EbenHolz und ElfenBein | Erotischer Roman. Martin Kandau
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Ich bin Mitte Dreißig, Marion ist fünf Jahre älter als ich, doch in sexueller Hinsicht waren wir ein wenig unreif. Die Wünsche, die es da noch gab, diese Sehnsüchte geisterten nur in unseren Köpfen herum. Über die Lust auf neue erotische Erfahrungen hatten wir in den vier Jahren unserer Beziehung nie gesprochen.
Nun stand Marion da und stellte mir Fragen. Ich wusste, dass sie das Recht dazu hatte. Ich wusste, dass ich ihr Antworten geben sollte. Aber das war nicht leicht. Ich wand mich und schämte mich für die ganze Schäbigkeit meiner Heimlichkeit, die gerade entblößt worden war.
»Also, dann sag mir«, fragte sie weiter, »was findest du an Pornos? Ist es etwas anderes, als wenn wir Sex miteinander haben? Was fehlt dir bei unserem Sex?«
»Es bedeutet nichts«, sagte ich wieder.
»Es bedeutet genug, dass du es versteckst«, erwiderte Marion postwendend.
»Ich kann dir nicht sagen, was es bedeutet. Es ist nicht viel. Man versteckt es. Es ist, als würde man zur Toilette gehen. Es ist nichts Großes, verstehst du? Nur eine kleine Heimlichkeit. Und ich denke, jeder Mensch darf ein paar kleine Geheimnisse haben.«
»Geheimnisse machen Menschen interessant, aber Beziehungen uninteressant«, entgegnete sie in jener Klugheit, die ich im Grunde an ihr so schätzte.
»Verdammt«, sagte ich und grub meine Hände in die Haare. Und dann gestand ich ihr, dass sie recht hatte. Es brauchte in einer glücklichen Beziehung keine Geheimnisse zu geben. Ich wusste nicht, was ich ihr noch sagen sollte und meinte darum: »Ich kann es nicht genau beschreiben. Ich brauche das manchmal. Ich kann dann abschalten. Ich denke, ich benutze es als Entspannung.«
Aber Marion hatte in dieser Situation die absolute Oberhand. Und wieder erwiderte sie etwas, was sehr klug war. Ich glaube, sie hatte sich sehr gut auf diese Situation vorbereitet, mit der sie mich total überraschte. »Aber sag mir: Wie kann etwas, das so viel Spannung hat, entspannend sein?«
Ich schnaufte. Denn wieder legte sie den Widersinn in meinen Worten offen. Ich schnaufte erneut und gab fast auf, als ich sagte: »Irgendwie ist es so. Es ist weniger aufwendig, als wenn ich Sex mit dir habe. Ich lehne mich zurück und betrachte nur – es läuft quasi alles nur in meinem Kopf ab. Ich trete hinter das Geschehen zurück. Ich bin nur der Betrachter, der es genießt …«
»Soso«, entgegnete sie nachdenklich, »nur in deinem Kopf. Aber wenn du keine andere Frau im Kopf hast, bin ja ICH es, die du vor dir siehst …«
Ich stöhnte, denn allmählich nahm sie mir mit ihrer Logik den Atem. Marion lächelte nun zum ersten Mal. Es war ein fremdes Lächeln, tiefgründig und rätselhaft, voller sinnlicher Melancholie oder melancholischer Sinnlichkeit. Ich konnte diesen Ausdruck kaum deuten. Er ängstigte mich ein wenig, aber ebenso faszinierte er mich. Er bannte mich und erregte mich. Er gab mir das Gefühl, dass es mit dieser Frau noch viel zu entdecken und zu erleben gab.
Und nun hatte dieser Ausdruck ein Lächeln bekommen. Ein abgründiges, dunkel wissendes Lächeln, in das meine Frau sich gleichsam fallen ließ. Wenn die schöne Marion jetzt an einer Klippe gestanden hätte, dann hätte ich meine Arme ausgebreitet, um sie aufzuhalten. Aber wir waren ja nur in unserem Wohnzimmer. Hier durfte sie sich fallen lassen, und sie tat es. Sie überraschte mich. Kniete sich zu dem Rekorder hin und legte die Disc ein. Dann, mit einem schicksalhaften Blick zu mir, drückte sie auf »Start«.
»Was tust du?«, fragte ich beunruhigt, als wäre es eine Sache, die plötzlich verboten war, nur weil ich dabei nicht mit mir allein war.
»Lass uns zusammen diesen Film sehen!«, sprach Marion ebenso bestimmend wie sanft und setzte sich zu mir aufs Sofa.
Meine Überraschung nahm mir beinahe den Atem. Ich wollte etwas dagegen tun, wollte aufspringen und es aufhalten. Aber da war noch etwas anderes in mir, das mich bewegungslos innehalten ließ und den Drang hatte, es geschehen zu lassen. Ich war entblößt in einer ordinären und schäbigen Heimlichkeit. Andererseits war es so, dass die Vorstellung, mit meiner Frau zusammen einen Pornofilm zu sehen, mich schon oft erregt hatte. Aber es war undenkbar gewesen, ihr den Vorschlag zu machen. Wir waren doch wie die meisten anderen Leute auch. Harmlos verheiratet und allein mit unserer Lust. Die wilden dunklen Triebe zeigte man sich nicht, man hielt sie tief versteckt. Zeigte immer nur die beste, die berechenbare, die verlässliche Seite. Beschränkte sich auf die harmlose Vertrautheit miteinander. Die helle, freundliche Häuslichkeit hatte die finstere Romantik sexueller Fantasien und Sehnsüchte vertrieben. Wir waren gefangen in der gegenseitigen Anständigkeit und Scham eines erregungslosen Lebens. Sicher, wir liebten uns sehr, und wir waren glücklich miteinander. Aber unsere dunklen Leidenschaften und Begierden verschlossen wir vor dem anderen. Die lustvollsten unserer Gedanken hielten wir voreinander verborgen und machten sie mit uns allein ab.
Doch selbst unsere Liebe und unser gemeinsames Glück konnten die dunklen Begierden in uns nicht endgültig in uns begraben. Sie wollten ans Licht, und sie wollten bis ins Letzte ausgekostet werden. Es war dieser unwiderstehliche Drang, der sich wünschte, mit Marion einen dieser Filme zu sehen. Ich wollte, dass sie es sah. Ich wollte sie dabei beobachten. Es gab mir den Kick, sie damit zu konfrontieren. Ich wollte wissen, wie es für sie ist. Was denkt sie dabei? Was fühlt sie? Erregt es sie? Kann sie darüber sprechen? Was wird sie sagen? Was wird sie tun?
Ich merkte, wie Marion sich neben mir überwand. Wie sie um uns kämpfte. Sie versuchte, mir entgegenzugehen auf einem Weg, den wir noch nie gegangen waren. Sie hatte mich nie wirklich gefragt, was mich erregte. Und ich glaube, ich hatte das auch nie wirklich getan. Jetzt wagten wir in unserer ehelichen Unschuld etwas Schamlosigkeit. Ohne zu wissen, wohin sie uns führte. Es brauchte Mut, sich neu zu begegnen. Mut, uns neu zu sehen, uns neu zu erleben. Wir spürten die Angst vor dem Fremden im Vertrauten. Wir wollten, dass sich zwischen uns nichts änderte, wir wollten nichts verlieren.
Ich war verwirrt und konnte nicht sagen, ob es richtig oder falsch war, nur dazusitzen und zuzulassen, dass sie die Disc in den Rekorder schob. Marion war etwas weiter. Sie wusste, dass eine Sache, die uns nicht verband, uns trennte. Also wollte sie die Verbindung herstellen. Sie wusste, dass wir es wagen mussten. Um unsere Beziehung zu sichern, mussten wir uns auf dem unbekannten Gebiet begegnen.
Ich sah an Marions Gesicht, wie sie sich fallen ließ. Wie sich dieser ganz besondere Ausdruck auf ihre Züge legte, der mich so an ihr faszinierte. Etwas Aufregendes oder Gefährliches in ihrem Wesen zeigte sich – etwas, das nie erweckt, gelockt, gereizt worden war. Nicht einmal durch mich. Doch nun drängte es durch all die Schichten der Angepasstheit, der Scham und des Verleugnens an die Oberfläche. Die Disc begann ihr Spiel. Das Abenteuer nahm seinen Lauf.
Auf dem Bildschirm berührte ein schwarzer Mann eine weiße Frau. Er berührte sie zunächst wie etwas Unerhörtes, etwas vollkommen Kostbares oder wie ein Wunder. Dann streichelte er sie, noch zögerlich und zärtlich. Er spürte sich auf sie ein. Und sie sich auf ihn. Dann, von ihrer und seiner Lust getrieben, fasste er sie mit seinen starken Händen. Schwarze Haut auf weißer Haut. Immer kraftvoller packte er sie. Sie atmeten hörbar, schauten sich wild in die Augen und öffneten gierig ihre Kleidung. Sie ließen die Hüllen der Zivilisation zu Boden fallen. Meine eigene Atemlosigkeit steigerte sich. Ich sah Marion im Augenwinkel und spürte, wie etwas in unsere eheliche Unschuld eindrang. Etwas Gefährliches und Aufregendes und Schönes. Mein Kopfkino wurde ersetzt durch das Reale. Ich spürte den Kick. Mein Herz dröhnte durch meinen Körper wie eine Trommel, noch nicht sehr schnell,