Mutter aller Schweine. Malu Halasa
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Hussein ignoriert ihn und wählt aus der breiten Palette abgegriffener Werkzeuge an der Wand ein Hackebeil. Ein Tier zu zerlegen, hat etwas zutiefst Befriedigendes, jeder knochenzerschmetternde Hieb etwas unwiderruflich Endgültiges. Mit jedem Schwung des Hackebeils spürt Hussein, wie sich seine Stimmung verbessert. Bumm! Das bringt den jugendlichen Missetäter zur Einsicht über die Schändlichkeit seiner rücklichtzerschmetternden Sitten. Zack! Das ist für den Wasserlaster. Krach! Laila. Der nächste Hieb soll für Samira sein und all den Ärger, den sie ihnen macht, doch in letzter Minute überlegt Hussein es sich anders und erteilt den Schlag abermals als persönlichen Beitrag zum Kampf gegen die Jugendkriminalität. Er arbeitet methodisch, trennt Bein von Lende, Schenkel von Brust, und lässt mit jedem Schlag seine Frustration heraus.
Er wählt zwei schöne Keulen aus seinem Werk und hängt sie ins Schaufenster. Schon sammeln sich erste Fliegen auf den Fleischbergen, von denen geleeweiches Fett auf die Theke tropft. Plötzlich klingelt die Glocke über der Fliegengittertür und kündigt den ersten Kunden des Tages an. Hussein ringt sich ein einladendes Lächeln ab.
»Frau Habasch, wie schön, Sie zu sehen. Was darf’s heute sein? Wir hätten köstliches Lammfleisch.«
Die Frau des Bürgermeisters ist eine der wichtigsten Personen der kleinen Stadt. Sie ist mit einem ihrer Vettern verheiratet und aus einer alten Familie, die, wie die Sabasens, ihre Abstammung bis zu einer Festungssiedlung im Süden des Landes zurückverfolgen kann. Wie andere Christen mussten ihre beiden Familien vor über einhundert Jahren nach Norden fliehen – die Folge eines Missverständnisses, das zu einem Religionskrieg ausgeartet war. Schließlich erreichten sie eine erdbebenzerstörte byzantinische Stadt und gründeten darauf ein Dorf, das wieder zu einer Stadt anwuchs. Diese gemeinsame Historie ist Hussein nützlich. Sie erleichtert ihm seine zweiwöchentlichen Besuche im Büro des Bürgermeisters mit sogenannten »Häppchen«, die jedoch substanzieller sind als die sonstigen kläglichen Zuwendungen an den Ortsvorsteher. Den finanziellen Aufwand dieser freundschaftlichen Beratungsgespräche betrachtet Hussein als unerlässliche Betriebsausgabe. Warum sollten er und sein Onkel Abu Satar die einzigen am Trog sein? Seine Geschenke an den Bürgermeister sind nur recht und billig, niemand verlangt sie von ihm, doch der Umgang mit der Bürgermeistersfrau wird dadurch trotzdem nicht einfacher.
Frau Habasch lehnt sein Angebot ab. »Ich habe mir gedacht, dass Issa vielleicht gern ein Huhn zu Mittag hätte. Sie haben nicht zufällig noch eines hinten?«
Seit Frau Habasch einmal hat fallen lassen, dass sie nicht gerne auf den Markt gehe, hält Hussein in einem kleinen Hühnerstall im Hinterhof etwas Geflügel. Auf dem Markt wie eine Bäuerin zu feilschen, empfindet sie als unter ihrer Würde. Sie kommt lieber zu Hussein und zahlt für das Privileg. Er ruft: »Khaled, dschadsche!«, und der Junge erscheint mit einem dicken gesprenkelten Huhn im Arm.
Hussein ist überrascht. Ebendieses Huhn hat Khaled besonders gern. Es ist das beste der Schar, der Junge bevorzugt es und gibt ihm zusätzliches Futter. Doch vor Frau Habasch kann Hussein nichts sagen, und so nimmt er das dralle Huhn und dreht es für sie hin und her. Sie nickt zustimmend. Hussein gibt Khaled den Vogel zurück und sagt ihm, er solle ihn vorbereiten. Er mahnt den Jungen zur Eile – »Asra!« –, mehr sich selbst als der Kundin zuliebe, die er als aufdringlich empfindet. Wahrscheinlich bestellt sie nur Huhn, damit durch das Rupfen Zeit zum Tratschen bleibt.
»Wie geht’s der Familie?« Sie inspiziert das Fleisch auf der Theke. »Ich habe gehört, Ihre Nichte ist zu Besuch. Ich hoffe, sie ist nicht wie diese arabischen Hip-Hopper.«
»Ganz und gar nicht. Muna ist eine wohlgesittete junge Frau«, erwidert Hussein, obwohl er sich da anhand seiner spärlichen Erinnerung an gestern Abend nicht sicher sein kann.
»Ich freue mich darauf, sie kennenzulernen. Ich könnte ihr gerne am Sonntag nach dem Gottesdienst die Mosaike zeigen.«
»Das würde ihr sicherlich große Freude bereiten.« Er weiß schon, was als Nächstes kommt.
»Hätten Sie vielleicht Lust, uns zu begleiten?«
Hussein hat schon vor langer Zeit jedwede religiöse Überzeugung aufgegeben. Seine Lebenserfahrungen haben es ihm unmöglich gemacht, weiter zu glauben. Trotzdem ging er früher noch der Form halber in die Kirche. Als sein Trinken, seine Enttäuschung und seine Scham zunahmen, ging er immer seltener. Das waren seine Gründe. Heute besteht seine Frau darauf, den Kindern zuliebe zu gehen, auch wenn es schwierig geworden ist. Manchmal glotzen und flüstern die Leute.
Eine so wichtige Kundin wie Frau Habasch will Hussein nicht verprellen. Normalerweise macht er ihr Komplimente zu ihrem guten Geschmack und stimmt ihr selbst dann zu, wenn er ihre Meinungen für unklug hält. Sein Onkel hat ihm das irrsinnigerweise als solides kaufmännisches Verhalten empfohlen.
Hussein entscheidet sich für Ausflüchte: »Frau Habasch, sonntags habe ich immer am meisten zu tun.« Die Autos, die am Wochenende die Hauptstraße blockieren, lassen sich kaum übersehen. »All meine Kunden sind ohnehin Christen. Und wann immer ich kann, nehme ich mir einen Augenblick allein, um zu …« Er schafft es nicht, unverhohlen zu lügen, und verschluckt das Wort »beten«.
»Das ist alles gut und schön«, seufzt sie, »aber Kommerz ersetzt keinen Gottesdienst. Religion ist der Anker unseres Lebens.«
Jetzt erinnert sie ihn gleich daran, dass ihre Stadt in der Bibel erwähnt wird. Die byzantinischen Ruinen, in denen sich ihre Familien niederließen, waren einst eine antike moabitische Stadt, in der Musa wandelte und Jesaja Prophezeiungen sprach. Ganz wie der Slogan auf den Reisebussen, Besuchen Sie das Land der Propheten. Sein Vater hätte ihr voll und ganz zugestimmt.
Hussein hebt die Hände und gesteht müde ein: »Dagegen lässt sich nichts sagen!«
Frau Habasch übergeht ihn und redet weiter: »Erst heute Morgen meine ich zu Issa, selbst eine Frau in meinen fortgeschrittenen Jahren spürt den Druck, sobald man in die Nähe des Ostviertels kommt. Merken Sie sich meine Worte, in einem Jahr müssen wir Frauen hier alle Hidschab tragen!«
Hussein weiß, welche Reaktion sie von ihm erwartet, aber seine Kunden aus dem Ostviertel sind durchweg anständig zu ihm. Sein Wagen wurde vielleicht vor der Moschee attackiert, aber er kann sich nicht dazu durchringen, pauschal gegen eine ganze Religion und sämtliche ihrer Anhänger zu wettern. Seine achtzehn Jahre in der Armee haben ihn gelehrt, gegenüber kollektivem Glaubenseifer äußerst wachsam zu sein, und selbst seine zwei Jahre Spezialauftrag haben ihn davon nicht abgebracht.
Er ruft sich ins Gedächtnis, dass Heuchelei nicht die exklusive Domäne der Verwöhnten und Behüteten ist, die sich kaum je über Familie und Heim hinauswagen. Scheinheiligkeit hat er auch bei befehlshabenden Offizieren und der Geheimpolizei erlebt, bei Männern, die sehr viel weniger rechtschaffen waren als Frau Habasch. Dennoch beunruhigt ihn ihre Haltung. Als noch wenige syrische Flüchtlinge ins Land kamen und sie in Jordanien bei Verwandten oder mitfühlenden Freunden unterkamen, sprach Frau Habasch davon, wie wichtig Solidarität sei, und initiierte ein paar halbherzige Spendensammlungen. Die Obdachlosen und Beraubten, die durch die Stadt zogen, waren nicht mehr als eine ärgerliche Störung, eher zu bedauern, als zu befürchten. Als dann Hunderttausende über die Grenze flohen und sich das Ostviertel mit Flüchtlingen