Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel

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Die Herrin und ihr Knecht - Georg Engel

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war seine Arbeit, von der er sich einmal Erfolg versprochen. Jetzt blieben seine Augen wirr auf einer sauber gezeichneten Terrainkarte haften, und er versuchte sich zu besinnen, warum er mit roter und grüner Tinte verschiedene sich kreuzende Linien hineingemalt hatte.

      Alles vergeblich. Der bohrende Gram, die innere Unzufriedenheit mit sich selbst, sie warfen sein Auffassungsvermögen um, sie schlugen den stärkeren Menschen in ihm nieder.

      Nein, es war genug. Törichter Hochmut, sich für besser zu halten und würdiger als seine Kameraden sich gaben. Und dann – er lachte bitter auf, bedeckte sich mit der blauen Mütze, und nach ein paar Minuten schon klirrte sein metallener Säbel über das Trottoir der menschenleeren Rosenkranzgasse.

      »Ah, Fritz Harder,« rief der lange Janick, als sein Freund das Spielzimmer des Kasinos betrat; und damit erhob sich der Oberleutnant, lebhaft winkend, von seinem Sitz, »kommen Sie, Beethoven, hier ist eine große Neuigkeit eingetroffen. Schieberamsch mit Pauken und Trommeln. Das müssen Sie lernen, Fritzchen, setzen Sie sich neben mich, so etwas Anregendes haben wir schon lange nicht erlebt. Prost, Musikante – prost.«

      Dunkelheit senkte sich bereits über die Stadt. Aus dem Portal des Goldenen Bechers trat, dicht in einen schwarzen Hängemantel gehüllt, der bewegliche Kammerdiener des Konsuls Bark heraus, in der Hand ein ziemlich umfangreiches Briefkuvert, das er im Auftrage seines Herrn dem Leutnant Fritz Harder in sein Quartier überbringen sollte. Der weiße Umschlag leuchtete durch die Nacht, als Pawlowitsch achtlos schlenkernd über den Marktplatz schritt. Noch war der Diener nicht weit gekommen, als seinen auch jetzt rastlos umherspähenden Äuglein die Umrisse eines Jagdwagens auffielen, der, mit drei winzigen Pferdchen bespannt, dicht vor der Einfahrt des zweiten großen Gasthofes der Stadt »Zum russischen Großfürsten« wartete. Interessiert und auf unhörbaren Sohlen tänzelte Pawlowitsch näher. Aus der Dunkelheit tauchten zwei Gestalten auf, die sich augenscheinlich an dem Hinterrad des Gefährts zu schaffen machten. Ein paar derbe Flüche in russischer Sprache wurden laut, und der Kammerdiener erkannte sofort das dröhnende Organ des Grenzoffiziers, der vor ein paar Stunden seinem Herrn die Ehre seines Besuches geschenkt hatte.

      »Dummes Vieh,« hörte der regungslos Verharrende den Rittmeister Sassin auf seinen Rosselenker einschimpfen, »hab' ich dir nicht zehnmal gesagt, daß das Rad quietscht wie eine kranke Katze? Du Hundesohn hast wieder verschlafen, Fett auf die Achse zu schmieren. Ich schneide dir noch einmal in Wahrheit beide Ohren ab. Gleich holst du dir von diesen Deutschen etwas von dem Zeug heraus. Hast du verstanden?«

      Der zusammengekrümmte Kutscher zog seine hohe Schirmmütze. »Jawohl, guter Herr,« murmelte er demütig und verschränkte seine Arme über der Brust. »Euer Gnaden, ich gehorche.«

      »Zum Teufel, dann mach, daß du fortkommst! Und wenn du fertig bist, dann holst du mich dort drüben aus der Konditorei ab. Hast du begriffen?«

      »Ich gehorche, Euer Gnaden.«

      Der Kutscher trottete in die Einfahrt zurück, und der Rittmeister schlenderte säbelklirrend über das rauhe Pflaster, bis er plötzlich vor der schweigenden Gestalt des Lauschers zurückschreckte.

      »Was ist?« rief er drohend.

      »Oh nichts, Euer Gnaden,« erwiderte Pawlowitsch sich tief verbeugend, »ich bin es nur, der Diener des Herrn Konsul Bark.«

      »Aha – aha – Diener – Diener von ausgezeichnetem Freund Rudolf Bark,« lenkte der Russe ganz widerspruchsvoll ein, und dabei versetzte er dem zierlichen Männchen einen wohlwollenden Faustschlag auf die Schulter, so daß der Überraschte, der eine solche Gunstbezeugung wohl kaum erwartet haben mochte, ein wenig vornüber taumelte.

      »Heilige Mutter!« stöhnte der Getroffene leise.

      Der Russe jedoch ließ von seiner Zärtlichkeit nicht ab, ja, er beugte seine mächtige Gestalt sogar noch etwas tiefer zu dem Unentschlossenen herab, als sei es für ihn überaus interessant zu konstatieren, was für einen weißen Zettel der Diener des ausgezeichneten Rudolf Bark in den Händen trüge.

      »Pawlowitsch, guter Junge,« rief er wohlgelaunt, und dabei zupfte er nach russischer Sitte dem weißhaarigen Kerlchen sanft an dem Ohrlappen herum, »bist fleißigstes Geschöpf, das ich kenne in dieser fleißigen Stadt! Toujours en vedette, früh und spät. Weißt du auch, daß ich dich deinem Herrn schon längst ausmieten wollte? Sieh einmal, du trägst Brief, Pawlowitsch!«

      »Oh,« erwiderte der Hausmeister, der einen Augenblick zögerte, bis er dann doch die Aufschrift des Kuverts nach oben kehrte, »an den Leutnant Fritz Harder«.

      »Leutnant Fritz Harder,« wiederholte der Dragoner in beglücktem Ton, »ach, sieh einmal, wirklich an lieben Fritz Harder.« Und nach einer Weile des Nachdenkens, während deren sich der Russe rasch den blonden Kinnbart strich, setzte er hinzu: »Mir ist, als ob junger Herr bei der Festungskommandantur beschäftigt wäre?«

      »Ja,« pflichtete Pawlowitsch immer langsamer bei, indem er den Brief vorsichtig unter dem herabwallenden Hängemantel vergrub, »der Herr Leutnant ist seit kurzem dazu kommandiert.«

      »Nun, will nicht aufhalten,« sagte der Russe freundlich, »besorge Auftrag, Pawlowitsch. Aber warte, – sollte ich heute nicht vergessen haben, dir dein gewohntes Trinkgeld zu überreichen?«

      Jetzt schüttelte der Diener heftig abwehrend das Haupt, allein er konnte es doch nicht verhindern, daß seine schwarzen Äuglein trotz der Dunkelheit einen höheren Glanz gewannen.

      »Nein, nein, Euer Gnaden, ich habe nichts zu beanspruchen. Der Herr Rittmeister haben ja nichts bei uns genossen.«

      Der Russe jedoch streckte wiederum seine Faust nach dem Ohrläppchen des nicht mehr Zurückweichenden aus.

      »Kleiner Galgenvogel,« meinte er gutmütig, »hast du vergessen, daß ich euch beinahe eine ganze Flasche von wunderschönen klaren und lieblichen Rheinwein austrank? Ein schöner Wein, ein seltener Wein! Wir Russen sind dankbar, wir erinnern uns stets der treuen und braven Diener. Hier, Pawlowitsch, nimm. Macht mir Freude, wenn du an Rittmeister Sassin denkst.«

      War es Ernst oder bestand alles in einem Irrtum? Gott im hohen Himmel, da hielt der Mann im Radmantel ein blankes Zwanzigmarkstück in der Hand; der über dem Markt heraufkommende Mond weckte Funken in dem roten Metall, und es war ein so einzig schönes Bild, daß Pawlowitsch seine langen Finger krampfhaft schloß, als gönne er es anderen nicht, sich an dieser wärmenden Augenweide zu ergötzen. Und doch krümmte sich seine Seele und wand sich ängstlich hin und her, denn die Güte des Rittmeisters erschien dem kundigen Mann verdächtig, und ein quälender Zweifel beschlich ihn, ob jenes Gold nicht vielleicht dazu bestimmt wäre, um die besseren Mahnungen seines Herzens zu übertönen. Man hatte so viel von den rauhen Grenznachbarn gehört, sie waren so lüstern nach diesen oder jenen gleichgültigen Dingen, die den Uneingeweihten gänzlich nebensächlich erschienen, und die dann doch plötzlich eine besondere Geltung gewinnen konnten. Und dann – die Versucher von dort drüben sollten sich im Besitz von ungeheuerlichen Schätzen befinden, die sie wahllos und verschwenderisch über die ihnen Ergebenen und Willfährigen ausstreuten. Hatte sich Pawlowitsch, der Listige und Verschlagene, nicht schon oft heimliche Gedanken darüber gemacht, wie hübsch es wäre, wenn man die groben ungeschlachten Kerle von jenseits der Grenze ein wenig necken würde? Natürlich nur ein bißchen aufziehen, um sie hinters Licht zu führen, denn man wußte ja eigentlich gar nichts, was die neugierige Gesellschaft wirklich interessieren könnte. Aber als der Hausmeister jetzt das kalte Goldstück mit seinen langen Spinnenfingern umschloß, da gab es ihm doch einen brennenden Stich durch alle Adern hindurch, und einen Moment schlugen Angst und Feigheit so stark in ihm empor, daß er fast ohne Überlegung die Hand ausstreckte, um das liebe, das schöne, das reiche

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