Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Ich wußte nicht, wie mir geschah, als ich nun plötzlich fand, daß ich eine Armut verraten hätte, über die mir bis jetzt kein Skrupel aufgestiegen war. Schon atmeten wir in einer verderblichen Luft. Wir verständigten uns durch Blicke und Mienen, und die Selbstbeherrschung, die wir zu üben wähnten, war nur eine Gaukelei. Ich sagte mir im Anfang bisweilen: die Frau ist kalt, oder noch schlimmer, kühl; die Frau rechnet, die Frau lauert. Aber da war ihre Sanftmut, ihre zarte Stimme, ihr ergebenes, verstörtes, beschwichtigendes Lächeln; da hatte sie eine sonderbare, oft wiederkehrende Bewegung der Hände, die darin bestand, daß sie die Finger ineinanderflocht, um sie dann wie verzweifelt in den Schoß einzusenken. Das riß mich aus allem Gleichmut.
Ihr Wesen blieb mir rätselhaft, bis sie mir eines Tages erzählte, wie ihre erste Ehe das Werk habsüchtiger Eltern und Verwandter gewesen sei; der Mann ein Trinker, ein Wucherer, ein Lüstling. Sie versicherte mir, daß sie im Zusammenleben mit ihm unberührt geblieben sei, und daß hauptsächlich deswegen nach drei qualvollen Jahren die Scheidung ausgesprochen werden konnte. Sie sprach dann von ihren Reisen, von zermarternder Unruhe, vom Wunsch nach Frieden, von ihrem Ekel an Welt und Männern, und da lernte sie Westermark kennen; sie dachte an ihm einen Beschützer zu finden, sie fühlte eine herzliche Kameradschaft für ihn, sie habe sich betören lassen und ihn geheiratet. Als sie nun lange schwieg, blickte ich sie fragend an.
Ja, darüber sei Schweigen geboten, sagte sie, darüber, was jetzt kam, müsse geschwiegen werden.
Geheimnis also? nicht anrührbares Geheimnis? Auroras Gesicht glich einer Uhr, die plötzlich stehen bleibt. Geheimnisse binden, auch wenn sie nicht enthüllt werden. Aber mein Inneres war schon zu sehr ergriffen, als daß ich aus Delikatesse hätte auf Teilnahme verzichten mögen. Ich bat in der dringlichsten Weise um Aufklärung. »Wozu? was soll es nützen?« antwortete mir Aurora. »Warum sollte ich Sie in eine Ungeheuerlichkeit einweihen, die mich allein schon übermäßig bedrückt und lebensuntüchtig macht? Sie würden mir nicht glauben, Sie dürfen mir nicht glauben, denn wer bin ich? Ein verlorenes, verachtetes Geschöpf, der Gegenstand unsauberer Gespräche am Biertisch, die wehrlose Beute aller Nachrichtenjäger der ganzen Stadt, mit meinem Namen in jede Spelunke geschleppt, beneidet, bewacht, einsam, unerhört einsam und unerhört verraten. Wollt’ ich bekennen, was ich in diesem Haus für ein Leben zubringe, so würde ich ja vielleicht auch Sie verlieren, der mir gutgesinnt ist. Nein, nein, erlassen Sie mir das, gönnen Sie mir die harmlosen Stunden mit Ihnen.«
Man sagt gemeinhin, und die Erfahrung macht mich geneigt, dem beizupflichten, daß Männer über dreißig, wenn sie zum erstenmal in ihrem Leben der Gewalt einer Leidenschaft erliegen, sich in nichts von der Unbesonnenheit und Kopflosigkeit der Jünglinge unterscheiden, daß sie im Gegenteil noch großmütiger ihr Gefühl, noch bereitwilliger ihren Stolz, noch unbedingter ihr Vertrauen verschwenden. Ich habe versucht, das Unheil zu bekämpfen, als es da war, ich habe mich noch mit aller Kraft gewehrt, als es mich umschlang. Vielleicht hätte ich es bezwingen können; vielleicht gab es einen Tag, eine Stunde, wo ich noch Meister des Verhängnisses werden konnte, wo ich mit dem Gedanken an ein Abschiedswort, dem Vorsatz einer Reise zu der Frau ging. Aber da mochte es scheinen, als rede die Frau mit einem andern Ton denn gestern; als sei die Hand, die sie mir bot, verwandelt worden. Wenn Früchte reif sind, fühlen sie sich gleichsam wärmer an, und so hatte sich etwa ihre Hand angefühlt, wie eine reife Frucht.
Einverständnis genug; Erwiderung genug; es braucht nicht mehr als den Abglanz der eigenen Sehnsucht in dem geliebten Antlitz und Auge, nicht mehr als ein gestammeltes Wort, als einen flehentlichen Blick, und Pflicht, Gewissen, Zukunftsfurcht entschwinden für immer in der Süßigkeit und Betäubung eines jähen Sicherkennens. Jetzt sind die Tore zugeschlossen, und es gibt keine Reise mehr. Ich entsinne mich eines Tages, wo ich mit Begierde die Gesellschaft eines Mannes suchte, eines Freundes, den außerhalb meines beruflichen Kreises zu finden mir höchst erwünscht war. Da traf ich den Ingenieur, von dem ich schon gesprochen, durch Zufall auf der Gasse. Er blieb unschlüssig stehen, ich reichte ihm die Hand. Ich verzieh ihm alles, was er über Aurora Westermark geäußert hatte, noch mehr, ich empfand das Bedürfnis, ihn mit der wunderbaren Frau näher bekannt zu machen, und ich war überzeugt, daß er sie mit andern Augen ansehen würde. Das Vorhaben war leicht, als Freund Auroras durfte ich es wagen, ihn einfach zu einem ihrer Empfangsnachmittage mitzunehmen. Ich fing alsbald davon an, er war ziemlich betroffen, erwiderte jedoch, wenn ich Wert darauf lege, wolle er mir gern willfahren, obwohl seine Zeit ihm die Pflege gesellschaftlicher Beziehungen sonst nicht gestatte. Wenn ich mir heute dies Gespräch überlege, so muß ich glauben, daß in meinem Benehmen etwas Krankhaftes, ja sogar Krankes enthalten sein mußte, denn der junge Mann blickte mich bisweilen fast mitleidig von der Seite an und meinte schließlich, es tue ihm aufrichtig leid, wenn er mich damals durch seine unüberlegte Offenheit verletzt habe. Am nächsten Tag gingen wir zusammen zur Majorin; Aurora nahm ihn mit Herzlichkeit auf, und sie schmeichelte ihm durch eine gewissermaßen sachliche Hochachtung, die bei Frauen selten ist, und die hier am Platze war. Er kam nun bisweilen an Montagen und Donnerstagen, blieb aber zumeist auffallend schweigsam, trotzdem ihm Auroras Sympathie durchaus nicht verborgen blieb. Einmal gingen wir zusammen weg, und ich sagte ganz unvermittelt zu ihm: »Hast du nun dein Urteil revidiert? Gibst du nicht zu, daß das ein Geschöpf ist, wie es so vollendet nur aus der Meisterhand Gottes hervorgehen kann?« Und als er nur mechanisch nickte, fügte ich hinzu: »Ich hoffe, daß du mich nicht mißdeutest, und daß du meine Worte so auslegst, daß wir uns auch weiterhin gerade in die Augen sehen können.«
»Mehr brauche ich nicht zu wissen«, entgegnete er ernst und anscheinend überrascht. Er besuchte von da an das Westermarksche Haus nicht mehr.
Warum ich die Art meines Verhältnisses zu Aurora vor dem Verdacht eines Freundes schützen zu müssen glaubte, weiß ich kaum. Ich hatte keinen Zweifel an ihrer Ehre und Reinheit. Aber das namen-und gesichtslose Hörensagen, unter dem ihr Ruf litt, war eine Qual sondergleichen für mich. Ich hätte mich gerne gestellt, aber wie durfte ich dies, wer hätte mir das Recht dazu eingeräumt? Ein Blick, ein zweideutiges Lächeln, ein Achselzucken, ein irrlichterndes Wort dann und wann, es überlief mich kalt, wenn ich dessen nur nachträglich gedachte; ich fand mich beleidigt und geschmäht, bald genug bekam ich zu spüren, daß das verleumderische Geschwätz auch schon meinen eigenen Namen bespritzte; aus dem Bewußtsein meiner Schuldlosigkeit, und, da Aurora sich mir gegenüber noch mit keinem Hauch etwas vergeben hatte, zog ich den Schluß, daß all die andern Anwürfe und Gerüchte ebenso trugvoll, lügnerisch und boshaft seien wie dieses. Traurigkeit und Ingrimm nahmen von mir Besitz, ich sonderte mich ab von den Kameraden wo es nur irgend anging, und hatte ich vorher schon für unliebenswürdig gegolten, so erklärte man mich jetzt für abstoßend hoffärtig, oder mildesten Falls für einen finstern Einsiedler. Ja, ich haßte sie, diese still beieinander hockenden Aufpasser, Schlimmredner und Giftkocher, diese gutangezogenen Megären und unbezahlten Spione, die ihrem Dünkel und ihrem Müßiggang kein unterhaltsameres Spiel wußten, als die nie wieder gutzumachende Besudelung eines schönen Herzens und edlen Charakters, denn so erschien mir Aurora.
Indessen wucherte das Grübeln über die furchtbaren Andeutungen, die sie mir in bezug auf ihr eheliches Leben getan, heimlich in mir fort. Ich wagte sie nicht mehr daran zu erinnern, ich wollte nicht mehr fragen, ich glaubte zartfühlend zu sein, doch meine Seelenruhe