Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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auf einmal als untrügliche Verheißung, so daß was nun folgte, ihrem atemlosen Erwarten schon wie ein tiefes, sattes Ruhen war, und indem sie es lebte, spürte sie es schon als Erinnerung, dankbar und müde.

      Besorgt über die Wirkung, die Johannas Gefangennahme auf Philipp haben würde, hatte Don Diego Gotor dem Herzog in kurzer Frist von dem was im Werke war Mitteilung gemacht. Zwischen seinem letzten Wort und der Sekunde, die ihn nun Aug in Aug mit der Infantin sah, war nicht soviel Zeit verflossen, als man braucht, um bis fünfzig zu zählen. Der Herzog strauchelte keuchend herein. Sein Auge, das den Eindruck von etwas Morschem, Faulendem machte, haftete auf nichts, auf keinem. Er sank vor Donna Johanna auf die Kniee, und als sie ein wenig zurückwich, sank er noch weiter hin, platt an die Erde. Wie er lag, fing er an zu weinen. Alle dachten, nun sei es zu Ende mit ihm, und starrten bestürzt einander an.

      Die Infantin hatte die Fingerspitzen beider Hände zusammengepreßt. Ihr Haupt fiel auf den gedehnten Hals nach rückwärts. Sie lauschte beseeligt dem Weinen, das wie Flügelrauschen zu ihr emporwirbelte. Jetzt sah sie Philipp, jetzt war er da, er lebte. Mit jähem Ruck beugte sie sich herab und drückte sanft die Hand auf sein Haar. Philipp schwieg, schaute auf, ihre Blicke verschmolzen, es hob ihn wie von selbst, er umfaßte mit den Armen ihre Schenkel und trug sie kurz und heiser aufjubelnd durch einen purpurnen Nebel von Glück hindurch.

      Johanna lachte lautlos in die Luft hinein, und es war ihr, als ginge es über Mauern, die vor Philipps Schritt zerbarsten, über Wälder, deren Finsternis wie Glas zersprang, und über das Meer, das wie flüssiges Morgenrot schäumte.

      Die ganze Nacht hindurch war das Schloß von heiterster Ausgelassenheit erfüllt, auch in der Stadt herrschte alsbald festliches Wesen. Die vornehme Familie der Stuniga ließ auf offener Straße eine Zechtafel für das Volk errichten.

      Fahrende Sänger und Liederdichter flochten nun in ihre oft rezitierten Strophen gern einen Vers ein zum Preis der innigen Liebe zwischen Philipp und Johanna von Castilien.

      Aber der Hof zu Burgos wurde allmählich eine Stätte des Schweigens. Den Pagen, Rittern und Edelfrauen ging der Stoff zu schwatzen aus. Ein vereinzeltes Lanzenstechen half auch nur über ein paar Tage hinweg. Die Herren saßen oft betrübter da als nach verlorenen Schlachten, und manche erbaten den Abschied, um nach Rom, Madrid oder Flandern zu ziehen.

      Kamen die spöttischen Granden zusammen, so hieß es: was macht Philipp? schläft er noch? Und es wurde erwidert: wenn der Dürstende trinkt, so spricht er nicht.

      Der Herzog zeigte sich selten öffentlich. Sobald die Ratsgeschäfte erledigt waren, bei denen er ein ernst-wohlwollendes Betragen an den Tag legte, zog er sich wieder in seine Gemächer zurück. War eine Jagd angesagt, so ließ er die Geladenen oftmals allein ziehen oder entfernte sich von der Gesellschaft, wenn es gerade am lustigsten war, und ritt davon. Dann berichteten Hirten, daß sie ihn in einem einsamen Tal angetroffen hätten, wo das Pferd sich selbst überlassen an einem Abhang graste, indes Philipp ruhvoll auf der Erde lag und den Blick in die Wolken sandte.

      Einige ließen schüchtern verlauten, er sei eben im Bann gewisser Zauberkünste. Doch mit Bestimmtheit wußte man nur, daß Johanna ihm italienische Gedichte vorlas, auch die Berichte der Seefahrer über die indischen Länder und die neuen Traktate über den Sternenhimmel, die in Deutschland gedruckt wurden. Das Gerede blieb haltlos; zudem war der Herzog nach wie vor ein eifriger Kirchengänger und bei den geistlichen Umzügen zeigte er solche Andacht, daß es ergreifend war, in sein helles Jünglingsgesicht zu schauen.

      Es kam aber die Zeit, wo in diesem Gesicht bisweilen eine rasche Angst aufzuckte. Da wurde dann die glattgespannte Stirn schlaff und warf eine ermüdete Falte. Doch mußte Philipp allein sein, um den Mut zu finden, diesem Ziehen außerhalb der Haut nachzugeben. Etwa wenn er in der Dämmerung am Fenster stand und über die Baumwipfel hinwegspähte, in deren Ästen der Frühling prickelte. Auch geschah es vor dem Einschlafen in der Nacht, daß ein Seufzer über seine Lippen eilte.

      Vor dem Traum flog sein Geist an die fernen Ufer der Donau. Dort war das Leben viel leichter; es schien, als könne man dort mit plötzlich unbelasteter Schulter wandeln.

      Philipp sehnte sich nach einem Spiel. Nicht nach ritterlichem Spiel, – er hatte häufig Lust, sich mit Landsknechten an einen schmutzigen Kneipentisch zu hocken und mit ihnen Karten zu spielen. Es reizte ihn, an ihren rohen Scherzen teilzunehmen, für sich allein trieb er Rede und Widerrede, vergnügte sich innerlich an einer unflätigen Wendung und kicherte, wenn er den Beifall der eingebildeten Hörer erworben zu haben glaubte.

      Ja, er trug Begierde nach etwas Gemeinem, Lüsternem, Schmutzigem und Verruchtem. Diese Begierde wuchs, da er sie vor der Welt und sich selbst mit Sorgfalt zu verbergen trachtete.

      Nach längerem Beisammensein mit Johanna fielen ihm vor Erschöpfung die Augen zu, und er sah aus, als schlafe er im Gehen und im Stehen. Denn sie spannte seine Seele, sie dehnte seine Seele über alles Vermögen. Wenn sie sprach oder schwieg, war es gleich schwer, immer gegenwärtig zu sein. Ihr Schweigen war wie ein Marmorblock, den er auf seinen Händen tragen sollte. Hände, Arme und der ganze Leib gerieten durch das Gewicht des Blocks nach und nach ins Zittern, und die Kraft versagte. Sie ahnte nichts davon, die mit aufgereckter Inbrunst ihm zur Seite ging, beständig trunken von derselben dünnen Luft.

      Hier war ein geheimnisvoller Kreis, in dem zu schreiten die Nerven bis zum Klingen auseinanderzerrte. Ihn zu verlassen, schien bedenklich, denn jenseits war vielleicht der Tod. Philipp fürchtete sich vor seinem Weib.

      Einst gedachte er der nächtlichen Streiche, die er verkleidet in Gesellschaft des Pfalzgrafen verübt. Er verkleidete sich ebenso, und als es Nacht war, trieb er sich in den Gassen herum, mischte sich in die Händel zwischen ein paar französischen Buschkleppern, brach einem schwarzen Hund, der ihm bellend an die Schulter sprang, mit einem Griff das Genick, fand eine Schenke voll schwäbischer Söldner, denen er soviel Wein auftischen ließ, daß sie schließlich allesamt wie tot auf der Erde lagen, und gelangte beim Morgengrauen unerkannt wieder ins Schloß. Es war ein Auf-und Ausatmen.

      Eine Woche vor Johannas Niederkunft kam der Connetable mit einer vertraulichen Botschaft des Königs. Er gab dem Herzog zu verstehen, wie große Bedenken es habe, das Kind in den Händen einer Frau zu lassen, die nach dem Zeugnis aller Urteilsfähigen der gesunden Vernunft entbehre. Wenn auch neuerdings das Unwesen sich gemildert habe, so bestehe doch keine Sicherheit, schon der nächste Tag könne den Geist der Infantin wieder verdunkeln. Der Herzog möge besserer Einsicht Gehör schenken und das Kind aus dem dämonischen Bereich entfernen; der Hof von Madrid erklärte sich bereit, die Erziehung zu übernehmen.

      Philipp sträubte sich zuerst, gab aber bald nach. Es kam ein Mädchen zur Welt, das am siebenten Tag seines Alters der mütterlichen Hut entwendet wurde. Als die Infantin sich aus ihrem Bett erhob, konnte ihr der Sachverhalt nicht verheimlicht werden. Man stellte aber alles so dar, als ob ein Beweis der gnädigen Gesinnung des Königs vorliege.

      Johanna hörte ruhig zu. Sie verlangte den Herzog zu sprechen. Es wurde ihr bedeutet, Don Philipp habe in dringenden Geschäften verreisen müssen.

      In Wirklichkeit hielt sich Philipp auf einem Schloß in Arragon versteckt, bis er annehmen durfte, Johanna habe sich dem Unvermeidlichen ergeben. Er hatte ein paar gesellige Kumpane mit sich genommen, darunter den Ritter Franz von Kastilalt, einen Abenteurer und Possenreißer. Dieser wurde sein unzertrennlicher Trabant; auf die Gunst des Herzogs bauend, verübte er mancherlei Untaten und wurde der Schrecken friedlicher Bürger. Er war ein so gewaltiger Fresser, daß ihn einst der Graf von Aranda um Gottes willen ersuchte, sein Gebiet zu verlassen, weil er und seine Leute eine Hungersnot herbeiführen könnten.

      Dem Herzog wurde die Stadt zu eng und von Castilien sprach er als von einer Provinz des Teufels. Verhaßt wurde ihm sein Haus, verhaßt der Himmel, der es bedeckte. Schien die Sonne, so

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