Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel

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Die Herrin und ihr Knecht - Georg Engel

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auf sich wirken ließ, jenes überwältigende, niederdrückende Einsamkeitsgefühl. Auch die enge Gasse, durch die kein Wagen fahren durfte, mutete ihn an, als ob eine Riesenfaust sie zusammengepreßt hätte, damit jede Spur einer frischen reinen Luft aus ihr entwiche. Dumpf und feucht wie aus einem Kellerloch wehte es zu ihm herein. Herrgott, hier lebte man wirklich wie in den Kasematten der Festung, durch hohe Mauern abgesperrt von allem Glanz des Tages. Und dann das trostlose Einerlei seiner Tätigkeit. Wie ihn das mit einem ängstlichen Schauer erfüllte, wenn er sich all diese gleichgültigen und dennoch, wie er zugeben mußte, notwendigen Dinge zurückrief. Heute und morgen und übermorgen das Rekruten-Einexerzieren, die ewig geübten und wiederholten Instruktionsstunden, die anstrengenden Märsche bis weit über das Glacis der ehemaligen Festung, wo er jeden Baum, jeden Strauch, jeden Hügel und jeden Graben kannte und beschrieben hatte. Und dazu die Aussicht, die Aussicht in weiter Ferne, unwahrscheinlich und unerreichbar, jemals sich in dem wissenschaftlichen und kunstgemäßen Untergrund des Dienstes betätigen zu dürfen. Denn ach, wie jede praktische Beschäftigung auf Erden, so war ja auch sein Beruf auf festen Quadern einer historischen, sowie einer technischen Wissenskunde aufgebaut. Aber in dieses strenge, wohlverschlossene, geheimnisvolle Haus fanden fast ausschließlich die Mitglieder einer bevorzugten Kaste Einlaß, und selbst jene harrten wieder vergeblich vor den innersten Kammern, in denen, wie in dem pochenden Herzen des gewaltigen Körpers, alle feinsten Adern und Verästelungen zusammenliefen. Wie sollte da der Sohn eines auf sein schmales Gehalt angewiesenen ostpreußischen Oberförsters hoffen dürfen? Umsonst blieben die verborgen angesponnenen Versuche, die sein heiß aufbegehrender Arbeitswille hie und da unternommen. Sie vergilbten in der Schublade des wackligen Fichtentischchens dort in der Ecke, ja, ihr Vorhandensein sogar wurde von den fröhlicheren Kameraden – mit Recht – verspottet. Oh, wenn nur der Drang und die Sucht nicht gewesen wären, sich aus diesen umklammernden Beängstigungen vor der Zukunft zu befreien. Da gab es nur ein Mittel. Und der Blick des Nachdenklichen schweifte zu dem geborgten Flügel hinüber, der in seinem schwarzen Glanz fast die Hälfte des Zimmers ausfüllte. Leuchtend spiegelten sich die Strahlen des Lämpchens auf der fein polierten Platte. Ja, dort wob sich ein Zaubernetz, in das er sich träumend strecken konnte, und das dann von klingenden Genien emporgehoben wurde weit fort über die kleine handeltreibende Stadt, fort von den zechenden, hasardierenden Kameraden mit ihrer absichtlich zur Schau getragenen Verachtung alles höheren Bildungsstrebens, weit fort von Armut und Beschränkung. Aber nein – –

      Und der Nachdenkliche am Fenster zuckte zusammen und vergrub jetzt sein Haupt, auf dem es plötzlich wie in Glut und Feuer aufflammte, in beide Hände. Vergessen und Beseligung, sie wurden dem Glücklichen noch von anderer Seite gespendet. Hier wuchs Trost, Erbauung, Andacht, tiefe Demut vor der göttergebildeten Schönheit, und die verzehrende auflösende Sehnsucht, sich in ein anderes prangendes Dasein hinüber zu retten, wie es wohl nur ein Künstler in seinen Träumen fühlen konnte. Das schöne, gnadenspendende Weib stand lächelnd und reizvoll, zu immer neuen Gaben bereit, vor den geschlossenen Augen des Kämpfenden, bis sich sein jugendstarker Körper unter einem fröstelnden Schauer wand. Und doch, wie entsetzlich, auch hier die Unsicherheit, die sein Leben so wehrlos machte. In Stunden aufschießender Erkenntnis, empfand er da nicht unumstößlich gewiß, wie das Beste in ihm, trotz der glückverlangenden, spielerischen, lustdurchzitterten Zeit um ihn herum, nach Dauer, nach Reinheit und nach Sicherem verlangte? Ein Begehren, das ihn bei seinen forschen Kameraden in den Ruf eines sonderbaren Heiligen gebracht. Nein, das ließ sich nicht wegschwatzen und fortdisputieren. Jene starke Sehnsucht haftete ihm von dem kleinen beschränkten Elternhause an, von jener Stätte des Friedens, die dem früh Herausgetretenen stets in einem rührenden Lichte der Innigkeit und des Behagens herüberleuchtete. Und lebte diese beruhigende Sicherheit etwa in der schönen, strahlenden Marianne, die wie eine dunkle Verlockung aus einem orientalischen Märchen in sein Leben getreten war?

      Mitten in seinen Gedanken griff der Träumende um sich, hierhin und dorthin, als ob er einen Halt suche. Etwas Festes, woran sich ein Wankender aufrichten konnte. Allein die aufgestörten Bilder seiner Phantasie rissen ihm Stab und Stütze aus den Händen und jagten ihn weiter. Nein, sein scharfer Verstand, das Erbteil seiner rechnenden Mutter, bewies es ihm klar und deutlich, daß dasjenige, was ihm als etwas Hohes und Heiliges vorschwebte, immer und immer wieder zu einem Spiel entwürdigt wurde. Zu einem lockenden Haschen und Entflattern, das ihm allmählich die Kräfte der Seele raubte. Keine Zusicherung war zu erlangen, nichts Bindendes, nur jenes ewige Reizen und Versagen, in dem er auch alle seine Kameraden sich herumtummeln sah. Sicherlich, es war die Gewohnheit einer kulturell verstiegenen Zeit geworden. Das Tiefste, was das Menschentum barg, der Born, aus dem sich vergangene Geschlechter immer neue Jugend schöpften, man hatte ihn parfümiert und mit allerlei Reizmitteln verbunden, die die heiligen Wasser um ihre läuternde Wirkung brachten. Das jetzige schnell dahinrasende Geschlecht wähnte ohne jene aufpeitschenden Genüsse nicht mehr das Gleichmaß der Tage überstehen zu können. Aber unten, tief unten auf dem undurchsichtigen und aufgewühlten Grunde des Borns, da lagerte der Ekel.

      Als Fritz Harder bis hierher gelangt war, schreckte er plötzlich auf. War es ein kühlerer Luftzug, der ihn durch das offene Fenster hindurch anwehte, oder hatte ihn das mißtönende Geschlürf von ein Paar merkwürdig kreischenden Stiefeln aus seinen Gespinsten verscheucht? Rasch wandte er das Haupt, knöpfte den Uniformrock zu und zog ihn fester über der jugendlichen Brust zusammen. Wahrhaftig, er hatte sich nicht getäuscht. Draußen auf dem Bürgersteig wurde ein unendlich zerbeulter steifer Filzhut vor ihm gelüftet. Solch ein ehrwürdiges Stück konnte nur dem mißvergnügten Erfinder Leiser Bienchen gehören, der Punkt halb acht, seinem Meister, dem alten Adameit, zum Trotz das Pfefferkuchenhaus verließ, um in einem schockelnden Trabe dreimal die enge Gasse herauf und herunter zu laufen.

      »Schönen guten Abend, Herr Leutnant,« sagte der knickbeinige Geselle zu dem Einwohner seines Herrn hinauf und verzog die weit vorstehende Karpfenschnauze, die ewig beweglich in einem Meer von Runzeln schwamm, zu einem griesgrämigen Lächeln. »Was hab' ich Ihnen gesagt, was hab' ich Ihnen schon heut morgen gesagt? Er ist wieder vollständig wild. Ein Meschuggener, Herr Leutnant, Sie können es mir glauben. Aber einer von die schlimme Sorte. Besessen. Er wird noch einmal anrichten das größte Malheur. Heute hat er wieder – das heißt, das gehört nicht zur Sache –,« unterbrach sich Leiser Bienchen und bewegte seine verkrümmte Gestalt in den Hüften hin und her, so daß sein Rockkragen immer abwechselnd das rechte oder das linke Ohr erreichte; »was ich sagen wollte, seine Ideen sind gut, aber zu hastig, Herr Leutnant, zu hastig. Jeden Tag was anderes. Nu, wie gesagt, ich freue mich bloß auf das große Unglück. Sie werden sehen. Gute Nacht, Herr Leutnant.«

      Fritz Harder nickte der schlottrigen Gestalt zu und verfolgte den Davontrabenden, bis er ihn in der Einbuchtung des Marktplatzes verschwinden sah. Was er aber nicht wußte, das bestand darin, daß dieser mit Gott und den Menschen unzufriedene Geselle in den kargen Abendstunden, die ihm vergönnt waren, sich fast regelmäßig unter eine äußere Nische der herrlichen Sebalduskirche mitten auf dem Marktplatz drückte, um gespannt abzuwarten, bis das berühmte Glockenspiel seinen silbernen Gesang ertönen ließ. Dann neigte der kleine Jude das Haupt, und während er sein mächtiges Lippenpaar krampfhaft festhielt, damit es sich nicht gegen seinen Willen kritisch hin und her bewege, da murmelte er fast immer in einer seltsamen Rührung:

      »Großartig, ganz, ganz großartig. Wie er das wohl herausgebracht hat? Was hab' ich immer gesagt? Dieser Adameit is'n Meschuggener und 'n ganz gemeiner, gewöhnlicher Filz, der mir abzieht bald 'n Groschen hier und bald 'n Groschen da. Aber was kann ich dafür? Der Mann ist ein Genie, 'n ganz großes, unerklärliches Genie, und es ist mein Pech, daß ich ihm nicht ablernen kann, wie man das wird.« Und dann hob er das Haupt und schockelte sich verzückt in den Hüften hin und her. »Gott, wie ein Klang. Man möchte tanzen dazu. Wie schön ist doch diese deutsche Musik!«

      Immer grauer kroch die Dämmerung durch die enge Rosenkranzgasse. Schon traten einzelne Geschäftsleute auf das schmale Trottoir, um die Jalousien vor ihren Schaufenstern herabzuziehen. In dem kleinen Leutnantszimmer jedoch merkte man nichts mehr von Dämmerung und Kahlheit. Allgewaltig herrschte in ihm jener klingende, sorgenlösende Gott, den der kleine verkümmerte Jude unter seiner Kirchennische so inbrünstig angerufen hatte.

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