im Leben, den starken Wunsch empfand, sich zu vermählen. Die Witwe eines ihm befreundeten Hamburger Kaufmanns, die geistesklare, willenskräftige Eva König (geb. 22. März 1736 in Heidelberg), wurde seine Verlobte. Da sie aber das ausgebreitete Geschäft ihres verstorbenen Gatten zu leiten und zu liquidieren hatte, um ihren Kindern einen Teil ihres Vermögens zu retten, und sich die Entscheidung dieser Dinge jahrelang hinzog, da inzwischen auch er mit mancherlei Mißhelligkeiten zu kämpfen hatte, so schlossen die Jahre zwischen 1771 und 1776 vielerlei bittere Erfahrungen und trübe Stimmungen für L. ein. Pläne, eine andre Stellung zu gewinnen, kamen über den ersten Entwurf nicht hinaus. Im Anfang 1775 riß sich L. für kurze Zeit von Wolfenbüttel los, ging über Dresden und Prag nach Wien, wo er seine Verlobte nach langer Trennung wiedersah. Die Aufnahme, die er in Wien in allen Kreisen und selbst bei der Kaiserin Maria Theresia fand, war durchaus ehrenvoll. Trotzdem sehnte er sich nach Wolfenbüttel zurück, weil sich die Aussichten für eine endliche Verbindung mit Eva König günstiger gestaltet hatten. So nahm er es mit geteilter Empfindung auf, daß ihn Prinz Leopold von Braunschweig aufforderte, als Reisegefährte mit ihm Italien zu besuchen. Er glaubte es seinem Verhältnis zum braunschweigischen Hof und seiner Zukunft schuldig zu sein, dem Verlangen des Prinzen zu willfahren. Die ursprünglich auf wenige Monate berechnete Reise, die sich bis nach Neapel und nach Korsika ausdehnte, und von der L. erst 23. Febr. 1776 in Braunschweig wieder eintraf, genoß er so unter eigentümlichen Umständen und, da die Korrespondenz mit Eva König völlig ins Stocken geriet, nur halb; tiefere Eindrücke der Reise auf sein geistiges Leben können nicht nachgewiesen werden. Nachdem er im Sommer 1776 eine mäßige Gehaltserhöhung und den Titel eines Hofrats erhalten, fand im Oktober d. J. auf dem York bei Hamburg seine Hochzeit statt. Ein friedvolles, glückliches Jahr (1777) war L. beschieden. Im Januar 1777 unternahm er eine Reise nach Mannheim, wo man ihm Hoffnungen auf eine Anstellung als Dramaturg gemacht hatte, die sich indessen nicht erfüllten. Am 10. Jan. 1778 starb Eva L. infolge der Geburt eines Sohnes, der nur wenige Stunden am Leben geblieben war. In tiefster Erschütterung sah sich L. wiederum und tiefer als zuvor vereinsamt. Noch in dem Jahre des Verlustes seiner Frau ward er in neue härtere und erbittertere Streitigkeiten als je zuvor verwickelt. In seinen Publikationen aus den handschriftlichen Schätzen der Bibliothek zu Wolfenbüttel hatte er schon 1774 ein Bruchstück: »Von Duldung der Deisten, Fragment eines Ungenannten«, mitgeteilt, dem er 1777 und 1778 weitere »Fragmente« (die Offenbarung, die Geschichte der Auferstehung etc. betreffend) folgen ließ. Verfasser des Manuskripts war der 1768 verstorbene Gymnasiallehrer Sam. Hermann Reimarus (s. d.) in Hamburg, ein rationalistischer Deist nach dem Muster der englischen und französischen Deisten und Freidenker des 18. Jahrh. L., der auch in andern den Drang zur Wahrheit am höchsten achtete, stimmte keineswegs mit den Anschauungen des Fragmentisten unbedingt überein. Als indes die unduldsamen Zionswächter der alten Orthodoxie begannen, die Beschuldigung gegen ihn zu schleudern, daß er »feindselige Angriffe gegen unsre allerheiligste Religion« verfaßt und unter seinen Schutz genommen, als namentlich der Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (s. d.) gegen L. zu polemisieren begann, nahm dieser den hingeworfenen Fehdehandschuh auf und verfocht das Recht der Skepsis gegenüber dem geistlosen Buchstabenglauben, pfäffischer Verdammungssucht und hochmütigem Dünkel. Die Streitschriften Lessings: »Nötige Antwort auf eine sehr unnötige Frage«, »Axiomata«, »Anti-Goeze« (sämtlich Braunschw. 1778), ausgezeichnet durch Schärfe der Logik, hinreißende Beredsamkeit und unvergleichlichen Reiz des Stiles, überlebten den Kampf und seinen Anlaß. Am Ende wurde L., da er nicht zu besiegen war, durch Denunziationen bei seiner Regierung zum Schweigen gebracht und so genötigt, »seine alte Kanzel, das Theater« noch einmal zu besteigen, um ein letztes Work zu gunsten der Toleranz und des Humanitätsgedankens zu sprechen. Auf Subskription ließ er die Dichtung »Nathan der Weise« (o. O. 1779) erscheinen. Hier kehrte L. zur Form der gebundenen Rede zurück und wählte die Form des fünffüßigen Jambus, die er bis dahin nur in unvollendet gebliebenen Entwürfen (»Kleonnis«, »Fatime«) verwendet hatte. Dies Drama hat seine Stärke nicht in der straffen Schürzung und Lösung der Handlung. sondern neben der meisterhaften, psychologisch tiefen Charakteristik wirkt das Pathos edelster Gesinnung und reinster Überzeugung mit unwiderstehlicher Gewalt. Der »Nathan« war Lessings letzte große dichterische Tat. Im nächsten Jahr veröffentlichte er noch die Schrift »Die Erziehung des Menschengeschlechts« (Berl. 1780; vgl. Knittel, G. E. Lessings »Erziehung des Menschengeschlechts«, Vened. 1893) und vollendete »Ernst und Falk, Gespräche für Freimaurer« (Wolfenb. 1778–80), in beiden die Hauptideen wiederum darlegend, die ihn in den letzten Jahren erfüllt und bewegt hatten. Seine physische Kraft war seit dem Tode seiner Gattin gebrochen, flackerte bei einzelnen Ausflügen nach Hamburg und Braunschweig gleichsam nur wieder auf. Bei einem Besuch in Braunschweig erkrankte und starb er 15. Febr. 1781. Den ersten Nachruf, der seinem ganzen Verdienst gerecht wurde, widmete ihm Herder in Wielands »Merkur«.
Lessings Persönlichkeit gehört zu denen, die lebendig und fruchtbar nachwirkend im Bewußtsein ihres Volkes bleiben. Sein Streben und Schaffen ist für die Entwickelung des geistigen Lebens der Deutschen, ja man darf sagen aller heutigen Kulturvölker, von unermeßlichem Einfluß gewesen. Sein poetisches Talent bewährte sich ganz überwiegend auf dem dramatischen Gebiet. Lessings lyrische Gedichte stammen zum größten Teil aus seinen Jünglingsjahren und stehen hinter den besten Leistungen seiner Zeitgenossen zurück. Unter seinen sämtlichen kleinen Reimereien hat nur das Lied: »Gestern, Brüder, könnt ihr's glauben« sich im Gedächtnis der Nachkommen erhalten. Lehrhafter Scherz und lehrhafter Ernst sind neben der Präzision und Reinheit des Ausdrucks das Beste, was wir in seinen oft epigrammatisch zugespitzten lyrischen Erzeugnissen antreffen. Höher stehen seine Fabeln, obwohl auch bei ihnen seine der Weitschweifigkeit und behaglichen Breite von damals bewußt entgegengesetzte Knappheit und Kürze das Hauptverdienst ist. Auch seine Epigramme, die sich meist an überlieferte Motive anlehnen, überragen die bessern gleichzeitigen nur in einzelnen schärfern Pointen. Die poetische Produktion auoll bei L. nicht unmittelbar aus dem Gefühl. Er selbst hat bekanntlich in einer viel erörterten Stelle der »Dramaturgie« sich das dichterische Genie abgesprochen. »Ich fühle«, sagt er dort, »die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigne Kraft sich emporarbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen aufschießt: ich muß alles durch Druckwerk und Röhren aus mir herauspressen.« Doch ist zu erwägen, daß L. sich hier wie anderwärts in absichtlich schroffen Gegensatz gegen das neue Geniewesen stellt, das bald darauf in der Sturm- und Drangperiode zur Herrschaft gelangte und die messende und abwägende Tätigkeit des poetischen Künstlers geringschätzte. Größere, ja unvergängliche Verdienste hat sich L. auf dem Felde der poetischen Theorie und Kritik erworben. Seiner reformatorischen Tätigkeit in der Literatur steht die in der Theologie bedeutsam zur Seite. Schon die Wittenberger »Rettungen« zeigen L. bemüht, die Freiheit prüfender Forschung in Glaubenssachen als heiliges Recht der Menschheit zu vindizieren. Der weitere Entwickelungsgang Lessings, den wir an der Hand einiger, erst nach seinem Tode veröffentlichter Aufsätze, wie »Gedanken über die Herrenhuter« und »Christentum der Vernunft«, verfolgen können, mußte ihn von jenem Punkt aus notwendig zum Bruch mit der Offenbarung führen. Immer mehr lernte er den Wahn, daß die echte Religiosität ohne kirchliche Orthodoxie unmöglich sei, vom Standpunkt der Logik und der Humanität aus als töricht und verderblich erkennen. Zu einer in sich einstimmigen und abgeschlossenen Weltanschauung hat er sich jedoch nicht durchgerungen; in der Hauptsache schloß er sich wie die meisten seiner Zeitgenossen an Leibniz an; in der letzten Zeit schenkte er auch Spinozas Philosophie größere Aufmerksamkeit. Aber die kritische Negation überwog durchaus bei L. Was seinen Schriften unvergänglichen Wert verleiht, ist nicht sowohl die Darlegung einer gefestigten philosophischen oder religiösen Überzeugung, als die vernichtende Abwehr aller den Menschengeist fesselnden Dogmatik. Anderseits war ihm die Geringschätzung des Kirchenglaubens durch Halbgebildete durchaus zuwider; er kannte die theologische Literatur zu gründlich, um nicht Achtung vor der darin aufgespeicherten Geistesarbeit zu hegen.
L. steht als der mannhafteste Charakter der deutschen Literaturgeschichte da; sein Leben ist ein fast ununterbrochener Kampf gewesen. Die gewaltige geistige Kraft, die ihn zu diesem befähigte, zeigte sich auch in seiner leiblichen Erscheinung ausgeprägt. Eine ungemeine Freundlichkeit und ein vollkommen anspruchsloses Wesen zeichneten ihn trotz seiner so entschiedenen Eigenartigkeit aus. Tiefe Abneigung gegen Unwahrhaftigkeit und Heuchelei, gegen alles leere Scheinwesen machte einen der hervorstechendsten Grundzüge seines Wesens aus.