Hann Klüth. Georg Engel
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Читать онлайн книгу Hann Klüth - Georg Engel страница 4
»Mir kannst du alles sagen.«
In seiner Aufregung überfiel ihn wieder jenes verwünschte Stammeln. Und diesem hilflosen und doch fanatischen Klang gegenüber unterlag Hann widerstandslos.
Der Junge zitterte: »Pauling, nich böse sein.«
»Nein.«
»Der Schäfer — will einen Spruch aus der Bibel reißen, und den soll Vating verschlucken.«
»Verschlucken?«
»Ja, verschlucken,« sagte Hann ernsthaft.
»Und dazu soll ich ihm das heilige Buch überliefern?« entgegnete der Student entrüstet. Schon war er auf einen kleinen Schrank zugeeilt, auf dem oben ein paar Bücher standen, und nun riß er das umfangreichste an sich. Etwas Eckiges, Bäuerisches, Überzeugtes steckte in all seinen Bewegungen.
»Das Tiefste, das uns geschenkt ward, soll ich so mißbrauchen lassen? So — so — Zu solch abergläubischem Betrug?« stammelte er von neuem. Er drückte das Buch an sich, daß ihm die Arme bebten. Dann machte er einen hastigen Schritt nach der Treppe zu und redete voller Zorn und Eifer weiter.
Er sei kein Frömmler, aber das dürften die Eltern eines Gottesgelehrten nicht begehen. Solche Sünde. Solch heidnisches Hexenwerk. Gleich — gleich wolle er selbst in die Krankenstube hinauf und Schäfer Sturm vertreiben. Mit Gewalt, wenn es sein müßte.
Dabei betrat er schon die erste Stufe.
Allein, unbeweglich, mit aufgestütztem Haupt, aus dem nur die Augen wie glimmende Punkte herausfunkelten, so saß Line zu seinen Füßen und sperrte ihm den Weg.
Er hätte über sie forttreten müssen.
»Line, so geh doch zur Seite,« herrschte er sie an.
»Nein — erst gib Hann das Buch.«
»Was?« stotterte der Student.
»Gib her,« flüsterte das Kind noch einmal mit seiner heißen Stimme und schlang trotzig die Arme um seine Beine, um ihn am Steigen zu hindern. »Du verstehst das nicht — der Schäfer kann hexen.«
»Oh, das kommt davon, das kommt davon, daß du so gar nichts lernst,« kam es heiser von den Lippen des Studenten. — »Aber das muß anders werden. Und jetzt gleich laß los — ich muß — ich muß hinauf.«
Er drängte sie mit seinem Fuß beiseite.
Line fiel, im nächsten Moment wäre der Gereizte an ihr vorüber gestürmt.
Da mischte sich eine neue Stimme in den Streit.
Am Tisch in der kahlen blauen Stube saß der mittelste der drei Brüder, Bruno.
Sekundaner war er drinnen auf dem Gymnasium in der Stadt. Ein hübscher, dunkelhaariger, siebzehnjähriger Bursche. Der Liebling der Eltern, der Liebling der Lehrer. Einer von denen, auf die alle Hoffnungen gesetzt werden, die dann die Zeit erfüllen soll!
Die Zeit!
»Paul,« sagte der Sekundaner mit seiner hellen, frischen Stimme, »gib doch das Buch. Wenn es nichts nützt, so schadet es doch auch nichts.«
Der Theologe beugte sich über das Geländer, um Bruno besser sehen zu können.
»Ja, ja, so bist du,« grollte er. »In jedem Wort sprichst du dich selbst aus. Immer nur auf den augenblicklichen Vorteil hin leben. Was man damit anrichtet und aufgibt, ganz gleich. Nein — aber es soll doch wenigstens einer hier in dem Hause existieren, der einen Willen und eine Meinung besitzt. Der Vater wird zu Gott berufen, die Mutter hat in ihrer Sanftmut nie gewußt, was Selbstbestimmung heißt. Du und dieses kleine Ding, die Line, ihr lebt wie in einem heidnischen Traum befangen, und Hann — Gott« — er zuckte die Achseln — »Hann ist es nicht so gegeben. Deshalb soll Vater noch beim Scheiden die Beruhigung empfinden, daß wenigstens eine Hand da ist, die alles zusammenhalten will.«
In seinem Eifer hatte er auf das so fest an sich gepreßte Buch nicht mehr acht gegeben. Jetzt vermißte er es.
Einen halblauten Ausruf der Überraschung stieß er aus.
»Bruno — Hann — wo ist die Bibel? — Wo?«
Ja, wo war sie?
Wie ein Schatten, katzenhaft, leichtfüßig, in all ihrem Schrecken vor dem Tode da oben leicht kichernd, flog Line die Treppe in die Höhe.
In ihren Händen etwas Schwarzes, Umfangreiches.
»Line — Line,« rief der Student totenbleich hinter ihr her.
Da zögerte sie an der Tür noch einen Moment. Als sie aber Schritte, Sprünge vernahm, duckte sie sich, und — — durch die entstehende Türspalte steckte sie etwas hindurch.
»Da —«
Ihr Atem pfiff.
»Ich dank dich, mein Döchting,« tönte es von drinnen.
Es war geschehen.
Im gleichen Moment fühlte sie sich an den Schultern gepackt. Oh, wie heftig dieser große, schmale Mensch immer zugriff mit seinen Händen, die nichts als Sehnen und Knochen waren. Und doch empfand das wilde, kleine Wesen eine Art Ehrfurcht vor ihm.
»Du — du Geschöpf,« keuchte er, »du bist wie solch' kleine, böse Hexe — aber warte, das muß anders werden. Und wenn ich mich dabei an dir vergreifen sollte. Diese schreckliche Unbildung muß aus dem Hause. Warte nur.«
Wie wenn er gar nicht wüßte, was er tat, schüttelte er sie zornig hin und her.
Das Kind gab keinen Laut von sich. Nur als Bruno, erschreckt über das dumpfe Geräusch dieses stummen Ringens, mit einem Lichtstümpfchen an die Treppe trat, da sah der Student, wie ihre Augen ununterbrochen und fest in die seinen blickten.
Eine große, merkwürdige Ruhe wohnte in ihnen.
Da ließ er von ihr ab, als habe er sich an einem Dorn gestochen.
Tief seufzte er auf und wollte eben wieder hinuntersteigen, als die Tür des Krankenzimmers sich in ihren Angeln drehte. Und in dem breiten Lichtschein stand die kleine Frau Klüth und sagte mit ihrer ebenen Stimme: »Vating will euch alle noch eins sehen. Kommt!«
Hierbei verlor ihre Stimme den ruhigen Klang. Aber den halbfertigen Strumpf hatte sie noch immer in den Händen.
* * *
»Ja, nun seid ihr alle da,« flüsterte der Lotse und hob sich weit aus den Kissen heraus, um die Anwesenden zu überzählen.
Seine Hand schwankte dabei hin und her — —
»Und Paul — und Bruno — und Line — und Hann — un Mudding — un der oll Schäfer — un mein Bootsmann Dietrich Siebenbrod — ihr seid alle da — ja, ja, das is mein Bootsmann.