Brüsseler Spitzen, echte Pelze, Diamanten wie ein persischer Prinz, und Parfüms, Parfüms sage ich Ihnen, überwältigend wie eine Ananasbowle nach einem Jagdritt.« – »Nun ja, der Major ist sicherlich reich.« – »Nein, die Frau hat Geld, die Frau. Der Major ist ein Sonderling. Ich möchte ihm gern meine Augen leihen.«

      O Bosheit aus dem Winkel, die du Augen verleihen willst, dachte ich mir. Aber die üblen Gerüchte waren hartnäckiger als meine Gleichgültigkeit. Ich traf eines Tages einen Freund in der Stadt, einen jungen Ingenieur, der irgendwo in der Nähe den Bau einer Eisenbahnbrücke leitete. Wir waren als Gymnasiasten ein paar Jahre lang unzertrennlich gewesen, und es bereitete mir lebhaftes Vergnügen, ihn wiederzusehen. Wir kamen oft zusammen, bald in einer Weinstube, bald in seiner oder meiner Wohnung; und wie es schon so geht, einmal gerieten wir beim Gespräch auch auf Aurora Westermark und die über sie umlaufenden Gerüchte. Mein Freund kannte sie nur flüchtig, aber er war einer jener Menschen von instinktivem Scharfblick, die in andern Seelen lesen zu können scheinen, und deren Urteil sich daher von selber Vertrauen erzwingt.

      Deutlich steht mir noch jene Stunde vor Augen und genau ist mir noch jedes seiner Worte gegenwärtig, die ich nur mit innerem Unwillen anzuhören vermochte. »Diese Frau hat die Gabe, unschuldig zu scheinen und Leidenschaften einzuflößen«, sagte er ungefähr. »Wie sie den schwer zugänglichen Major umgarnt hat, das ist gewiß ein Kunststück gewesen. Ich weiß nicht, ob dir die Umstände bekannt sind; es war während der großen Manöver vor zwei Jahren; umschwärmt von den Offizieren eines ganzen Stabes, hatte sie sich’s offenbar in den Kopf gesetzt, den sprödesten und verstocktesten zu gewinnen, denjenigen, für den eine Weltdame etwas war wie ein seltenes Schmuckstück, das er sich verschafft ohne Freude und Verständnis, nur weil er gerade bei Geld und guter Laune ist und weil es von andern gerühmt und begehrt wird. Sie hatte den schlechtesten Ruf. Man sagt, daß sie Liebe verkauft hatte, unumwunden und unter Vorwänden, um einer Perlenkette willen, um eines Ränkespiels willen, um nichts ungenossen vorübergehen zu lassen von den Lockungen der Jugend, aus Gefallsucht, aus Sinnlichkeit, aus Langerweile, aus Schwäche, aus Lust an der Selbsterniedrigung, aus Vergnügen an einer doppelten Existenz in zwei Sphären der bürgerlichen Welt, von denen die eine nicht weiß, was in der andern geschieht, so daß die Geschicklichkeit, der einen die Kunde aus der andern vorzuenthalten, etwas von der Spannung eines Revolverdramas mit sich bringt und die sonst leeren Tage mit dem Tumult verschwiegener Betätigung erfüllt. Ich bin gewiß,« fuhr mein Freund fort, gegen den ich in diesem Augenblick eine nicht zu überwindende Empfindung des Hasses, ja des Abscheus hegte, »ich bin gewiß, daß sie’s gegenwärtig nicht viel besser treibt. Ich glaube nicht, daß sie je von Liebe erfahren hat, sondern nur von Aufregungen, Sorgen, abwägenden Interessen, Kränkungen des Stolzes, Gefahren der Enthüllung und die Überzeugung von der Nichtswürdigkeit der Männer, so wie eben solchen Frauen die Männer sich zeigen müssen.«

      »Aber

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