Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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Novemberabend. Ein heftiger Sturm hatte den Winter gebracht. Große Schneeflocken wirbelten an den Gebäuden nieder und tanzten um die flackernden Laternen.

      Mildau verließ, in einen guten Mantel gehüllt und eine Zigarre schmauchend, sein Haus und schlenderte durch die gewundenen Gassen hinaus gegen die blattlosen Alleen der Promenade. Die stillen kalten Flocken taten ihm Wohl; die Dunkelheit schützte ihn vor dem Grüßen und Gegengrüßen – er war im Bewußtsein des Glückes, sich selbst zu gehören.

      In einer ähnlichen Stimmung schwelgte auch Gabriel Stammer, als er an jenem Abend, aus einem Deklamationssaale fliehend, durch die menschenlose Öde schritt, die sich um die Stadt zog, und die mit ihren Platanen, Büschen und Gartenhäusern zur Sommerszeit die Wonne der spazierenden schönen Welt ausmachte.

      Heute waren die beiden Männer völlig allein. Aber sie blieben es nicht. Sie begegneten sich, sie begrüßten sich bei dem trüben Scheine einer Laterne.

      »Auch Sie gehen dem Winter entgegen?« sagte der Kaufmann leutselig.

      »Entgegen und schnurgerade hindurch – dem Lenze zu«, antwortete Gabriel.

      Dann gingen sie langsam nebeneinander hin und ließen den Flockenschleier still über sich niedersinken.

      »Herr!« sprach Gabriel plötzlich, »ich glaube, der Zufall kommt mir zustatten. – Ich hätte Ihnen ein wichtiges Wort zu sagen.«

      – Haben Sie ein Anliegen, lieber Freund, so seien Sie offen. – Mildau wollte es sagen, schritt aber gleichmäßig weiter, schwieg und blies viel Rauch in das Gestöber hinein.

      Eine Weile verging, ohne daß einer ein Wort sprach.

      »Herr Mildau,« sagte endlich Gabriel leise, »ich mache Ihnen das Geständnis, daß ich Ihre Tochter so sehr liebhabe.«

      »Was tausend!« rief Mildau laut aus, ärgerte sich aber sofort über diesen Ruf – er wollte ja doch platterdings nicht passen für seine Stimmung und für des jungen Mannes Bekenntnis. – Gabriel blieb nun stehen; Mildau mußte dasselbe tun. Gabriel sagte: »Geben Sie mir Anna zum Weibe.«

      Da hub der Kaufmann an, auf dem weichen Schnee wieder zu wandeln. Beide schwiegen. Die Flocken schmolzen, die an Gabriels Wangen vorübertanzten.

      »Haben Sie denn schon mit meiner Tochter darüber gesprochen?« fragte nun Mildau mit völlig klangloser Stimme.

      »Ich habe mit ihr darüber gesprochen,« antwortete Gabriel, »sie hat nicht nein gesagt. Sie wies mich an ihre Eltern.«

      Wieder schritten sie schweigend. Auf den Hüten der Wandelnden schwollen die flaumigen Schneehauben. Mildau räusperte sich; Gabriel schlich ganz auf den Zehenspitzen und hielt schier den Atem ein, da – wurden sie unterbrochen.

      Ein Geschäftsfreund Mildaus war hastig des Weges gehuscht; er kam aus einer Filiale der Vorstadt, fluchte über das Wetter, machte Späße mit seinem Fanghund – dem Poeten war ganz gräßlich zumute – und suchte Mildau mit sich fort gegen die Stadt zu zerren: »Komm', Alter, heut' trinkst du mit mir eine Tasse Grog. Hast du das Hamburger Kursblatt gelesen?«

      »Ich komme nach, Freund, ich komme nach!« versetzte Mildau rasch. Der andere eilte wegsüber davon. Mildau und Gabriel, wieder allein, schritten weiter.

      Lange waren sie stumm. Gabriel hörte fast die Schneeflocken fallen.

      Plötzlich tat der Kaufmann mit lebhafter Stimme die Frage: »Als was, junger Mann, als was wollen Sie heiraten?«

      Als Mann. Das Wort lag auf der Zunge; der Werber würgte es glücklich hinab. Doch die Frage des Geschäftsmannes heischte Antwort.

      »Der günstige Erfolg meiner Waldlieder –«

      »Sie sind der Dichter der Waldlieder«, unterbrach ihn Mildau. »Das weiß ich und freut mich. Doch aufrichtig gesprochen, lieber Freund, Waldlieder singt jeder Fink. – Ich bitte um Entschuldigung. Ich möchte Sie nicht beleidigen in einem Augenblick, da Sie mir bekennen, daß Sie das Wesen lieben, welches auch mir über alles teuer ist. Und – Sie mögen es sogleich wissen – ich bin prinzipiell der Verbindung nicht entgegen. Ich zweifle nicht daran, daß Sie lediglich nur die Persönlichkeit meiner Tochter bestochen haben wird. Doch hier müssen Sie nicht allein mit dem Herzen, sondern auch mit dem Kopfe rechnen. Sie sind ein unbemittelter Mann; meiner Tochter hingegen muß bewußt sein, daß sie das Kind eines vermögenden Hauses ist. – Vor kurzer Zeit erst ist in ähnlichen Verhältnissen eine Verbindung eingegangen worden. Ich kenne das Paar, es ist eines der beneidetsten der Stadt, und dennoch weiß ich, daß die junge Frau jetzt schon ihrem Gatten vorwirft: Was waren Sie, was hatten Sie, ehe ich Ihnen die Hand gab? – Freund, wie unangenehm müßte so etwas Ihr zartes Gemüt berühren! Glauben Sie mir, auch in den sogenannten besseren Ständen gibt es niedrig denkende Leute.«

      »Aber, Herr Mildau –«

      »Sie verteidigen meine Tochter. Ich auch. Ich denke, Anna wird einen Gatten glücklich zu machen wissen. Doch sollten Sie auf alle Fälle – und wäre es nur bloß der Welt willen – auch Ihrerseits auf etwas pochen können. Sie verstehen mich.«

      »Ich verstehe«, sagte Stammer. »Herr, ein zagender Bursche trat heute vor Sie; ein entschlossener Mann sagt Ihnen seinen Dank.«

      Nach kurzer Zeit hatten sie sich getrennt, und die Flocken verhüllten bald die Spuren ihres Fußes.

      Willkommen, Professor

       Inhaltsverzeichnis

      Die Zeit des heißen Harrens und Erwartens kann noch weniger als der Schlaf zum Leben gerechnet werden. Sie gibt nichts, erfüllt nichts. Und der Harrende erkennt sie nicht an, sucht sie zu überspringen, und da er das nicht kann, so ist er tot mitten in seinem Leben, ja, elender als tot, er ist in der Qual, bis ihn die Erfüllung seines Erwartens wieder erweckt und erlöst und oft auch – enttäuscht.

      – Diesen Winter – so hatte Anna später ihrem Gatten vertraut – diesen Winter vergesse ich nimmer. Die Tage waren traurig und finster, die Nächte wollten kein Ende nehmen. Du kamst so selten und bliebst so kurze Zeit und warst so ernst. Und da kam's mir in den Sinn, du möchtest mich nimmer liebhaben. Mein Vater war noch herzlicher mit mir als sonst; meine Mutter schickte mir mehrmals den Arzt, zu sehen, was mir denn fehle. Dem Arzt lief ich davon, sie suchten mich im ganzen Hause, und ich stak in Ferdinands Kleiderschrank. – Hätte damals Gott mein Gebet erhört, ich läge unter der Erde, und – nicht wahr, Gabriel – das wäre doch nicht gut.

      Damit ist dieser Winter kurz und gut beschrieben.

      Um die Osterzeit desselben Jahres war's, da machte ein neues Buch Aufsehen im Lande. Es war ein Lehrbuch über die Pflanzenwelt der Alpen. Das Buch war in Klarheit und mit erschöpfender Gründlichkeit geschrieben; es hielt sich nicht an die herkömmliche Form und Einteilung eines derartigen Werkes; im Anhange »Über die Psychologie der Pflanzen« war der Poet zu spüren. In den Studierstuben der Gelehrten, auf den Prunktischen der Salons war das neue Buch zu finden; der Minister des Unterrichts führte es in Schulen ein; der Verfasser erwarb sich durch dieses Werk den Titel Doktor und Professor; eine Lehrstelle an der Hochschule wurde ihm angetragen. Der Verfasser hieß Gabriel Stammer.

      Der Mann war aus der Verborgenheit gerissen. Die »Waldlieder« hatte man nur vernommen, wie man etwa auf Spaziergängen eine Drossel hört, ohne sie selbst

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