Predictive Analytic und die Haftung für fehlerhafte Ergebnisse gegenüber betroffenen Einzelpersonen. Susanne Mentel
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Der anhaltende Erfolg dieser „algorithmischen Orakel“ kann auf „das Zusammentreffen von drastisch verbilligtem Speicherplatz und Computerkapazitäten mit der Verfügbarkeit von immer mehr digital erfassten Lebensäußerungen“ zurückgeführt werden.1 Im Laufe dieser Entwicklung erkennen sowohl private Unternehmen als auch staatliche Stellen immer öfter die Chance, diese Daten durch systematische Auswertungen und darauf basierende Analysen zu nutzen.2 Durch die zunehmende Verbreitung sog. vorhersagender Analysen3 beschränken sich Datenanalysen nicht mehr nur auf die Vergangenheit, sondern versuchen, bestimmte Verhaltensweisen in der Zukunft vorherzusagen. Dadurch erhalten die Anwender dieser Instrumente Einblicke in die verschiedensten Bereiche des Lebens. Unternehmen nutzen dies zu Marketingzwecken und als Kundenbindungsmaßnahme. Arbeitgeber, um die Loyalität ihrer Mitarbeiter zu berechnen. Versicherer und andere Dienstleister entdecken zukunftsorientierte Vorhersagen zur Einschätzung von Schadensrisiken, zur risikobasierten Tarifierung ihrer Beitragszahler und zur generellen Optimierung ihrer Geschäftszahlen.
Vorhersagende Bewertungen des Einzelnen finden sich so in den unterschiedlichsten Lebensbereichen wieder und sind aus vielen Geschäftsbereichen nicht mehr wegzudenken. Dies gilt vor allem, aber nicht nur, für den Online-Handel als Plattform der heutigen Geschäfte des täglichen Lebens. Der Wunsch, vorhandene Daten auszuwerten, ist aus Sicht der Unternehmen verständlich. Predictive Analytic stellen auch ein geeignetes Werkzeug dar, um die Unmengen an Daten, die ein Unternehmen besitzt, sinnvoll auszuwerten. Predictive Analytic können auf diese Weise einen hohen Mehrwert für ihre Anwender bieten, vorausgesetzt, die Ergebnisse dieser Vorhersagen stellen eine verlässliche Grundlage für Entscheidungen dar. Entsprechen die Vorhersagen aber nicht den realen Gegebenheiten, wohnt ihnen ein hohes Gefahrenpotenzial vor allem für die von ihr analysierten Einzelpersonen inne. Erreichen diese nicht die seitens der Unternehmen festgelegten Grenzwerte für ein positives Ergebnis des Wahrscheinlichkeitswertes und stellt sich der Wert im Nachhinein als falsch4 dar, können fehlerhafte Vorhersagen den Einzelnen auf vielfältige Art betreffen. Dazu gehört, dass dem in dieser Weise Betroffenen Informationen, Vergünstigungen sowie Geschäftsmöglichkeiten vorenthalten werden und es zu Rechtsverkürzungen bis hin zu Diskriminierungen kommen kann.5 Die Risiken fehlerhafter Vorhersagen gegenüber den von ihnen betroffenen Einzelpersonen werden seitens der Anwender solcher Analysemethoden dessen ungeachtet ausgeblendet.
II. Bisheriger Forschungsstand
Die eingangs genannten Beispiele lassen bereits erahnen, welch weitreichende Auswirkungen Predictive Analytic-Anwendungen mit sich bringen können, wenn die Vorhersagen den Betroffenen falsch einschätzen. Obwohl sich Predictive Analytic-Verfahren in den vergangenen Jahren mehr und mehr ausgebreitet haben,6 wird die Frage nach einer Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse bislang kaum gestellt. Es existiert auch noch keine Rechtsprechung, die sich speziell mit Predictive Analytic-Verfahren und ihren Auswirkungen beschäftigt hat. Dies mag an der rasanten technischen Entwicklung von Datenanalyseverfahren liegen, der die Rechtsprechung aus natürlichen Gründen oft hinterherhinkt. Es fehlt jedoch grundsätzlich an einer kritischen Auseinandersetzung mit den potenziellen Folgen von Predictive Analytic für die Gesellschaft. Dies erstaunt auch deshalb, da öffentlichkeitswirksamere Anwendungsgebiete wie die vorhersagende Verbrechensbekämpfung (sog. Predictive Policing7) von Anfang an kritisch begleitet wurden.8 Gegenüber anderen Anwendungsgebieten von Predictive Analytic tritt erst langsam ein Bewusstsein über die Gefahren ein, welche in den letzten Jahren auch in der Tagespresse thematisiert wurden.9
In der Fachliteratur bringt die Suche nach dem Schlagwort „Predictive Analytic“ bislang hauptsächlich englischsprachige Literatur zu Tage, die sich zumeist an Manager und Entscheider in Unternehmen richtet.10 Daran lässt sich bereits ablesen, dass die Auseinandersetzung mit Predictive Analytic in der deutschsprachigen Literatur noch keine große Verbreitung gefunden hat, geschweige denn bereits juristische Beiträge zu den rechtlichen Auswirkungen veröffentlicht wurden. Einen viel größeren Platz nimmt dagegen auch in der deutschsprachigen Literatur das Thema Big Data11 ein, welches nicht mit Predictive Analytic verwechselt werden sollte.12 Sind Predictive Analytic Bestandteil von wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, so beziehen sich diese meist auf die praktischen Anwendungsmöglichkeiten und die wirtschaftlichen Vorteile, die derartige Analysen für ihre Anwender bringen können.13 Fatalerweise entwickeln sich diametral zur ausbleibenden Auseinandersetzung in der juristischen Literatur die Anwendungsgebiete von Predictive Analytic aufgrund des technischen Fortschritts immer schneller fort.
III. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung
Mit der fehlenden Auseinandersetzung geht einher, dass auch die Fehleranfälligkeit von datengetriebenen Verhaltensvorhersagen, und die damit verbundenen schwerwiegenden Folgen von Predictive Analytic für den Betroffenen, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft viel zu wenig kritisiert und beinahe als Begleiterscheinung der Digitalisierung hingenommen werden. Sogar unter einem Gros an Juristen wird die Meinung vertreten, dass diesem neuartigen Phänomen der Datenanalyse mit den bestehenden juristischen Mitteln kein Einhalt geboten werden könne. In der Folge wird eine mögliche Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic erst gar nicht diskutiert.14
Es soll daher Ziel der vorliegenden Arbeit sein, unter dem Arbeitstitel der Haftung für fehlerhafte Predictive Analytic-Ergebnisse einschlägige Haftungsmöglichkeiten zu untersuchen, die der von einer fehlerhaften Vorhersage betroffenen Einzelperson zur Seite stehen können.
Im Zuge der Untersuchung zeigt sich, dass auch die von großer rechtlicher Bedeutung geprägte Frage, wann für fehlerhafte Informationen über eine Person gehaftet werden muss, in der juristischen Literatur in jüngster Zeit vernachlässigt wurde.15 Es ist deshalb ebenso das Ziel der Arbeit, einen Beitrag für die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten einer Haftung für fehlerhafte Informationen zu leisten. Hierfür wird im zweiten Teil der Arbeit die für Druckwerke entwickelte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung für fehlerhafte Informationen ebenso herangezogen wie die datenschutzrechtlichen Vorschriften zur Richtigkeit und Qualität von Daten.
Bevor eine Haftung im Detail untersucht werden kann, bedarf es einer Auseinandersetzung mit den Grundlagen von Predictive Analytic. In einem einführenden ersten Teil wird deshalb zunächst der Begriff Predictive Analytic untersucht. Nach einer ersten Annäherung wird eine deutsche Definition des zumeist im Englischen verwendeten Begriffes Predictive Analytic aufgestellt. Im Anschluss wird die Entwicklung vorhersagender Analysen zu den heute möglichen Verfahren dargestellt. Desweiteren werden zahlreiche Anwendungsgebiete beschrieben, um eine Referenzmöglichkeit für die anschließende rechtliche Auseinandersetzung zu schaffen. Ein Hauptaugenmerk der Arbeit liegt auf der Darstellung der möglichen Folgen fehlerhafter Predictive Analytic-Anwendungen sowie auf der Frage, ob diese grundsätzlich ersatzfähig sind.16 Diese Auseinandersetzung wird deshalb so umfangreich geführt, da nur eine Ersatzfähigkeit im Ergebnis dem Betroffenen zu seiner Rechtsdurchsetzung verhelfen kann. Aller Skepsis zum Trotz muss jedoch für jede Befassung mit der Materie klar sein, dass der technische Fortschritt, der Predictive Analytic ermöglicht hat, nicht mehr aufzuhalten ist und in Zukunft mit einer weiteren Verbreitung von Predictive Analytic zu rechnen ist. Es hilft deshalb nicht, die Augen vor dieser Entwicklung zu verschließen. Vielmehr muss eine Auseinandersetzung damit stattfinden, unter welchen Umständen derartige Analysemethoden rechtlich zulässig sind.
Um einen Impuls für die rechtliche Diskussion zu geben, beschäftigt