Mutter aller Schweine. Malu Halasa

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Mutter aller Schweine - Malu Halasa

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der Familie Sabas müssen sich gegenseitig schützen, weil es sonst niemand tut.

      Mutter Fadhma steht langsam auf und lächelt triumphierend. »Jetzt, wo unser Gast da ist, geht mein Mädchen zumindest nicht mehr alleine aus, oder?«

      Die alte Frau zieht ihren neuen Bademantel enger um sich wie einen Schutzschild. Unter dem dichten Stoff wird sie schwitzen wie ein Schwein. To sweat like a pig. Kurz fällt Laila aus der Rolle und muss fast laut auflachen. Englische Redewendungen mit Tieren mag sie besonders gern, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Klassenzimmers.

      Ihre Gedanken werden unterbrochen, als ihr siebenjähriger Sohn Salim in die Küche gehüpft kommt. Erleichtert wenden sich die beiden Frauen voneinander ab. Laila umfasst das perfekt geformte Gesicht ihres Sohnes und drückt ihm die Wangen. Sie weiß, dass sie trotz allem Grund zur Dankbarkeit hat. Ihr Ältester ist ihr ein großer Trost, und ihn so frisch und munter zu sehen, verbessert ihre Stimmung sofort. Er wurde genau neun Monate nach ihrer Hochzeit geboren, und weil Hussein damals noch dauerhaft bei der Armee wohnte, wurde ihr Erstgeborener zur Liebe ihres Lebens.

      Ein zweiter, kleinerer Junge wartet still in der Tür. Mansur, dunkel wie sein Vater, hat auch dessen Gemüt geerbt und ist eher zurückhaltend und empfindlich. Manchmal sind die banalsten Dinge zu viel für ihn und er bekommt einen Asthmaanfall. Laila sieht sofort seine gerunzelte Stirn. Er findet es schwierig, mit einem Bruder mitzuhalten, der, obwohl nur ein Jahr älter, sehr viel selbstbewusster ist.

      Sie winkt ihren jüngeren Sohn herbei, ruft sanft: »Habibi, Liebling, komm her«, und tätschelt ihm den Rücken, als er auf den Stuhl neben ihr klettert.

      Beide Kinder, noch in Schlafanzügen, haben sich das Gesicht gewaschen. Salim stopft sich Brot und Joghurt in den Mund, während Mansur Laila anbettelt, ihn zu füttern.

      »Du bist doch schon ein großer Junge«, ärgert ihn Salim.

      »Bin ich nicht …« Mansurs Stimme verliert sich in einem Keuchen.

      Laila beruhigt ihn, nimmt ein Stück gekochtes Ei auf den Löffel und schiebt es in seinen eigensinnigen Mund. Bevor das Gestichel wieder anfängt, warnt sie: »Eure neue Tante schläft noch!«

      Die Jungen sprechen leiser. Ihre Söhne mögen den Gast. Die Geschenke, die Muna von den Verwandten aus Übersee mitgebracht hat, haben sie aufgerissen, und es beeindruckt sie, eine echte, lebende Amerikanerin kennenzulernen, wie Abby aus CSI. Augenblicke später hat Salim die Warnung seiner Mutter vergessen und fuchtelt seinem Bruder mit einer Gabel unter der Nase herum. Das Gekabbel bringt sofort Fadhma an den Tisch. Sie umarmt Mansur und redet gleichzeitig Salim gut zu, bis beide Brüder versprechen, sich zu benehmen. Während sich die Kinder in Fadhmas Zuwendung sonnen, überlegt Laila kurz, warum die beiden mit ihren Sorgen eigentlich nie zu ihr kommen. Sie vermutet, dass sie Fadhma näherstehen, weil die ihnen nachgibt. Für ihre Mutter – und Laila kultiviert das tatkräftig – empfinden sie vor allem Respekt, gewachsen eher aus Angst denn aus Liebe.

      »Seht doch nur, was ihr eurer Dschadda für einen Ärger macht!«, sagt sie zu ihren Söhnen. Ob die Jungen ihre Großmutter drangsalieren, ist ihr gleichgültig. Doch eine gewisse Darbietung formeller Höflichkeit ist geboten, egal wie leer sie sein mag.

      »Ich bin doch nicht würdig, Umm Salim«, antwortet Fadhma. Im stillen Konflikt zwischen den beiden ist diese schlichte Aussage ein Angriff über zwei Flanken. Sie weiß, dass falsche Demut Laila reizt, und indem sie ihre Schwiegertochter »Mutter Salims« nennt, reduziert Fadhma sie wirkungsvoll von einer Person zu einer Funktion.

      Gebieterisch blickt Laila durch Fadhma hindurch zum umfunktionierten Zwanzig-Liter-Butterschmalzkanister auf der Anrichte neben der Spüle. Er ist mit dem letzten kostbaren Abwaschwasser gefüllt und steht dort seit drei Wochen. »Wehe, dieser Laster kommt heute nicht«, beschwert sie sich, entnervt vom Chaos ringsum. Es ginge auch anders.

      Letzte Woche musste sie nicht ein solches Auge auf die Jungen haben; sie aßen schnell, zogen sich an und gingen zum Spielen mit ihren Freunden nach draußen, bevor sie sich mit ihrer Mutter auf den Weg zur Schule machten. Jetzt zanken sie und spielen mit dem Essen. Laila hat auch bemerkt, dass die Jungen, wenn es Zeit wird loszugehen, ungewöhnlich still werden. Sie fragt sich, ob sie den Grund ihres Unglücks wohl ermittelt hätte, ohne die beiden zu bespitzeln.

      Nach Munas Ankunft gestern Abend hörte Laila von der Küche aus Mansur auf der hinteren Terrasse heulen: »Die anderen mögen mich nicht mehr.« Statt hinzugehen und zu fragen, was los sei, verbarg sie sich hinter dem schweren Vorhang an der Terrassentür.

      Salim ließ eine glänzende neue Spielzeugpistole sinken, ein Geschenk von einer seiner amerikanischen Tanten, und erwiderte: »Na und? Mir haben sie auch gesagt, dass sie mich hassen.«

      Während Laila die beiden beobachtete, wusste sie, dass ihr jüngerer Sohn nicht verstehen würde, wie jemand irgendetwas anderes als Bewunderung für seinen älteren Bruder empfinden konnte.

      »Was?«, fragte Mansur ungläubig.

      Salim, seinem Alter voraus, nahm ein Taschentuch aus einer Schachtel zwischen den Kissen, wischte seinem jüngeren Bruder die Nase ab und legte dem Sechsjährigen behutsam den Arm um die Schulter. In diesem Moment wurde Lailas Kummer nur noch überwogen vom anhaltenden Zorn auf ihren Ehemann.

      Abrupt steht sie vom Tisch auf. »Beeilt euch!«, befiehlt sie ihren Söhnen und verlässt die Küche. Ihre Schritte werden vorsichtiger, sobald sie ihre Schlafzimmertür öffnet. Dahinter schläft in einer hölzernen Wiege Fuad, der jüngste ihrer drei Söhne. Sie streicht ihm eine verschwitzte Locke aus der Stirn. Der Kleine, noch keine zwei Jahre alt, hat wegen eines übersäuerten Magens den Großteil der vergangenen Nacht wach verbracht; das Familienessen zu Munas Ehren hatte ihn etwas zu sehr begeistert. Laila macht sich fertig. Sie wirft noch einen letzten Blick auf das schlafende Kind und schließt die Tür hinter sich.

      Im Flur ist es totenstill. Auch Samiras Tür ist verschlossen, die Zimmerbewohnerinnen schlafen noch. Ganz leise hört Laila jemanden im Wohnzimmer – zweifelsohne Fadhma, die sich mal wieder bei ihrem toten Ehemann beschwert. Laila findet die Jungen im Kinderzimmer vor, wo sie still warten, bereit für die Schule. Salim und Mansur starren zu ihr auf.

      »Yalla«, flüstert sie, »lasst uns gehen.«

       3

      In der Schlachterei ist Hussein bei der Fleischlagerung absolut gewissenhaft. Er besitzt zwei Kühlschränke, einen für erlaubtes Fleisch und einen anderen, sehr viel größeren, für verbotenes. Als halal und haram sind die Kühlschränke nicht gekennzeichnet. Selbst folgt er zwar keinen Ernährungsvorschriften aus religiösen Gründen, doch er möchte verantwortungsbewusst handeln – auch wenn seine Vorkehrungen nur ihm bewusst sind. Außer ein paar Innereien ist der Halal-Kühlschrank so gut wie leer. Alles frische Hammel- und Ziegenfleisch verkauft er direkt von den Fleischerhaken im Schaufenster. Der andere Kühlschrank ist randvoll, bereit für das Wochenende. Heute Abend wird Hussein im Schutz der Dunkelheit noch mehr Schinken und Würste holen, doch zu Ladenschluss am Sonntag wird auch das letzte bisschen verkauft sein.

      Soweit genügend Wasser vorhanden ist, werden die Räume der tristen Schlachterei täglich sauber gespritzt, aber häufig verstopft eine fettige Schmiere die Abflüsse und sie sondern einen unangenehm durchdringenden, fauligen Geruch ab. Hussein stellt den Gasbrenner an und setzt einen Topf Wasser auf. Im Hinterzimmer hört er Khaled, seinen Mitarbeiter, arbeiten. Der Junge murmelt ein Gebet. Kurz darauf scharren hektisch Hufe über den Fliesenboden, dann erklingt ein Spritzgeräusch, das sich in kaum vernehmbares Gluckern auflöst, als Blut, satt und suppig, in einen verzinkten

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