Staatsmann im Sturm. Hanspeter Born
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In der Programmgestaltung und für die Anstellung der Mitarbeiter geniessen die Studiodirektoren in den drei Landesteilen viel Freiheit. Sie sind allerdings auf das Wohlwollen von Vorständen und Programmkommissionen angewiesen. Auf die Zusammensetzung dieser Gremien wie auf die Nomination des SRG-Generaldirektors und des SRG-Zentralvorstandspräsidenten übt der Chef des Post- und Eisenbahndepartments einen entscheidenden Einfluss aus. Dafür hat Pilet gesorgt. Auch in anderen wichtigen Fragen behält er sich den letzen Entscheid vor.
Dr.h.c. Alois Muri – den Ehrendoktorhut verdankt er einer Empfehlung Pilets bei der ETH-Führung – leitet die Telegraphendirektion. Sie ist für die Sendeanlagen, die von den Studios benötigten technischen Einrichtungen und – vor allem – für die Verteilung der Konzessionsgelder zuständig. Wer das Geld hat und es verteilt, befiehlt. Muri denkt ähnlich wie sein Chef und er geniesst Pilets volles Vertrauen. Der letzte Entscheid hat immer der Departementsvorsteher. Ohne Übertreibung lässt sich sagen: Pilet ist Herr des Radios.
Der Waadtländer Bundesrat ist mit den von den sechs Studios über die Landessender Beromünster, Sottens und Monte Ceneri ausgestrahlten Sendungen im Grossen und Ganzen zufrieden. Im Grossen und Ganzen sind auch die Verantwortlichen in den Studios und an der Berner Neuengasse 30, dem Sitz der Generaldirektion, mit Pilet-Golaz zufrieden. Die starke Figur in der SRG, der als Rotkreuzdelegierter weit gereiste, umfassend gebildete Jurist Rudolf von Reding, seit 1931 ihr Generalsekretär, preist sich glücklich, einen liberalen Chef zu haben, der in Programmfragen kaum dreinredet.
Pilet nimmt die Programmverantwortlichen regelmässig gegen Kritik aus Parlament und Öffentlichkeit in Schutz. Für ihn ist das Radio Mittel zur Kulturwahrung, zur Volkserziehung und zur Unterhaltung. Der Informationsvermittlung soll es nur beschränkt dienen. Was Pilet und der Gesamtbundesrat unter keinen Umständen wollen, ist ein Radio im Dienst der Politik. Politische Debatten sollen im Parlamentssaal ausgetragen werden, nicht über die Ätherwellen. Politische Kommentare und politische Auseinandersetzungen sind Sache der Zeitungen. Dies ist Auffassung des Bundesrats und – wen wundert’s? – die Auffassung der Zeitungsverleger. Sie und ihre Redaktoren sehen im Radio eine gefährliche, ja existenzgefährdende Konkurrenz. Der Widerstand der Zeitungen ist auch der Grund, wieso die Studios keine eigenen Nachrichten senden dürfen. Das Monopol für die lange Zeit nur zweimal am Tag ausgestrahlten Radionachrichten hat die Schweizerische Depeschenagentur SDA. Ihre Redaktoren stellen die kurzen Bulletins zusammen, und ihre Sprecher verlesen sie in trockenem Ton.
Noch am Tag des deutschen Einmarschs in Polen suspendierte Pilet die Konzession der SRG. Gestützt auf einen Bundesratsbeschluss unterstellte er den Rundspruchdienst der PTT-Verwaltung und ernennte den bisherigen Generaldirektor der SRG, Alfred Glogg, zum Direktor des nunmehr staatlichen «Schweizer Rundspruchs» (SR). Die PTT-Verwaltung gebietet jetzt über das Personal der SRG und über die Studios der Mitgliedgesellschaften. Wichtigster Artikel der Ausführungsbestimmungen:
Der Direktor des Rundspruchdiensts [Glogg] erhält in Bezug auf die Programme seine allgemeinen Weisungen vom Vorsteher des Post- und Eisenbahndepartements; er ist diesem gegenüber für deren Beobachtung verantwortlich.
Als Verbindungsmann des Bundesrats zum Radio bestimmte Pilet den Journalisten Georges Perrin, Korrespondent verschiedener welscher Zeitungen in Bern, darunter des Parteiblatts von Pilets Waadtländer Radikalen, La Revue. Er schätzt Perrin als gewissenhaften, unaufgeregten und um Objektivität bemühten Journalisten, auf den Verlass ist. Perrin sieht die Hauptaufgabe der Presse (wie er in einem Vortrag 1953 ausführen wird) in der «präzisen, exakten, vollständigen Information».
Die Unterstellung des Radios unter das Post- und Eisenbahndepartement und dessen Zentralisierung wird in der Romandie, besonders in Genf, nicht geschätzt. Pilets Mitarbeiter kopieren für ihren Chef kritische Zeitungsartikel. So einen aus der Tribune de Genève vom 22. September, in dem sich Pilet den folgenden Abschnitt anstreicht:
Es ist tatsächlich ein offenes Geheimnis, dass seit dem 2. September die Direktoren und die Dienste der Studios von Genf und Lausanne unter dem Befehl von Bern stehen. Das Studio Lausanne besorgt alle Sendungen und das Studio Genf ist im Winterschlaf. Ausser, dass diese Massnahme für Genf schikanös, folglich ungeschickt ist, fragt man sich, welcher strategischen, technischen, administrativen, wirtschaftlichen, künstlerischen und finanziellen Notwendigkeit sie entspricht. Bis zum Beweis des Gegenteils rät uns der simple bon sens zu denken, dass sie keiner von diesen entspricht.
Auch einen Artikel des sozialdemokratischen Nationalökonomen Prof. Fritz Marbach (aus La Lutte syndicale) hat Pilet aufbewahrt. Marbach begreift, dass in Kriegszeiten die Sendestationen den Behörden zur Verfügung stehen müssen. Er kann jedoch nicht verstehen, dass man sie einem eidgenössischen Verwaltungsorgan unterordnet und jeden Kontakt zur Bevölkerung und zu den kulturellen Kreisen abbricht. Damit meint er den von Pilet suspendierten Zentralvorstand der SRG, dem Marbach selber angehört. Seiner Meinung nach wäre es besser und «schweizerischer» gewesen, diesen Vorstand als Beratungsorgan beizuziehen, statt ihn aufgrund der Vollmachten zu entlassen. Die Art, wie die dem Bundesrat vom Parlament gegebenen Vollmachten auf gewissen Gebieten angewandt würden, lasse nichts Gutes erahnen. Jeder Schweizer sei bereit zu tun, was das Vaterland von ihm verlange, aber schweizerische Traditionen sollten berücksichtigt werden.
Der Bürger erträgt die Diktatur des Bundesrats, aber nicht diejenige von Leuten, die zeigen wollen, wo’s langgeht. Die Eidgenossen dies- und jenseits der Saane sind sich in diesem Punkt völlig einig. Es gibt keinen Graben.
Pilet lässt sich von Marbachs Argumenten überzeugen. Der aufgelöste Zentralvorstand wird schon bald wieder tagen.
5. Geistige Landesverteidigung im Äther
Welche Rolle soll dem Radio in einer Zeit der Kriegsbedrohung zukommen? Pilet kann nicht auf die Erfahrungen aus dem Weltkrieg zurückgreifen, denn damals war der Hörfunk Sache einiger weniger Radioamateure und noch kein wichtiges Kommunikationsmittel. Die Praxis im Ausland taugt auch nicht als Leitfaden. In Deutschland steht der Rundfunk unter der Fuchtel des Propagandaministeriums. Der schier allmächtige Dr. Goebbels befiehlt, was gesendet werden muss und was nicht gesendet werden darf. Zusammen mit dem Film, vor allem den Wochenschauen, und der Presse formt der deutsche Rundfunk die öffentliche Meinung im Sinne von Partei und Führer. Aus Überzeugung, Karriereerwägungen oder Furcht spuren die deutschen Journalisten. Von abweichenden Meinungsäusserungen ist keine Rede mehr.
Wie kann die Schweiz der antidemokratischen, antisemitischen aggressiven deutschen Propaganda entgegentreten, die viele als für unser Land existenzgefährdend empfinden? Darüber macht sich der Gesamtbundesrat seit 1934 immer wieder Gedanken. Soll man den Fehdehandschuh aufnehmen, wie dies linke Politiker möchten, und Propaganda mit Gegenpropaganda beantworten? Soll das Schweizer Radio als Sprachrohr für Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Völkerverständigung auftreten? Pilet und seine Kollegen haben da eine klare Meinung: David hat gegen Goliath keine Chance.
Aber das Radio kann erklären, was die Schweiz ist. Es kann ihren föderalistischen Staatsaufbau darstellen und diskret andeuten, wie er sich von demjenigen des Dritten Reichs unterscheidet. Es kann auch immer und immer wieder erläutern, was die Schweiz unter Neutralität versteht, und wie sie ihre Rolle in Europa sieht. Pilet will, dass dies nüchtern und unpolemisch geschieht. Es ist sinnlos, die Nazis oder die Faschisten zu reizen. Also keine Schulmeisterei, kein Besserwissertum, keine verbalen Ausfälle gegen die Diktatoren.
Schon am 13. September setzt sich Pilet mit dem Leiter der Radiosektion APF, Hptm. Schenker, zusammen, um allfällige, durch die Kriegsbedrohung