Die besten Wildwestromane & Seegeschichten. Franz Treller
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NI-KUN-THA – DER FUCHS
Von sechs stämmigen, muskulösen Senecakriegern bewacht, torkelten John und Ni-kun-tha durch den hochstämmigen Urwald. Der zweite Tag eines bis zur Erschöpfung anstrengenden Waldmarsches neigte sich seinem Ende zu. In Johns Gesicht malten sich außer Ermüdung Zorn und Erbitterung; dazu quälte ihn die Sorge um den Vater, von dem er annehmen mußte, daß er mit den anderen ebenfalls in die Hände der Wilden geraten sei. Das Gesicht des neben ihm schreitenden Indianers war völlig ausdruckslos, nur in seinen dunklen Augen glimmte es zuweilen gefährlich. Sie waren am Vortage mit auf den Rücken gefesselten Händen bis zum Sonnenuntergang marschiert. Während der Nacht waren sie von ihren Wächtern mittels zweier kreuzweise übereinander gelegter Stäbe gefesselt worden. Zu diesem Zweck wurde der eine Stab quer über die Brust gelegt und an die nach rechts und links ausgestreckten Arme gebunden; der zweite Stab führte vom Kopf bis zu den Füßen; an ihm wurden Hals und Knöchel mit Schlingen befestigt.
In dieser entsetzlichen Lage hatten die beiden Gefangenen, auf dem Rücken liegend, unfähig zu der geringsten Bewegung, die Nacht verbringen müssen. Der Weitermarsch bedeutete ihnen unter diesen Umständen Erlösung von schrecklicher Qual.
Ni-kun-tha ging vor seinem weißen Gefährten zwischen zwei Irokesen. Er hinkte seit dem Morgen und schien äußerste Mühe zu haben, die Beine überhaupt zu bewegen. Doch ließ er keinen Schmerzenslaut hören und gab sich augenscheinlich alle Mühe, mit den anderen Schritt zu halten; trotzdem wurde die Marschgeschwindigkeit durch seinen Zustand erheblich verringert. Den Irokesen mochte das als eine List ihres roten Gefangenen erscheinen; sie trieben ihn jedenfalls immer wieder zur Eile an und bedrohten ihn mehrmals mit dem Tomahawk. Ni-kun-tha schwieg dazu, man sah, wie er die Zähne zusammenbiß und sich mühte, schneller zu gehen. Als einmal einer seiner Wächter einen Zweig abbrach und ihn damit über den Rücken schlug, knirschte er mit den Zähnen, und eine Flamme unverhohlenen Hasses brach aus seinen Augen. Doch kam nicht der geringste Laut über seine Lippen.
Allmählich wurde es Zeit, an das Nachtlager zu denken, denn es war offensichtlich, daß der Miami nicht mehr weit kommen würde; er schleppte sich nur noch mühsam dahin. Die Irokesen besprachen sich miteinander und faßten schließlich den Beschluß, am steilen Ufer eines Flusses, der überschritten werden mußte, Halt zu machen und bis zum Morgen zu lagern.
Bald loderte ein Feuer empor, und man bot den Gefangenen zu essen an. John nahm das ihm dargereichte Fleisch und aß, Ni-kun-tha dagegen, der gänzlich erschöpft schien, lehnte mit einer schwachen Gebärde ab; er sank mit einem leisen Aufstöhnen zu Boden. John beugte sich, äußerst erschrocken über ihn und fragte:
»Falke, was fehlt dir? Bist du krank?« Er erhielt keine Antwort; der Miami atmete schwer und keuchend; er hatte die Augen geschlossen.
Bald danach wurden beiden wie am Vorabend Hals, Arme und Beine an kreuzweis übereinander befestigten Stäben gebunden. Nachdem das geschehen war, ließen die Irokesen sich am Feuer nieder, um zu essen und zündeten sich alsdann ihre Pfeifen an. Die Sonne neigte sich stark, doch würden bis zum völligen Einbruch der Dunkelheit immerhin noch drei Stunden vergehen. Der um seinen indianischen Freund ernsthaft besorgte junge Burns erkundigte sich mehrmals nach dessen Befinden, erhielt aber außer einem leisen, dumpfen Stöhnen keine Antwort.
Es mochte eine halbe Stunde vergangen sein, als ein Röcheln die Aufmerksamkeit der am Feuer hockenden Krieger auf Ni-kun-tha lenkte. Einer der Indianer erhob sich und näherte sich dem Gefangenen. Auf seinen erstaunten Ruf kamen dann auch die anderen heran. Der Miami lag regungslos, die leicht geöffneten Lippen waren mit Schaum bedeckt, die Augen, von denen fast nur das Weiße zu sehen war, starr nach oben gerichtet, die Züge schienen völlig erschlafft; ein leises Zittern lief durch den ganzen Körper.
Einer der Irokesen untersuchte die Schlinge, mit der Ni-kun-thas Hals an den Stab gefesselt war, aber sie saß locker genug; sie konnte den Zustand des Gefangenen nicht herbeigeführt haben. Die Indianer zeigten sich jetzt ernsthaft besorgt; es wäre ihnen außerordentlich schmerzlich gewesen, wenn der Miamihäuptling gestorben wäre, bevor er den Marterpfahl erreichte. Sie wechselten hastig ein paar Worte, dann wurde Ni-kun-tha von der Stabfesselung befreit. Sie versuchten, ihn aufzurichten, aber der augenscheinlich völlig kraftlose Körper brach sogleich wieder zusammen und blieb regungslos wie zuvor liegen, die halb verdrehten Augen glanzlos nach oben gerichtet.
Ein alter Seneca, der zweifellos in allen Listen der Wälder geübt war, sagte: »Der Miami will sterben. Es ist besser, er stirbt unter dem Tomahawk eines Kriegers als gleich einem räudigen Hund.« Damit wirbelte er den Tomahawk um den Kopf und ließ ihn mit voller Wucht niedersausen. Der Schlag war mit solcher Geschicklichkeit geführt worden, daß die Schneide der gefährlichen Waffe dicht neben dem linken Ohr des scheinbar fast Toten in die Erde fuhr. Gleichwohl zuckte in dem Gesicht des Jungen Miami nicht eine Wimper; die Züge blieben schlaff und erstarrt, der Mund stand, wie vorher, halb offen.
»Er ist vom bösen Geist besessen«, flüsterte der Anführer der kleinen Schar, »setzt ihn dort an den Baum und reibt ihm die Brust.«
Zwei Krieger ergriffen den schlaffen Körper des Gefangenen, schleppten ihn nach dem bezeichneten Baum und lehnten ihn in sitzender Stellung mit dem Rücken gegen den Stamm. Sie rieben ihm eifrig Brust und Schläfen, und diese Behandlung schien denn auch Erfolg zu haben, denn nach einem Weilchen begann der offenbar Bewußtlose zu atmen und machte einen freilich vergeblichen Versuch, den Kopf zu erheben. Weiter rieben die Seneca ihm Brust und Rücken. Ein dumpfes Stöhnen entrang sich den halboffen Lippen des Zusammengesunkenen.
John, der kein Glied zu rühren vermochte, konnte von dem, was um ihn herum vorging, nur wenig sehen; er befand sich in großer innerer Erregung. Ni-kun-tha saß jetzt aufrecht unter dem Baum. Seine Augen waren geschlossen und sein Atem ging unregelmäßig, dann und wann lief ein krampfhaftes Zittern durch seinen Körper.
Wäre der Blitz vom heiteren Himmel herniedergefahren, die Seneca hätten nicht entsetzter sein können, als jetzt, da der allem Anschein nach halbtote Miami plötzlich mit einem Satz, der einem Panther Ehre gemacht hätte, emporschnellte und mit einem zweiten, noch gewaltigeren Sprung über die steil abfallende Uferwand setzte und verschwand. Nur der Alte, der den Tomahawk noch in der Hand hielt, war geistesgegenwärtig genug, ihn dem Entsprungenen nachzuschleudern, ohne ihn freilich zu erreichen. Die anderen standen da wie aus Stein gegossen. Dann aber erhob sich ein ohrenbetäubendes Geheul. Sie griffen zu ihren Büchsen und rannten dem Entsprungenen nach, der einem Federball gleich den Abhang hinabgerollt war und eben im Wasser verschwand. Behende kletterten die Irokesen die steile Böschung hinab, die Augen auf das Wasser des nicht sehr breiten Flusses gerichtet, auf dessen Oberfläche jeden Augenblick der Kopf des Flüchtigen erscheinen mußte.
Der Alte blieb allein zurück. John, dem nun klar geworden war, was da vor sich ging, lag in tiefer Erregung in seinen unlösbaren Banden und lauschte.
Ni-kun-thas dunkler Kopf erschien jetzt, eine gute Strecke stromab, über dem Wasser, war aber, ehe noch einer der Verfolger die Büchse hoch reißen konnte, schon wieder verschwunden.
Die Irokesen liefen am Fluß entlang, als ein gellender Hohnruf vom entgegengesetzten Steilufer sie darüber belehrte, daß der Flüchtige bereits festen Boden unter den Füßen hatte. Augenblicklich sprangen sie ins Wasser und schwammen, die Büchsen, hoch über die Köpfe erhoben, in schnellen Stößen hinüber.
Auf der Höhe des gegenüberliegenden Ufers angekommen, sahen sie auf der kleinen Prärie, die sich bis zu einem aus nackten Felsen gebildeten Höhenzug ausdehnte, den Sohn Tana-ca-ris-sons mit den Sprüngen eines Hirsches davoneilen. In wilder Jagd nahmen sie die Verfolgung auf,