Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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als in der schweren finsteren Nacht! Die Bangniß ist weg, der Kummer verschwunden.

      Des blinden Mädchens Ruhestätte war leer. Hat sie sich hinausgetastet und sitzt auf dem Stein, um im freien Morgen des Leidens zu vergessen? – Erlefried erhob sich und trat aus der Hütte. Aber das Mädchen sah er nicht. Im thauigen Grase folgte er den Spuren menschlicher Tritte, sie führten im unregelmäßigen Zickzack zwischen Bäumen hin, an Büschen vorbei und endeten an einem schroffen Abhang.

      Tief im Grunde lag sie – auf blutigen Steinen.

      Es ist nicht offenbar, wie die unglückliche Bertha den Tod gefunden. Hat sie ihn gesucht? Dann muß sie an jenem Morgen bei Vernunft gewesen sein, denn in ihrem Wahne hatte sie ja schon in der anderen Welt gelebt. Wollte sie, die Blinde, vor Erlefried fliehen, weil sie ihn haßte oder – liebte? und war sie auf ihrer Flucht verunglückt?

      Erlefried wollte laufen, so weit ihn die Füße trugen, so unheimlich war ihm. Als er sie berührt hatte und sah, wie sie starr und kalt war, vermochte er keinen Blick mehr auf ihr Angesicht zu werfen. Er riß Fichtenäste ab, im Birstling waren sie noch grün und buschig, und bedeckte mit denselben den Leichnam, bis nichts mehr zu sehen war, als ein Hügel von Reisig auf dem Felsgrund. Dann begann er und trug Steine zusammen, so groß, als er sie zu schleppen vermochte, und baute um den grünen Hügel einen Wall und deckte ihn mit Steinen, bis ein breiter, hoher Kegel dastand, zu dessen Spitze er selbst kaum zu reichen vermochte, als er – am dritten Tage seiner Arbeit – den letzten Stein darauf legte. Das war ihr Begräbniß. Ein anderes konnte ihr Erlefried nicht geben, denn er hatte weder Spaten noch Hacken, um ihr ein Grab zu graben.

      Und als er diese Gruft vollendet steckte er als stilles Bekenntniß, daß er weder sich noch die Todte als verloren betrachte, ein hölzernes Kreuzlein auf die Pyramide, und der erste Beter, der vor diesem Kreuze kniete, war er selbst. Es hatte sich in die Tiefe seines Herzens Angst eingenistet seit jenem Abende, da er Blutstropfen auf den grauen Stein fließne ließ; aber das Kreuz war immer noch seine Zuversicht und sein Vertrauen.

      Dann verließ Erlefried die Todtenhütte im Birstlingwald und kehrte nie mehr zu ihr zurück. Die jüngsten der Bäume, die damals in diesem Walde sproßten, sind heute als der Urstämme älteste im Vermodern, aber unter einem Felshange ist noch der Steinhügel mit Rasen und Schlingpflanzen überwachsen zu finden, unter welchen eines der unseligsten, unschuldigsten Opfer des verworfenen Trawies begraben liegt.

      Erlefried wandelte im Wald dahin. Die Rauchschichte über dem Tärn war endlich vergangen. Leute, die ihm begegneten, hatten bestürzte Gesichter und erzählten, daß in Trawies der Spaß jetzt aufgehört habe. Sie erzählten vom großen Sterben.

      Ob die Seuche auch auf die Höhen des Bart am Tärn gedrungen sei?

      Das Haus des Bart stehe leer, berichtete man ihm, die Inwohner seihen geflohen.

      Jetzt war das letzte Band gerissen. Erlefried sprang über die Grenze, den Flammenring geheißen, hinaus, ging gelassen an den Henkerspfählen vorbei, die an der Markung der Ortschaften und Schlösser standen, und sprach in den Häusern zu. Er bat um Wegzehrung und fragte überall an, welchen Rath man ihm geben könne in Bezug auf Trawies. Er sei nämlich auf dem Wege nach Trawies.

      Was er dort suche?

      Er sei von dort gebürtig, sei aber in seiner frühen Kindheit durch einen Vetter, der Priester gewesen, nach Neukloster gebracht worden und die Zeit her dort Laienbruder gewesen. Aber sein unglückseliger Heimatsort, was man von ihm höre, dauere ihn gar sehr, er könne es nicht glauben, daß die Trawieser Leute so sehr entmenscht geworden, und seine Absicht wäre, zu gehen, um die Dinge zu untersuchen und vielleicht eine Vermittlung und Rettung anzubahnen für das, was noch zu retten wäre.

      Man rieth ihm entschieden ab. Trawies sei eine Räuber- und Mörderhöhle, da lasse sich gar nichts machen, als auf der Hut zu sein, daß Keiner hervorbreche, des Weiteren aber ruhig abzuwarten, bis sich die Rotten und Banden gegenseitig selbst vertilgt hätten. Vielleicht auch übernehme es ein Größerer, der gottlosen Brut noch eher, als man glaube, ein Ende zu machen.

      Mit anscheinendem Widerwillen gab dann der schlaue Bursche seinen Plan, nach Trawies vorzudringen, stets auf, indem er anscheinend den Rückweg antrat, während er doch immer vorwärts kam hinaus ins Land, wo sich die Gefahr, als Trawieser erkannt und gerichtet zu werden, mit jedem Tag verringerte.

      Endlich war er auf der Ebene und die Berge seines Waldlandes standen nun in fernen, blauen Zacken. In einem großen Meierhofe fand er Platz als Knecht, und dort verbrachte er den Winter über ein geregeltes, arbeitsames Leben.

      Wie oft dachte er an Sela! Und da machte er an sich eine Erfahrung, die ihm viel zu sinnen gab, und gern hätte er wissen mögen, ob es Anderen auch so ergehe. Nur wenn sein Gram schwieg, wenn er sich zufrieden fühlte, konnte er mit heißer Sehnsucht an das Mädchen denken. War ihm weh, flog ihn die Stimmung der Trostlosigkeit an, da wollte ihm Sela’s Bild schier vergehen.

      Wer frägt, ob das die rechte Liebe ist, dem sei die Antwort: Ja. Die Liebe will nur glücklich machen und Seligkeiten des Herzens verschenken. In Elend und Jammer hat sie keinen Boden und keinen ihr eigenen Wirkungskreis. Sie mag dem Geliebten das leid ab- und es auf sich nehmen, aber sie wird schwer in ihm einen Mitträger eigenen Schmerzes suchen. Das Glück wird der Liebende dem Geliebten geben; das harte und Wehe wird er in sich selbst vergraben, wird sich absondern, wird vielleicht nach dem Freunde suchen, der ihm tragen hilft. Die Liebe für sich liegt zu solcher Zeit im Winterschlafe, wie Vöglein den Winter über in hohen, blätterlosen Bäumen schlafen. Und einst, wenn Frühling wird und es wieder Freude zu verschenken giebt, wach sie auf. – Echte Liebe sucht sich nur fürs Glück Gefährten.

      Der Dienstherr war mit dem flinken, fleißigen Burschen wohlzufrieden, aber dieser selbst war es mit sich nicht. Eine Unruhe war in ihm, gerade so, als ob der böse Feind in ihm Hause. Erst seit dem letztvergangenen Herbste fühlte er, daß Gott verloren war – für Trawies und für ihn selbst. Allerlei Begierden und Leidenschaften waren wach; er suchte sie nicht mehr zu bekämpfen, denn er wußte, wem er sich verschrieben. Tagsüber verfolgte ihn eine tiefe Bangigkeit, ohne daß er den Grund derselben kannte, und des Nachts schreckte er oft plötzlich vom Schlafe auf, als hätte sich eine kalte Hand an seine Brust gelegt.

      Jene süßen Träume aus der Kindeszeit am Gestade, von seinen heiteren Spielen, in welchen er eine Welt gefunden, von seiner Mutter, welche ihn geleitet wie ein Engel, von seinem Vater, in dessen religiösen Gesprächen er den Himmel offen gesehen und darin in ewiger Majestät sitzend den großen heiligen Gott – diese Träume, die ihn sonst fast jede Nacht heimgesucht hatten, um dem Jüngling, dem verbannten Sohne eines verbannten Vaters, stets ein Stück jener goldenen Zeit wieder zu bringen, sie waren seit dem Tage, da er sich im Rausch der Begierde auf den grauen Stein schrieb, nicht mehr erschienen. Die Vergangenheit war ihm ein versunkenes, verlorenes Paradies. Dafür hatte etwas ganz Anderes Besitz genommen von seinen nächtlichen Stunden. Da kauerte an seinem Bett der alte Roderich mit den stechenden Augen. Anstatt den Händen hatte er Klauen und mit diesen Klauen schürte er glühende Kohlen auf einen grauen Stein, und aus der Gluth rieselten Blutstropfen hervor. Dann wieder grinste der Alte zu Erlefried auf und flüsterte ihm lüsterne Worte zu und stäubte aus den Kohlen Funken auf seine Glieder, daß diese zuckten und der Schläfer erwachte und Fiebergluth in sich empfand, daß er meinte, er müsse aufspringen und nach Genossen suchen, um den brand zu bekämpfen.

      Wieder ein andersmal lag es wie ein Berg auf seiner Brust und erwachend hörte er eine laute Stimme: »Thust Du, was Du willst, Du bist mein!«

      Die Leute, mit denen er war, hatten den hübschen, stillen, gutmüthigen Burschen alle gern; aber zwei Kinder waren im Meierhofe, die schlossen sich ihm nicht an, sie fürchteten sich vor ihm. Sie fühlten es, daß seine Heiterkeut eine erzwungene, sein Spiel mit ihnen ein seelenloses war.

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