Schopenhauer. Kuno Fischer

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Schopenhauer - Kuno  Fischer Kleine philosophische Reihe

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Der Aufenthalt ist angenehm durch gemeinsame Reisen und Ausflüge, anlässlich eines Winteraufenthaltes in Karlsruhe lernt er den Schauspieler Ludwig Dessoir kennen, der ihn in Sprech- und Vortragskunst unterrichtet, mit deren selbstverständlicher Beherrschung er sich die technischen Voraussetzungen seiner künftigen Erfolge als Vortragender schafft. Mehr Freude als der Unterricht des zurückgebliebenen Sohnes bereiten Fischer die Vorträge, die er den Damen des Hauses (der Mutter und der ältesten Tochter) über ästhetische Themen hält, die gesammelten Vorträge bilden die Grundlage von Fischers erster Buchveröffentlichung.13

      1850 übersiedelt Fischer nach Heidelberg, wo er sich in Philosophie habilitiert. Fischers erstes Buch bringt ihn in Kontakt mit der Familie des emigrierten und in Heidelberg ansässig gewordenen französischen Offiziers Desiré Le Mire. Seiner literarisch interessierten Gattin Mary gefällt das Buch so gut, dass sie mit dessen Autor zum Zwecke eines intensiven Gedankenaustausches brieflich in Kontakt tritt. Später gern gesehener Gast im Hause Le Mire heiratet er im September 1852 die ältere Tochter Marie, dem Ehepaar werden ein Sohn und zwei Töchter geboren. Als Lehrer der Philosophie ist Fischer von allem Anfang an überaus erfolgreich. Mitten in der trüben Zeit der Reaktion, einer Zeit geistiger Depression, in der die hochfliegende Spekulation des Deutschen Idealismus, die »Philosophie des Geistes«, längst dem Materialismus, der »Metaphysik der Geistlosigkeit«14, gewichen war, gewinnt der junge Dozent die Gunst und Aufmerksamkeit des Publikums durch eine Wiederanknüpfung an die unterbrochene Tradition idealistischen Philosophierens, deren Losung »Rückkehr zu Kant«15 heißt. In einer Zeit, in der man ihren höchsten Leistungen verständnislos und gleichgültig gegenüberstand, bringt er es dahin, »daß es in allen Fakultäten für selbstverständlich galt, neben den Fachstudien seine Vorlesungen zu hören«16, und erobert so der Philosophie den ihr gebührenden Rang im Rahmen der Universitas litterarum zurück. Zur Lehr- und Vortragstätigkeit tritt in engster Verbindung mit dieser eine Phase intensiver schriftstellerischer Produktion. Im Jahre 1852 erscheint nicht nur Fischers logisches Hauptwerk,17 im selben Jahr beginnt auch die groß angelegte »Geschichte der neuern Philosophie«18 mit dem Descartes-Band zu erscheinen. Doch die so hoffnungsvolle akademische Laufbahn wird nach nur einem Jahr jäh unterbrochen. Fischer gerät, von theologischer Seite denunziert, in Pantheismus-Verdacht. Er wehrt sich in einer Reihe brillanter Streitschriften19 erfolglos gegen die ungerechtfertigten Vorwürfe: obwohl er in der Sache recht behält, wird ihm im September 1853 wegen »pantheistischer Gesinnung« die Lehrbefugnis entzogen. Im selben Jahr verlässt er Heidelberg. Zwar kann sich Fischer auf Vermittlung von Alexander von Humboldt 1855 an der Universität Berlin zum zweiten Male habilitieren, doch auch hier legt man dem Versuch einer Rückkehr aufs Katheder Schwierigkeiten in den Weg. Noch bevor diese ausgeräumt sind, erhält Fischer eine Berufung an die Universität Jena, der er folgt.

      Die Jahre in Jena, 1856 bis 1872, hat Fischer selbst stets als die schönsten seines Lebens bezeichnet. Sie fallen in die Zeit der »Neubelebung der Erinnerung an die Weimarer Klassik […,] jener zweiten Kulturblüte Sachsen-Weimars«20, die dem Großherzog Karl Alexander und seiner Gemahlin, der Großherzogin Sophie zu verdanken war. Fischers ästhetische und literarische Interessen ließen ihn geradezu prädestiniert erscheinen, einer der geistigen Mittelpunkte dieser Bewegung zu werden. Fischer lebt sein Credo: »Philosophie lehren zu dürfen ist der herrlichste Beruf, den es auf der Welt gibt«.21 Der begnadete Lehrer der Philosophie begeistert sein Publikum in und außerhalb der Universität, Vorlesungen und Vorträge sind meisterlich zum Kunstwerk gestaltet, was Form, Aufbau und Ausdruck betrifft.22 Neben Fischers rhetorischem Talent ist es aber vor allem »die souveräne Stoffbeherrschung«23, die als das eigentliche Geheimnis seines phänomenalen Lehrerfolges angesehen werden muss. Forschung und Lehre, Vorlesung und Publikation sind bei Fischer aufs engste miteinander verbunden, was gedruckt werden soll, muss zuvor »die Probe des Katheders« mehrfach bestanden haben: »die Herrschaft über den Stoff, die Deutlichkeit der Darstellung [ist Fischer überzeugt, kann] durch nichts besser gewonnen und auf die Probe gestellt werden als durch den lehrenden Vortrag.«24 Nur dort, wo die Darstellung in unmittelbarem Kontakt mit dem Publikum gezeigt hat, dass sie das Verständnis ihres Gegenstandes zu erschließen vermag, hat sie sich bewährt und ist reif, auch im Druck zu erscheinen. Dementsprechend sind die Erstausgaben seiner Bücher, wo sie nicht ohnehin auf die Vorlesung, ihr einen didaktischen Grundriss zu verschaffen, bezogen sind, auch ganz durch diese Herkunft aus der Vorlesung bestimmt und bilden erst in den Folgeauflagen ihre eigentlich literarische Form aus. Der 1860 erschienene Kant-Band seiner Geschichte wird zur Grundlage des Neukantianismus. In einer Reihe literarisch-ästhetischer Schriften tritt Fischer zudem als Interpret klassischer Dichtung (Goethe, Schiller, Lessing, Shakespeare) auf.25

      1872 erfolgen Ruf und Rückkehr nach Heidelberg. Als Nachfolger Eduard Zellers steht Fischer in Heidelberg nunmehr auf der Höhe seines Ruhmes. In den dreißig Jahren seines Wirkens wird der »Kathederfürst« zum Symbol26 der Ruperto-Carola, ja zum Wahrzeichen27 von Heidelberg, weit über Heidelberg hinaus bekannt und berühmt. Orden und Ehrenzeichen bleiben nicht aus, so etwa der Zähringer Hausorden, den ihm 1893 der Großherzog von Baden verleiht oder die Ehrenbürgerwürde, mit der ihn anlässlich des fünfzigjährigen Doktordiploms die Stadt Heidelberg auszeichnet. An Fischers achtzigstem Geburtstag 1904 erfolgt die Ehrenpromotion durch die Universität Königsberg, die Fischer den Titel »Wiedererwecker Kants« verleiht.28 Auch sein ehemaliger Lehrer Johann Eduard Erdmann ist stolz auf den großen Schüler, zwischen den beiden Philosophen entwickelt sich eine Freundschaft, deren Verlauf Hermann Glockner in seiner Erdmann-Monographie an Hand der Dokumente – siebenunddreißig, in den Jahren 1854 bis 1890 an Fischer gerichtete Briefe – verfolgt hat.29

      Fischer, der nach dem Tod seiner ersten Frau 1884 die Dänin Christine Stilling ehelichte, beendet 1903 seine Vorlesungstätigkeit, auf seinen Wunsch hin wird Wilhelm Windelband, sein ehemaliger Schüler in Jena, sein Nachfolger. Kuno Fischer ist am 5. Juli 1907 in Heidelberg gestorben.

      Fischers groß angelegte, im Jahre 1852 begonnene »Geschichte der neuern Philosophie«, findet erst mit dem 1901 vorgelegten Hegel-Band ihren Abschluss, Thema seines Hauptwerkes sind die großen Systeme der Philosophie der Neuzeit. Die Auseinandersetzung mit Descartes, Spinoza, Leibniz, Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Bacon und Schopenhauer hat Fischer zeit seines Lebens beschäftigt. In der zuletzt zehnbändigen »Geschichte der neuern Philosophie« (Heidelberg 1887–1904) haben wir Fischers Vermächtnis vor uns, jedes der Bücher findet sich angesichts neuer Auflagen ergänzt und erweitert, mitunter auch grundlegend umgearbeitet, ganz wie es Fischers, in fortgesetztem Studium vertiefte Auseinandersetzung mit den Denkern seiner Wahl, ermöglicht und verlangt hat. Bei aller Konzentration auf die Systeme der neuzeitlichen Philosophie hat Fischer dabei den Gesamtzusammenhang der europäischen Philosophietradition im Auge, als dessen fundierten Kenner ihn die 1891 erstmals als eigenständige Publikation erschienene »Einleitung in die Geschichte der Philosophie«30 ausweist. Hier wird die Entwicklung des philosophischen Denkens von Parmenides bis Descartes zusammenfassend expliziert und der für die Anlage des Werkes entscheidende Gesichtspunkt formuliert: dass die Systeme der neuern Philosophie »von zwei Brennpunkten [aus …] beherrscht werden«: von Spinoza als dem Vollender des Dogmatismus und von Kant als dem Begründer des Kritizismus31. Das dem Lebenswerk gesetzte Ziel hat der Autor in der Vorrede zum ersten Band umrissen: »Ich will die Hauptsysteme, von denen das Licht kommt und die Geschichte der Philosophie in Wahrheit lebt, in ihrem eigenen Geist methodisch entwickeln und so wiedererzeugen, dass man deutlich einsieht, aus welchen Problemen sie hervorgehen, wie sie diese Probleme auflösen und welche ungelösten und zu lösenden Fragen sie der Welt zurücklassen«32.

      Eine solche Aufgabe ist methodisch nicht durch »Quellenauszüge […,] die zu einem Referat aneinandergereiht werden«33, zu bewältigen, als Wissenschaft ist die Geschichte der Philosophie nicht aus Philosophiegeschichten zusammengelesenes Kompilat, sondern aus den Quellen gearbeitetes Original. Fischers Philosophiegeschichte strebt nicht nach historischer Vollständigkeit, sondern »nach der klaren und zusammenhängenden Einsicht, in die innere Verfassung der Philosophie, wie sie die Geschichte ausgebildet und entwickelt hat.«34 Solcherart macht uns Fischer die dargestellten Systeme als problemgeschichtliche Etappen

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