Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel

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Die Herrin und ihr Knecht - Georg Engel

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Pfade vor ihm, die ihn hinaufleiteten auf klare, glashelle Höhen. Je weiter er aufwärts stieg, desto wunderbarere Prozessionen zogen ihm entgegen. Sie trugen goldene Kronen, die er sich auf das Haupt setzte, um unter wuchtigen Klängen den düsteren Schauer der Macht zu spüren. Und hinter seinen geschlossenen Augen spiegelte es sich deutlich, wie sich die zarten Luftgebilde ehrfürchtig vor dem armen kleinen Leutnant neigten. Aber das war noch nicht das Herrlichste, was ihm entgegenquoll. Einsamer und stiller wurden die verschwiegenen Wege, schwanke, braune Haselnußstauden schlossen sich über ihm zu einem schattigen Domgang zusammen, und ganz oben auf der letzten Stufe, da leuchtete wartend und verlangend eine Gestalt von so üppiger Pracht, daß der Betörte mitten durch seine Melodien dicht über dem Haupte das betäubende Donnern einer ungeheuren Glocke zu vernehmen meinte. Aber es waren nur die starken Schläge seines eigenen Herzens, das die Ströme des Blutes nicht mehr zu bändigen vermochte.

      »Marianne,« flüsterte er ermattet, während seine Hände kraftlos von den Tasten herabsanken.

      Da – um Gott, das war doch nicht möglich, – da lachte etwas hinter ihm. Genau mit demselben silbernen, etwas müden Ausdruck, wie er es eben in den verebbenden Phantasien aufgefangen. Undenkbar! Das war noch nie geschehen. Ein wahnsinniger Spuk, der ihm deutlich zeigte, wie weit seine kräftige Natur bereits von allem Wirklichen fortgelockt war. Wozu nachgeben? Weshalb sich erst umwenden?

       Und doch – dicht neben ihm rauschte es stärker. Ein feiner Resedaduft schlug auf. Hinter seinem Rücken wähnte der Gebannte etwas Weiches, Köstliches zu spüren, und dann – ein züngelnder Blitz – ein paar warme Lippen schmiegten sich auf seinen Nacken und blieben dort haften.

      Er sprang in die Höhe, daß die Tasten einen wimmernden Laut aussendeten. Vor seinen Augen schimmerte es. Er konnte das Unwahrscheinliche nicht fassen.

      »Marianne,« stammelte er ungläubig, ohne den Klaviersessel, den er umkrampft hielt, frei zu geben, »bist du es wirklich? Bei mir?« Und er schickte einen beschwörenden Blick in die Runde, als ob er die geblümte Tapete, die abgetretenen Dielen, sowie die jämmerlich mürben Möbelstücke anflehen wollte, sich für die elegante Dame in dem weißen Sommerkleid zu einem Fürstensaal zu verwandeln.

      Ganz im Gegensatz zu der Befürchtung des jungen Offiziers indessen schien sich seine Besucherin von diesem Junggesellenheim äußerst angemutet zu fühlen. Langsam schlug sie ihren blauseidenen Staubmantel auseinander, beugte das eine Knie auf den einzigen Korblehnstuhl und zeichnete mit ihrem schlanken weißen Sonnenschirm allerlei Figuren auf den verschossenen grünen Teppich.

      »Also hier wohnst du, Fritz?«

      Inzwischen hatte der Überraschte Sprache und Besinnung wiedergefunden. Ein fernes nagendes Gefühl des Unbehagens zehrte in seiner Brust und ließ ihn einen hastigen Blick auf die niedrige Tür werfen. Die Idee, daß jene Schwelle in wenigen Minuten von seinem menageschleppenden Burschen überschritten werden könnte, sie peinigte seine anerzogene Vornehmheit und zauste in der aufspringenden Freude herum.

      »Liebe, süße Marianne,« begann er befangen, »daß du soviel Mut besitzt! Ich weiß gar nicht, wie ich dir dafür danken soll.«

      »Oh,« erwiderte das schöne Geschöpf lächelnd, »ich wüßte es schon. Du könntest zum Beispiel schnell die Vorhänge vor deinem Fenster schließen. Das würde dich sicherlich von vielen Befürchtungen befreien, nicht wahr, Fritzchen?«

      Sie sprach es so harmlos und lässig, und ihre schwarzen Augen streiften dabei so schalkhaft sein Antlitz, daß der Offizier im ersten Moment gar nicht begriff, warum ihn ihre praktische Anordnung derartig verletzte. Und nur langsam verstand er sich selbst. Die Sicherheit, mit der sie hier disponierte, das Vertrautsein mit allerlei abscheulichen kleinen Kriegslisten, alles das erkältete ihn und ließ ihn verstummen. Schweigend schritt er zum Fenster und riß den Vorhang zusammen. Dann trat er hinter ihren Stuhl, den sie noch immer in leise schaukelnder Bewegung hielt. Und unvermerkt entzündete sich sein Schönheitssinn an der sanften Schwingung, durch die diese prachtvollen Glieder ihm bald zugebeugt und wieder entfernt wurden. Ganz sacht und unmerklich. Immer von neuem ein betörendes Haschen und Entflattern. Die Macht, die sie über ihn ausübte, ohne daß sie viel sprach oder ihn durch blendende Gedanken zu interessieren vermochte, sie schlug abermals über dem halb Gewonnenen zusammen.

      »Du siehst so ernst aus, mein Liebling,« sagte sie mit ihrer weichen Stimme, aus der ein geübteres Ohr freilich leicht einen ganz feinen Unterton des Spottes herausgehört hätte, »hat dich der Dienst wieder so mitgenommen? Oder bist du mir vielleicht böse, weil ich dir durch meinen Besuch – meinen ersten – Unannehmlichkeiten bereiten könnte?«

      Sie lag jetzt mit beiden Knien auf dem knarrenden Korbgeflecht, eng und warm ihm hingegeben, und er fühlte, wie die feine Seide ihres Handschuhs seine Wange streichelte. Nur die schwanke Lehne des Sessels türmte eine unmerkliche Grenzscheide zwischen ihnen.

      »Bist du mir böse?« forschte sie noch einmal in einem nachgiebigen Ton, der ihn durchzitterte.

      Fritz Harder strich sich leicht über die Stirn. Noch war das Entgegenstehende, das ihn gefangen hielt, nicht gänzlich überwunden. Und dann – in dieser Minute der Besinnung bestürmte ihn noch einmal der ehrliche und klare Wunsch, etwas Dauerndes zu schaffen, rechtlich und vornehm zu handeln, wie es der kleine vierschrötige Oberförster dort oben in den masurischen Wäldern unbedingt von ihm verlangt und gefordert hätte.

      »Ich fürchte nichts für mich,« gab er deshalb ernster, als er beabsichtigt, zurück, »mich erschreckt nur der Gedanke, Marianne, daß dich die klatschsüchtigen Leute hier in der Gasse aus meinem Hause heraustreten sehen könnten.«

      Da versetzte sie ihm einen leichten Schlag auf die Wange und wunderbar – sie lachte belustigt auf.

      »Aber du Dummerchen,« beruhigte sie ihn, und wieder wiegte sie sich leise, »du glaubst doch nicht, daß ich für einen solchen Fall nicht vorgesorgt hätte? Ja, ich habe meiner Schwester Johanna sogar direkt mitgeteilt, in welches Haus ich gehe.«

      »Was? Das hast du getan?«

      »Ja, denk mal, wie schrecklich. Herr Nikolaus Adameit repariert nämlich meine goldene Armbanduhr, und selbst Johanna hielt es für nützlich, den alten Sonderling zu einiger Eile zu ermuntern. Meine große Schwester fürchtet ja immer, es könnte ihr irgend jemand etwas fortnehmen. Nun?« schmeichelte sie und blickte von unten zu ihm herauf, »sind deine Beklemmungen jetzt verflogen? Wirst du nun tapferer sein?«

      Da enträtselte er zum erstenmal den verborgenen Spott in den Worten des Mädchens. Eine ferne Geringschätzung, die an seinem unbekümmerten Mut, an seiner jugendlichen Sorglosigkeit zu zweifeln schien. Das ertrug er nicht. Und auch diese Augen, die so erwartend und leuchtend schimmerten, in jenen großen schwarzen Bränden verknisterten all seine Pläne. Immer kecker lächelte der kleine, sich darbietende Frauenmund. Und da wirbelte auch schon wieder der Rausch über ihm empor.

      Ein einziges, gewaltsames Ansichreißen, ein gedämpfter Laut der Überraschung, und dann stürzten die Wände mit den geblümten Tapeten, der geborgte Flügel, der Korbsessel und all das kahle Gerät in der wütenden Lohe zusammen.

      Er fand sich wieder, aufwachend, verwirrt, in einer Situation, die er sich durchaus nicht zu deuten wußte. Wie in aller Welt hatte Marianne ihm den Degen von der Seite zu entwenden vermocht und weshalb setzte sie ihm die Spitze der Waffe auf einen Schritt Entfernung gegen die Brust, als ob sie sich vor ihm schützen wolle?

      »Nun ist es aber wirklich genug, Fritzchen,« hörte er eine überraschend vernünftige Stimme durch all die Wirrnis hindurchschlagen, »du benimmst dich immer wieder wie ein kleiner unartiger Junge und hast nicht den geringsten Begriff davon, wie

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