Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel
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Читать онлайн книгу Die Herrin und ihr Knecht - Georg Engel страница 16
Als Frau von Stötteritz bis hierher in ihrer Lektüre gelangt war, da faltete sie den Brief emsig und umständlich zusammen, jede Falte in ihre gewohnte Lage, und schob das Schreiben mit ihrer dürren Hand raschelnd in den seidenen Beutel. Dann wandte sie das Haupt, und ohne ein weiteres Wort an diese für sie völlig erschöpfte Angelegenheit zu verschwenden, richtete sie ihre starren, grauen Augen, die sich plötzlich unnatürlich weit geöffnet hatten, regungslos und unerbittlich auf das hochgewachsene blonde Mädchen. Auch Johanna vermochte sich in der abermals herabsinkenden Stille, die bang und trübselig, beinahe hörbar, durch das weite Zimmer schlürfte, keiner Bewegung hinzugeben.
Ungläubig nahm der Riese von Sorquitten, der auch jetzt noch mit hörbar tiefen Atemzügen neben seiner jungen Verwandten weilte, die merkwürdig belebte Blässe des sonst so resoluten und durch nichts zu erschütternden Frauenbildes in sich auf.
»Kriegt endlich doch das Bibbern,« fuhr es ihm durch den Sinn, und seine kernige Mannhaftigkeit freute sich darüber, weil das stolze Weib, das ihn stets wie eine beobachtende Erzieherin behandelte, sich wenigstens vor der Gefahr genau wie alle anderen Frauenzimmer demütigen lernte. »Na, da wird sie ja unseren Vorschlag gnädig aufnehmen,« dachte er, »womöglich noch dankbar sein, weil man sie hübsch fürsorglich aus unserer Pulverecke fortschafft.«
Und ohne weitere Überlegung reckte er sich, um seine breite Tatze herablassend, wohlwollend auf die Schulter der Cousine zu betten. Die in Gedanken Versunkene jedoch ließ es ruhig geschehen. Es war das erste Mal, daß sich der Recke ihrer blühenden Körperlichkeit so weit nähern durfte. Und mitten in dem schweren Druck, den die bängliche Zeit verbreitete, da empfand der strotzende Gutsherr in seinem derben, allem Grübeln abgeneigten Sinn etwas von der verschämten Üppigkeit dieser verhüllten, unberührten Mädchenglieder. Freilich nur eine vorüberblitzende Sekunde, denn gleich darauf zuckte das entschwundene Leben durch die völlig entrückte Frauengestalt. Widerwillig schnellte ihre Schulter empor, schüttelte die fremde Hand als etwas Störendes von sich ab, und während sie ihren Blick mit ihrer kühlen Sicherheit gegen seine trotz aller Überhebung gutmütigen Knabenaugen richtete, da stieß sie kurz und geschäftsmäßig hervor, wie jemand, der endlich auf den Kern der Dinge dringen will:
»Na also, Fedor, nur um mich auf alles dies vorzubereiten, deswegen allein hast du doch deine Mutter nicht zu der Fahrt veranlaßt? Heraus damit, was führst du noch im Schilde?«
Verwünscht, da war wieder eine jener niederträchtig kurzen Fragen, auf die seine schwerfällige Unterhaltungsgabe nicht sofort eine Antwort zu erteilen wußte. Herrgott ja, man plante ja allerlei Heimliches, sogar seit Jahren, man trieb sich viel öfter auf dem Hofe von Maritzken herum, als es eigentlich durch die Verwandtschaft oder eine treue Nachbarlichkeit bedingt war, weil man eben dachte – weil man doch zum Schluß wünschte, daß – daß – – Zum Kuckuck, es wurde eben nichts daraus, weil das große blonde Weib, das in der Statur so hübsch zu einem paßte, nichts, aber auch gar nichts Entgegenkommendes oder Aufmunterndes zeigte, was einem die schwere Sprache vielleicht gelöst hätte. Und auch in diesem drängenden Moment hätte der Riese das, was ihn im Grunde bewegte, und was längst die Billigung der Frau Mama gefunden hatte, ohne deren Ja und Amen man ja schließlich nichts unternehmen konnte, ja, er hätte all das Verborgene gerade jetzt viel sachter und zarter einkleiden können. Aber nun, als man ihm wieder mit einer solch brüsken Deutlichkeit auf den Leib rückte, da vermochte sich der Herr von Sorquitten nur auf den alleräußerlichsten Grund zu besinnen, den man im letzten Ende doch nur als guten Vorwand aufgespart hatte.
»Was es gibt – was ich will –,« murmelte er aufgescheucht, wobei seine blauen Augen Unterstützung heischend nach dem regungslosen Antlitz seiner Mutter hinüberirrten. »Herrgott, Hans, das ist doch klar, das ist doch furchtbar einfach.«
»Na, dann sag es doch!«
»Ja, sieh mal, ich meinte – das heißt, meine alte Dame ist gleichfalls der Ansicht – wenn es losgehen sollte, dann könnt ihr Mädels doch unmöglich in der glatten Feuerzone bleiben. Und da hatten wir so ganz gemütlich unter uns verabredet, daß es am sichersten wäre, wenn du deine Schwestern nach Berlin schicktest. Du selbst aber – –«
»Nun also?«
»Herrgott, sieh mal, es wäre doch so einfach –«
Indessen das Augenpaar der Ältesten von Maritzken ruhte wieder zu scharf, zu kühl und zu forschend auf dem Männerantlitz, als daß Herr von Stötteritz, der doch die Charge eines Landwehr-Rittmeisters bei den Göben-Ulanen bekleidete, die Gewandtheit besitzen konnte, die wohlausgedachte Attacke zu vollenden. Diese niederträchtigen, komischen Weibsbilder, was sie einem für Beschwerlichkeiten bereiteten. Es war ein reines Glück, daß sich jetzt aus dem Seidenfauteuil das bekannte scharfe Räuspern vernehmen ließ.
»Liebe Johanna,« sagte die Frau Mama in ihrer unveränderlich starren Haltung, »mein Junge stottert ja leider. Wahrhaftig, er benimmt sich, als ob man vor jemandem, dem man zu nützen wünscht, noch einen Fußfall machen müßte. Kurz und gut, liebes Kind, so schwer es mir fällt, ich habe mich entschlossen, Sorquitten zu verlassen, um während der nächsten Zeit in die geschützte Provinzialhauptstadt überzusiedeln. Wir besitzen ja dort sowieso ein bescheidenes Absteigequartier. Und da wollte ich dir vorschlagen –«
»Jawohl, wir wollten dich bitten,« fiel hier der Sohn, dem alles viel zu lange währte, ohne besondere Umstände ein, »wir wollten dich bitten, ob du nicht meine Mutter begleiten möchtest.«
»Um Gottes willen, ich?«
»Jawohl, was ist da groß zu überlegen und um Gottes willen,« beharrte nun der Gutsbesitzer bereits etwas erhitzt, weil die Cousine nicht sofort mit beiden Händen zugriff. »Du bleibst dann für alle Fälle hier in der Nähe. Und du könntest dich ja vielleicht auch, um dich zu beschäftigen, ein wenig um die Pflege meiner Mutter kümmern.«
So, damit war so ziemlich für die Zukunft vorgesorgt. Und während sich Tante Adelheid dem Fenster zuwandte, um eine blaue Taube zu beobachten, die auf dem Blech herumstolzierte, da zog sich ihr Sohn gleichfalls den nächsten gelbseidenen Fauteuil heran und ließ sich krachend in das Polster fallen, als ob nun das schwierige Geschäft in schönster Ordnung und beendigt wäre. Gemütlich pfiff er halblaut durch die Zähne, streckte die gewaltigen Beine von sich und faltete die Hände kreuzweise