Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Er gab die notwendigen Befehle schriftlich und sprach nur mit Donna Gregoria, Johannas einziger Vertrauten, die täglich zu ihm kam.
Es ist Zauberei, sagten die Hofleute. Wenn Diego Gotor aus dem Zimmer des Herzogs trat, umringten sie ihn neugierig. Das Greisengesicht Don Diegos, das durch ein dauerndes Wechselspiel von tausend Falten und Fältchen Ähnlichkeit mit einem stürmischen Wolkenhimmel hatte, war traurig und ratlos. In einem Leben von siebzig Jahren hatte Diego Gotor das Gemüt der Menschen mit derselben Begierde erforscht, mit welcher der unscheinbare Wurm das Innere der Erde durchhöhlt.
Er sagte: »Im Morgenland erfuhr ich, daß Jünglinge, denen der Gegenstand ihrer Liebe sich entzog, in ein Leiden verfielen gleich dem unseres Herzogs. Ein solcher Mensch lag wie im Starrkrampf da, schwebte zwischen Schlaf und Tod, und sein Geist hatte nicht mehr die Kraft, den Körper zu regieren. Konnte sein Begehren nicht gestillt werden, so siechte er allmählich hin und mußte sterben oder es brauchte viele Jahre und dauernde Entfernung von der geliebten Person, bis er wieder unter Menschen wandeln konnte, der Freude freilich beraubt. So geschieht es wie gesagt im Morgenland, wo das Blut von dicker und schwarzer Beschaffenheit ist. Doch versicherte mich ein gelehrter Mann, daß, wie der Blitz nur in die höchsten Bäume schlägt, bloß Auserwählte von solchem Unheil betroffen werden können, und daß gemeine Fleischeslust damit nicht mehr verwandt ist als das Küchenfeuer mit dem Blitz.«
Die Ritter fluchten der Infantin. Wie kann Johanna einem Jammer ruhig zusehen, dessen Ursache sie selber ist, ließen sie sich vernehmen; wie erträgt sie es vor ihrem Gewissen, den herrlichen Mann so sich verzehren zu lassen, als wäre sie stumm, taub, blind und lahm.
Bald fing Philipp an, Trank und Speise von sich zu weisen, versagte sich dem Gebet, und sonst heilsame Mixturen übten keine Wirkung. Seine Augen erloschen, die Hand schloß sich nicht mehr zum Druck beim Gruß.
Des Nachts richtete er sich auf und streckte die Arme aus, als wolle er ein Luftbild umschlingen. Die heiße Lippe lallte einen zärtlichen Laut. Wenn er in den Spiegel sah, so erblickte er nicht sein eigenes Antlitz und bisweilen küßte er in der Verblendung den eigenen Mund.
Die Infantin trat oft an Philipps Lager, sie erhaschte seinen Blick und hielt ihn fest, sie grub gleichsam das Innere seines Auges auf. Die blauen Sterne schwammen auf der milchigen Iris in einer Art von Wahnsinn langsam von Eck zu Eck. Das korngelbe Haar klebte naß auf der steilen Stirn. Der schmale Körper, auf der Seite liegend, glich einem gespannten Bogen. Donna Johanna schüttelte den Kopf; noch schritt Philipp auf lautlosem Wasser in trüber Ferne.
Aber ihre Sehnsucht wurde so groß, daß es, als wäre die Erfüllung schon geschehen, wie ein Strom der Verzücktheit durch ihre Brust floß. Sie sah den blauen Himmel besät mit smaragdenen Blumen und die myrten-und lorbeerbeladene silberne Erde hob sich schwellend dem Firmament entgegen. Oft eilte sie in der Dämmerung durch die Galerien in die Gärten, so schnell, daß Donna Gregoria kaum zu folgen vermochte. Begegnete ihr jemand auf diesem Weg, so blieb sie stehen und schaute ihn an, streng und wild. Wer ist der Mann? fragte sie ihre Begleiterin mit ihrer wunderlich flötenden oder gurrenden Stimme. Und Donna Gregoria erwiderte etwa: es ist einer von Don Philipps Freunden. Doch Johanna hörte die Antwort nicht mehr; sie war schon weiter geschritten; die gelben dünnen Lider, von zahllosen blauen Äderchen übersponnen, schienen die vollflammenden Augen zu begraben, der Kopf senkte sich nach vorn, von ihrer Schulter wehte der Abendwind den Schleier herab, und der entblößte Nacken leuchtete wie das Holz eines frischgeschälten jungen Baumes …
Da geschah es, daß Herr von Carancy und Herr von Aymeries übereinkamen, dem König neuerdings von allem Bericht zu erstatten und dringend zu fordern, daß die Infantin in ernste Rechenschaft gezogen würde, deren Verhalten sie als eine Frucht und einen Beweis der teuflischen Schwarzkunst ansahen. Sie versicherten sich des Einverständnisses der übrigen Granden und Räte, und Herr von Carancy sollte den Wortführer machen. An einem Freitag zu Anfang September ritten sie mit ihren Leuten gen Valladolid, in welcher Stadt der König damals gerade Hof hielt. Am Hoflager angelangt, ließen sie sich melden, und Herr von Carancy trug mit zornverhaltener Beredsamkeit vor, was im Palast von Burgos die Gemüter verfinsterte.
Der König wurde vor Ingrimm totenbleich. Schon lange hegte er der schmählichen Angelegenheit wegen gerechte Besorgnis. Es wurde ein Haftbefehl ausgefertigt, demzufolge Johanna auf das feste Schloß Portillo in Ketzergewahrsam zu bringen sei. Der Kommandant von Burgos habe zweihundert Mann unter den Befehl des Herrn von Carancy zu stellen; mit ihnen und in Begleitung des Ober-Alguazils, damit den Waffen auch das Gesetz zur Seite stehe, solle dieser in den Palast dringen und die Infantin fortführen.
Die zwei Herren waren zufrieden; Ketzergewahrsam hieß so viel, als unter Foltern langsam sterben. Sie kehrten ehestens nach Burgos zurück und handelten ohne Verzug. Der Stadtkommandant, sehr betroffen über den königlichen Befehl, wagte nicht zu widersprechen, trotzdem er eigentlich nur dem Herzog zu gehorchen hatte. Er sandte aber im geheimen Botschaft an den Haushofmeister im Schloß, um die Leute der Infantin vorzubereiten und zu warnen.
Als das Abendläuten von den Türmen der Kathedrale klang, forderte Herr von Carancy mit seinen Bewaffneten im Namen des Königs Einlaß in den Palast, ließ sämtliche Tore besetzen, postierte einen Teil der Leute in den Gängen und auf den Treppen und schritt, von seinem Genossen und dem Oberrichter gefolgt, nach den Gemächern der Infantin. Madame de Bevres, die ihm entgegentrat, antwortete auf seine rauhen und herrischen Worte mit Ruhe, daß sich Donna Johanna im Bade befinde.
Herr von Carancy war mißtrauisch, mußte sich aber zu warten entschließen. Da jedoch beinahe eine halbe Stunde verfloß, ohne daß weder die Herzogin noch eine ihrer Damen sich zeigte, übermannten ihn Argwohn und Ungeduld, er öffnete die nächste Türe, die in ein leeres Zimmer führte, durchschritt diesen Raum und gelangte zu einer zweiten Türe, die er gewalttätig aufwarf.
Die Infantin saß vor einem Porphyrtisch, auf dem ein goldener Leuchter mit fünf brennenden Kerzen stand. Sie saß in einem Stuhl mit hoher Lehne, doch nicht hingelehnt; ihr Oberkörper war seltsam steif aufgerichtet und diese Steifheit wurde vermehrt durch die regungslos niederhängenden Arme. Sie trug ein kastanienbraunes Kleid, das man für ein Mönchsgewand hätte halten können, wäre nicht die zartgelbe Stickerei am Saum und an den Ärmeln gewesen.
Hinter ihr stand Donna Gregoria und kämmte der Herrin das Haar. Donna Gregoria war klein, schlank, gelenkig, spitzgesichtig. Sie hatte etwas von einer Äffin und etwas von einer Schwalbe. Liebkosend hielt sie das bläuliche Haar in der Linken und lauschte dem knisternden Geräusch, das ihr Kamm hervorbrachte.
Auch der Alguazil und andere Herren waren inzwischen herbeigekommen und starrten nicht ohne Scheu über die Schwelle. Von gegenüber, aus offenen halberleuchteten Räumen eilten Kammerfrauen herzu und blieben mit gefalteten Händen stehen. Donna Gregoria hörte auf zu kämmen und schaute über die Schulter hinweg hochmütig fragend auf Herrn von Carancy, dem die Sprache versagte und der rückwärts griff nach dem Pergament in den Händen des Richters. Donna Johanna erhob sich; sie war weder erstaunt noch erzürnt. Es war, als lausche sie auf den verworrenen Lärm, der von draußen hereinschallte, und ihre gelben dünnen Lider bewegten sich kaum, als sie fragte: »Was hat seine Herrlichkeit der König über mich verfügt? denn nur in seinem Namen kann vielleicht ein solcher Überfall sich rechtfertigen.«
Herr von Carancy zuckte zusammen und über seine Haut rann ein Schauder. Doch antwortete er, was er antworten mußte.
Bei dem Worte Ketzerhaft stieß Donna Gregoria einen gellenden Schrei aus. Die Infantin machte eine abwehrende Bewegung. Ihre Stirn schien beinahe unsichtbar zu werden unter der sinkenden Wolke des Kummers. Ihr Gesicht lag wie ein Stein im Bett des schwarzaufgelösten Haares. »Ich bin bereit,« sagte sie mit einem verlorenen Lächeln, denn der Wille zu leiden umflutete sie wie Wollust.
Donna Gregoria ergriff den Leuchter und wollte damit, planlos,