Staatsmann im Sturm. Hanspeter Born

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Staatsmann im Sturm - Hanspeter Born

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«Ein einfaches Dialektgedicht», «Ein schönes Lied», «Humoristische Erzählung», «Einige Scherzfragen». Fünf Minuten «Moderne Tanzmusik» befriedigen das Bedürfnis, «wieder einmal andere Tanzmusik zu hören, als sie der Grammophon des ‹Bären› vermittelt». Die Soldaten «begrüssen es, ab und zu mal bekannte Leute zu hören, z. B. Prof. Max Huber, Prof. de Quervain, Kunstflieger Hörning, die Gilberte von Courgenay, den Fussballer Minelli, u.s.w.» «Vaterländische Musik oder Marsch» beenden die Sendung, «gewissermassen ein flotter Gruss an unsere Soldaten».

      Pilets Begeisterung für Schenkers geplante Militärsendungen hält sich in Grenzen. Dies zeigen die vielen Fragezeichen, die er mit dickem blauem Farbstift hinter den Entwurf setzt. In einer Notiz vom 2. Oktober an die Generaldirektion der PTT erlässt er dann seine Weisungen bezüglich der Sendungen für und von der Armee. Er will nicht, dass sie ausufern und schreibt deshalb ihre «maximale Zahl und Länge» vor. Weiter betont er: «Wohlverstanden kann keine Rede von einer Vorzensur sein.» Schenkers Programmbeispiele, schreibt Pilet, seien keine «begrenzenden Vorgaben», sondern «Illustrationen der leitenden Denkweise»: «Natürlich werden alle nützlichen Umsetzungen – nicht Übersetzungen oder Deckungsgleichheiten, sondern Analogien – von der welschen und italienischen Schweiz gemacht.» Der Föderalist Pilet will nicht, dass Sottens und Monte Ceneri am Gängelband von Schenker geführt werden.

      Nachdem im Oktober die Sendungen für die Truppe angelaufen sind, bittet Pilet seinen im Grenzdienst stehenden Parteifreund Pierre Rochat, Major und Nationalrat, um Auskunft, wie diese Sendungen bei den Soldaten ankommen. Rochat antwortet:

      Insgesamt scheint es mir, dass die Truppe diesen Hörbeiträge wenig Interesse entgegenbringt. Was die militärischen Zuhörer von T.S.F. [des französischsprachigen Schweizer Telefonrundspruchs] hingegen interessiert, sind die von der Truppe organisierten Vorstellungsabende. Natürlich möchten alle Verbände ihrerseits vor das Mikrofon kommen!

      Im Januar 1940 wird Pilet in einer Notiz an Glogg sein Urteil über die Soldatensendungen abgeben. Generell könne man sagen, sie seien «nicht schlecht, überhaupt nicht, allerdings verbesserungsfähig». Zu wünschen hingegen liessen die Soldatensendungen von Studio Lausanne:

      Das Echo, das ich erhalten habe, ist einmütig. Dies ist auch die Meinung der Armee. Die Sendungen haben es dringend nötig, erneuert zu werden und sich nicht auf die Art zu versteinern, die sie angenommen haben. Sie mögen anfänglich ihre Verdienste gehabt und vielleicht einer direkten Zuhörerschaft gefallen haben, aber sie langweilen sehr bald und sind mehr für das Auge als für das Ohr gemacht.

      Mindestens jede zweite Woche, ordnet Pilet an, müsse eine «etwas andere, ernsthaftere» Sendung ins Auge gefasst werden: «Man darf sich nicht auf ‹caf.con.› beschränken.» Caf.con. steht für café-concert, eine Art Variétéprogramm, das in der Deutschschweiz unter dem Namen «Bunter Abend» läuft. Für Pilet galt schon bei Belles-Lettres: Unterhaltung ist gut, Kultur ist besser.

      Die zeitweise Verstaatlichung des Radios ändert wenig an den Programmen der drei Landessender. Trotzdem sind kantige Persönlichkeiten wie Félix Pommier, Studiodirektor in Genf, und Felice A. Vitali, Studioredaktor in Lugano, über die Unterstellung des Radios unter den Bundesrat ungehalten. In seinen Erinnerungen schreibt Vitali:

      Woher der Wind blies, hatten die zum Rapport befohlenen Studiodirektoren schnell genug erfahren. Bundesrat Pilet-Golaz, Vorsteher des Post- und Eisenbahndepartements, hatte uns mit den Worten empfangen: «Messieurs, vous êtes à moi.»

      Für Pilet ist die Suspendierung der SRG-Konzession und die befristete Stilllegung der Studios Zürich, Basel und Genf ein Mittel zur Disziplinierung der eigenwilligen und oft untereinander zerstrittenen Studiodirektoren. In die Programmgestaltung schaltet er sich nur ausnahmsweise ein.

      Als Chef duldet Pilet keine Schlamperei oder Nachlässigkeit. Dies erfuhren schon seine Soldaten bei der Grenzbesetzung im Weltkrieg und wissen die Mitarbeiter im Departement. Als er am Mittwoch, 13. September, seinen Radioapparat einschaltet und hört, wie die Abendnachrichten auf Sottens vom Sprecher mit einigen Minuten Verspätung fehlerhaft heruntergehaspelt werden, ruft er die Depeschenagentur (SDA) an, die für die Nachrichtensendungen zuständig ist. Der Mann, der die Nachrichten malträtiert hatte, erklärt ihm, was passiert ist. Man habe ihm plötzlich mitgeteilt, dass keiner der vier oder fünf spezialisierten Sprecher da sei, um sich um die Nachrichten zu kümmern. So habe er es halt gemacht.

      Am nächsten Morgen schreibt Pilet dem Direktor der SDA. Die französischsprachigen Nachrichten seien «lamentabel» gewesen. Der dafür Verantwortliche habe dies selber zugegeben. Die Schuld treffe gewiss nicht den Mann, der freiwillig bereit war, die Nachrichten zu verlesen. Pilet will wissen, wie eine solche carence, Unzulänglichkeit, möglich war. Er fügt ein paar kritische Worte zu den Nachrichtensendungen hinzu. In den ersten Tagen nach Kriegsausbruch seien sie «recht gut gemacht» gewesen, dann aber habe er ein deutliches Nachlassen festgestellt. Nachlassen betreffend «die Redaktion und Aktualität der Nachrichten und die Qualität der Sprecher». Selbst ein Bellettrien kann pingelig sein. Pilet endet mit einer Drohung:

      Ich bitte Sie, rasche Abhilfe zu schaffen. Andernfalls müsste ich eine andere Lösung in Betracht ziehen, die zu veranlassen, mir übrigens ein Leichtes wäre. Wenn Sie eine Audienz wünschen, bin ich bereit sie Ihnen zu gewähren. Agréez, Monsieur le Directeur, l’expression de mes sentiments très distingués. sig. Pilet-Golaz

      Im Namen der Depeschenagentur entschuldigt sich Vizedirektor Boss schriftlich beim Bundesrat. Bei der Aufstellung des Dienstplans seien unglücklicherweise die Namen zweier Sprecher verwechselt worden. Deshalb seien beide Herren an jenem Abend leider daheim geblieben. Die Sprecher hätten die Gewohnheit, direkt in die Sprecherkabine zu gehen, ohne sich vorher beim Dienstchef zu melden. Deshalb habe der Dienstchef erst nach einigen Augenblicken der Funkstille gemerkt, dass kein Sprecher da war. Geistesgegenwärtig sei er eilig die Treppen zur Sprecherkabine hinaufgestiegen und habe selber das Bulletin verlesen. Da er ausser Atem im 5. Stock angekommen sei, «litt seine Diktion».

      Vizedirektor Boss schreibt: «Es handelt sich um das erstmalige Vorkommen eines derartigen ‹Arbeitsunfalls› (den ersten bei uns), wie er das eine oder andere Mal in irgend einem Betrieb vorkommen könnte.» In andern Worten: Alles nicht so tragisch. Die Erklärung genügt Pilet nicht. Umgehend antwortet er nicht Vizedirektor Boss, sondern Direktor Lüdi persönlich:

      Die öffentlichen Dienste müssen ein Beispiel von Ruhe, Überlegtheit und Kaltblütigkeit geben; dies ist ihre erste Aufgabe. Vorgestern wäre es mit etwas Geistesgegenwart leicht gewesen, die Hörer zu warnen, dass aus personellen oder technischen Gründen der Nachrichtendienst um einige Minuten verschoben werde. Niemand wäre beunruhigt gewesen. Der Ersatzsprecher hätte Atem schöpfen, sein Bulletin aufmerksam durchlesen und dann die Nachrichten in aller Ruhe durchgeben können.

      Die Vergangenheit ist die Vergangenheit, wir können nichts mehr daran ändern, und es ist nicht dies, was mich beschäftigt. Es ist die Zukunft, und ich lade Sie ein, alles vorzukehren, damit ein «Arbeitsunfall» – ich übernehme Ihren Ausdruck – wie der letzte sich nicht wiederholt.

      7. Abhörprotokolle

      Pilet verfolgt die Nachrichtensendungen auch deshalb genau, weil er gut informiert sein will. Schon als Präsident der Lausanner Sektion von Belles-Lettres oder als Offizier lag ihm daran, mehr zu wissen als seine Kameraden. Man kann nur richtig entscheiden, wenn man genau Bescheid weiss.

      Pilet erwartet von seinen Mitarbeitern, dass sie alle Aspekte der Frage gründlich studieren und ihm Bericht erstatten. Oft gibt er seine Weisungen schriftlich und erwartet schriftliche Antworten. Gegenüber Parlament und parlamentarischen Kommissionen besitzt er fast immer einen Wissensvorsprung, aus dem er kein Geheimnis macht. Nicht alle

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