Om mani padme hum. Wilhelm Filchner
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7.
LUSSAR. TAGE DER KRANKHEIT UND NOT
In dem 2500 Meter hoch gelegenen Lussar fand ich Unterkunft im Haus einer Mohammedanerfamilie. Es bestand aus ganzen zwei winzigen Räumen. Die Papierfenster fehlten. Wind und Kälte hatten Tag und Nacht freien Zutritt. Als Schlafgelegenheit diente ein K’ang, das ist eine meterhohe hohle Liegestätte aus Lehm, die von der Außenseite des Hauses her mit Stroh angeheizt werden kann. In dem zweiten Raum befand sich ein alkovenartiges Loch mit einer Liegestatt aus Brettern, darunter ein kleiner Hohlraum. Vor den öden Fensterhöhlen lag ein enger gepflasterter Hof, auf dem ich meine astronomischen Beobachtungen und magnetischen Serienmessungen ausführte.
Die Mohammedanerfamilie bestand aus dem Hausherrn, zwei Frauen und einer Anzahl kleiner Kinder. Täglich kam viel Besuch, und oft genug wurde ich durch den ohrenbetäubenden Lärm, den die Familie und ihr Anhang fast ununterbrochen verursachten, bei meinen Arbeiten empfindlich gestört. Noch war kein Schnee gefallen. So war wenigstens das Wetter erträglich.
Mithilfe von Schwarzpapier stellte ich mir eine kleine provisorische Dunkelkammer her, in der ich täglich Aufnahmeproben entwickelte. Im Übrigen beschäftigten mich entweder magnetische Messungen, oder ich ging zum Kloster, um dort meine Studien zu machen.
Kumbum ist das größte Kloster Amdos. Vor dem Mohammedaneraufstand zählte es 7000 Mönche, heute nur noch 3600, also nur 300 Mönche mehr als das Kloster Labrang. Schon vor 23 Jahren hatte ich diese Stätte liebgewonnen. Auch jetzt fand ich im Kloster noch manchen Bekannten vor, der mich freundlich willkommen hieß. Die liebevolle Aufnahme, die mir dort wiederum zuteilwurde, verdanke ich nicht zuletzt der Vermittlung meines Freundes Lü sowie des Dao-tai von Sining-fu. Beider Fürsprache vermochte den Marschall Feng-Yu-Hsiang zu bestimmen, mir Sondervergünstigungen einzuräumen, die sonst wohl kaum einem Europäer zuteilwürden.
Eines Tages traf sogar der diplomatische Vertreter des Marschalls zum Besuch des Klosters ein. Bei dieser Gelegenheit ließ mir der Marschall durch den Mund seines Vertreters nochmals die ausdrückliche Versicherung geben, dass er alles tun werde, was in seiner Macht stehe, um meine Arbeit zu fördern.
Meine nächste Sorge galt der Heimsendung der von mir aufgenommenen Filme. Der einzige verfügbare Weg führte quer durch China zur Küste. Doch würden die Filme die kämpfenden Fronten glücklich passieren? Die Hoffnung war gering. Und jetzt war es wiederum Marschall Feng-Yu-Hsiang, der mir großmütig die Wege ebnete. Nach Rücksprache mit dem chinesischen Postmeister von Kansu, dem Italiener Guaita in Lantschou, erteilte er die Erlaubnis, meine Filme regelmäßig, hundertmeterweise in kleine Kistchen verpackt, mit der Post quer durch die Kampfzone nach Tientsin an das deutsche Konsulat zu senden. Von hier aus sollten die Päckchen dann auf dem Seeweg nach Deutschland weitergeleitet werden.
Ein Schreiner in Tankar stellte 200 kleine Kistchen her, die ich mit genauen Adressen in englischer und chinesischer Sprache versah und nach und nach mit belichtetem Film wohlverpackt nach Sining-fu bringen ließ, wo sie der Post übergeben wurden. Der Postmeister von Sining-fu wetteiferte mit dem Telegraphendirektor der gleichen Stadt, mir in jeder Weise entgegenzukommen. Nicht herzlich genug vermag ich für all die Freundschaft und Güte zu danken, die ich während meines Aufenthaltes in Kansu von den dortigen Behörden erfahren durfte. Besonders herzlichen Dank aber schulde ich meinem Lü, der sich vom ersten Tag an meiner wie ein wirklicher Freund angenommen hat. Er suchte gewiss keinen Vorteil, denn er wusste, dass ich fast mittellos war. Wie oft lud er mich in sein Haus ein, wo er mir, dem die chinesische Kost im Allgemeinen wenig bekömmlich ist, eine europäische Eierspeise bereiten ließ. Seine hübsche, kluge Frau, eine vorzügliche Wirtin, überwachte selbst die Zubereitung des Mahls, um meinen Geschmack zu befriedigen. So lebten wir harmonisch und ohne größere Sorgen, bis der erste Schnee fiel.
Mit dem Einbruch des Winters begann eine schwere Zeit für mich. Meine Kleider waren durch die bisherigen strapazenreichen Reisen stark abgenutzt und vielfach durchlöchert. Da meine Wohnung keine Heizvorrichtung hatte, musste ich erbärmlich frieren. Auch mit der Ernährung stand es schlecht. Hunger und Kälte sind böse Gäste!
Ansässige Tibeter brachten mir zwar jeden Morgen etwas Milch, zu der ich selbst einige mohammedanische Flachbrote erstand. Dann und wann gelang es wohl auch, einige Eier aufzutreiben.
Die Flachbrote scheinen nun meinem Magen nicht zuträglich gewesen zu sein; denn sehr bald funktionierte die Verdauung nicht mehr. Das war bedenklich, da der ganze Vorrat an Abführmitteln aufgebraucht war. Eine empfindliche Lücke in meiner Apotheke! So steigerten sich die Beschwerden; sie mögen den Boden für das spätere Unheil bereitet haben.
Die Kälte nahm zu, der strenge Winter brachte viele Härten. Aber meine Arbeit durfte deshalb nicht ruhen. Auf dem flachen Dach des den ganzen Ort überragenden Hauses hatte ich einen Barographen und einen Thermographen aufgestellt, um die Luftdruckänderungen und die Temperaturschwankungen automatisch zu registrieren. Allwöchentlich mussten die Apparate neu aufgezogen und die Registrierstreifen gewechselt werden. An einer sicheren Stelle, vor den Unbilden der Witterung einigermaßen geschützt, waren die Chronometer eingebaut, die ganz besondere Pflege und Sorgfalt forderten.
Zuweilen besuchten mich Einheimische, so der Polizeichef, dem in erster Linie die Bekämpfung des Grenzschmuggels oblag, einige chinesische und mohammedanische Kaufleute oder durchreisende Freunde des Dao-tai aus Sining-fu. Manchmal kamen auch Mönche aus dem nahen Kumbum, um medizinische Hilfe zu erbitten. Ich stand ohne mein Zutun im Ruf eines guten Arztes; so häuften sich bald die Besuche von Kranken und Hilfsbedürftigen. Ich wandte alle Beredsamkeit auf, um den Leuten klarzumachen, dass mein Titel mit der Heilkunst nicht das Mindeste zu tun habe. Sie schüttelten jedoch ungläubig den Kopf und sagten: »Du bist ein Doktor und wirst es schon recht machen!« So kommt man zu unerwarteten Ehren.
Meist erschienen Leute mit schweren ansteckenden Krankheiten, auch Frauen, die Opium genommen hatten, daneben Kranke mit Krätze oder Verwundungen. Ich verfügte über wenig Medikamente, nur Chinosol und Verbandzeug führte ich in größeren Mengen mit mir.
In meiner Zwangslage beschränkte ich mich auf Desinfektion und einfache Wundbehandlung. Leuten mit Durchfall oder Magenbeschwerden gab ich stark verdünntes Chinosol mit guter Wirkung.
Auch Augenkrankheiten grassierten in Lussar. Ein Mönch mit einer schweren Augenentzündung kam zu mir. Ich machte ihm Umschläge, die seine Schmerzen linderten. Am nächsten Tag erschien der Alte in meiner »Sprechstunde« (!) ohne Verband. Er sagte, seine Vorgesetzten hätten ihm mit Prügelstrafe gedroht, falls er noch einmal im Kloster oder gar zu den Kultübungen mit einem verbundenen Kopf erscheinen würde. Es ist eben doch schwer, im Herzen Asiens Kranke europäisch zu verarzten!
Große Sympathien gewann ich mir durch die Anwendung von Anti-Diphtherie-Serum und von Starrkrampfbekämpfern. Einmal wütete in Sining-fu eine schwere Diphtherieseuche unter den Kindern. Der Tod hielt reiche Ernte. Ich war gerade anwesend. Man bestürmte mich, ich solle helfen! Rasch ließ ich mein Serum aus Lussar holen und konnte einigen schwerkranken chinesischen Kindern das Leben retten. Solche Hilfe vergisst der Eingeborene nie.
In vierzehntägigen Zwischenräumen musste ich von Lussar aus die katholische Missionsstation in Sining-fu besuchen, die meine Briefe in Empfang nahm und mir auch sonst in hochherziger Weise half. Manchmal lieh mir mein Freund Lü ein Pferd. Ich selbst besaß keines mehr; denn ich hatte noch vor Beginn des Winters meine zwei Leiterwagen samt Pferden verkauft. Mein Lieblingstier, das Stangenpferd meines Wagens, hatte ich dem Kloster Kumbum geschenkt. Dort sollte es das Gnadenbrot erhalten. Das treue