Mami Staffel 6 – Familienroman. Claudia Torwegge
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»Entschuldigen Sie, Frau Mertens, daß ich so spät noch hereinplatze, aber ich fahre morgen in Urlaub und ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht ab und zu mal meine Blumen gießen würden…«, sprudelte er heraus und hielt plötzlich inne. »Was für eine schöne Musik Sie haben!« rief er aus. »Ist das eine CD?«
Nina schüttelte den Kopf.
»Nein, es ist im Radio«, antwortete sie.
»Schade«, meinte er bedauernd. »Ich hätte Sie nämlich gebeten, mir die CD zu leihen oder mir dieses Lied aufzunehmen.«
»Ich muß diese Schallplatte irgendwo haben«, meinte Nina und winkte ihm, näher zu treten. Mit suchendem Blick ging sie die Reihe ihrer CDs entlang, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. »Ach ja, hier ist sie.«
Sie hielt sie ihm hin.
»Ich schenke Sie Ihnen. Ich brauche sie nicht mehr«, sagte sie. Erstaunt hob er den Kopf und sah sie an.
»Aber – es ist doch ein so schönes Lied«, meinte er.
»Trotzdem. Ich brauche sie wirklich nicht mehr«, sagte sie und fügte, als er sie immer noch ein wenig verständnislos ansah, erklärend hinzu: »Das Lied erinnert mich an etwas, das ich gerne vergessen möchte.«
»Ach so. Ich verstehe«, antwortete er, obwohl er rein gar nichts verstand. Traurig sah Nina Mertens aus, und er hätte ihr gerne etwas Nettes gesagt.
»Vielen Dank, ich nehme die CD gerne«, meinte er. »Aber nur, wenn Sie sich dafür eine von meinen aussuchen.«
»Warum? Haben Sie auch ein Lied, das Sie gerne loswerden möchten?« fragte sie lächelnd. »Könnte ja sein, nicht wahr?«
Wahrscheinlich, so dachte er, erinnert sie das Lied an eine unglückliche Liebesgeschichte.
»Könnte sein«, entgegnete er grinsend und dachte an die Schar seiner verflossenen Freundinnen. Es waren, wenn er ehrlich war, eine ganze Menge gewesen.
Er ist nett, dachte Nina, und er sieht nett aus mit diesem jungenhaften Grinsen auf dem Gesicht. Ein sportlicher Typ, ein freundlicher junger Mann, immer hilfsbereit, wenn sie einmal mit einer kleinen Reparatur nicht zurechtkam. Er war immer gut aufgelegt, und sie hatte das Gefühl, daß er in seinem Beruf tüchtig war und mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand.
»Wie ist es, ich habe eine gute Flasche Wein im Kühlschrank. Wollen wir die zusammen trinken? Auf gute Nachbarschaft oder auf Ihren Urlaub?« schlug sie vor. Ihr war es mit einem Male wichtig, daß dieser nette junge Mann nicht sogleich wieder fortging, sondern ein Weilchen bei ihr blieb. Der Abend nahm auf einmal eine ganz andere Wendung. Zuerst war sie traurig und deprimiert gewesen – und nun war durch den Besuch dieses jungen Mannes unversehens eine Heiterkeit aufgekommen, die ihr von Herzen guttat und sie von ihren trüben Gedanken ablenkte.
Er lachte fröhlich auf.
»Das ist der beste Vorschlag, den ich seit langem gehört habe!« rief er aus. »Ich mußte nämlich in den letzten Tagen schrecklich schuften, damit ich in meiner Firma alles geordnet hinterlasse, denn ich fahre morgen in aller Frühe nach Spanien. Und heute steht mir noch dazu dieses vermaledeite Kofferpacken bevor. Wissen Sie, ich nehme immer das Falsche mit!«
»So geht es mir auch. Ich weiß nicht, wie die anderen Leute das machen. Die sind immer so perfekt«, meinte Nina und holte Gläser aus dem Schrank. Irgendwo mußte sie auch noch Salzbrezeln haben, wenn Amelie sie nicht inzwischen aufgefuttert hatte.
»Ach was, perfekt! Wahrscheinlich haben die Leute fünf Koffer dabei und können dann je nach Gelegenheit ihre Garderobe auswählen. Ich reise am liebsten mit kleinem Gepäck«, sagte der junge Mann und folgte Nina nach in die Küche. Er sah sich um und machte ein betretenes Gesicht. »Oh, wie ordentlich! Die Küche muß ich auch noch aufräumen, bevor ich abreise. Das wird eine kurze Nacht!«
Obwohl er offensichtlich noch eine ganze Menge zu erledigen hatte, setzte er sich in aller Ruhe zu Nina und entkorkte die Flasche
»Das ist aber ein gutes Tröpfchen«, sagte er anerkennend.
»Ich hab sie von meinem Onkel geschenkt bekommen. Er ist Arzt auf dem Lande. Viele seiner Patienten sind Weinbauern und bezahlen ihn ab und zu in Naturalien statt mit Geld«, sagte sie. Friedhelm Brückner nickte anerkennend.
»Das finde ich einfach großartig. Arzt auf dem Lande – und Bezahlung in Naturalien. Da kann man noch richtig gut leben«, meinte er.
»Nun, es ist nicht alles Gold, was glänzt«, sagte Nina. »Es ist mittlerweile auch ganz schön anstrengend für den alten Herrn. Die Praxis wird immer größer, und er hat kaum noch Kollegen in seiner näheren Umgebung. Er muß oft bei Wind und Wetter, bei Eis und Schnee und manchmal auch mitten in der Nacht Hausbesuche machen und dafür weite Wege auf sich nehmen. Er sucht schon lange Zeit vergeblich nach einem Nachfolger.«
Beinahe hätte Nina ihm dann auch noch von Ulf erzählt. Von Ulf, der eine wissenschaftliche Karriere, eine glanzvolle Laufbahn einem Leben als einfacher Landarzt vorgezogen hatte.
»Aber seltsamerweise möchte keiner dauernd auf dem Land arbeiten«, fuhr sie fort. »Alle zieht es wieder in die Stadt. Seine Assistenten bleiben nur kurze Zeit und dann sagen sie ihm wieder Adieu. In der Stadt haben sie eben mehr Abwechslung.«
»Abwechslung hin, Abwechslung her! Also ich – wenn ich Arzt wäre – ich würde sofort auf dem Land arbeiten!« sagte er. »Die Ruhe, die frische Luft – und nicht zu vergessen: die Naturalien!«
Er hob sein Weinglas gegen das Licht und bewunderte die Reinheit und schöne Farbe des Weines. Er lehnte sich gemütlich auf Ninas Sofa zurück. Es war, als ob er keine Anstalten machen wollte zu gehen, bevor nicht die Flasche Wein restlos ausgetrunken war. Er erzählte von seiner Arbeit in einem großen Verlag, berichtete von seiner Familie und schilderte ihr ausführlich sein Urlaubsziel und alles, was er dort unternehmen würde.
Nina sah ihn von der Seite an. Sympathisch sah er aus mit dem schmalen Gesicht, dem ausgeprägten Kinn, den freundlichen Augen und den schön geschwungenen Lippen.
Ob er wohl eine Freundin hat? mußte sie denken. Ihr Blick verweilte auf seinen schlanken, doch kräftigen Händen, die behutsam den Stiel des Weinglases hielten – und für einen Moment mußte sie denken, wie es denn wäre, diese schlanken, kräftigen Hände auf ihrer Haut zu fühlen, von ihnen gestreichelt zu werden. Unwillkürlich erschauerte sie, und er bemerkte es.
»Oh, Sie sind müde«, sagte er mitfühlend. »Und ich sitze hier und erzähle und erzähle und finde kein Ende… Es ist aber auch zu gemütlich bei Ihnen. Wenn ich da an meine Junggesellenbude dort oben denke, o je! Unordentlich und unaufgeräumt…«
Er machte ein so verschmitztes, spitzbübisches Gesicht, daß Nina lachen mußte.
»Das kann ich nun wirklich nicht glauben, Herr Brückner!«
»Bitte nicht so steif!« bat er. »Sagen Sie nicht Herr Brückner zu mir, sondern Friedhelm. Einfach Friedhelm!«
»Na