Herr Rudi. Anna Herzig

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Herr Rudi - Anna Herzig

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dem Tod der Mutter ein Recht darauf gehabt hätte, wieder glücklich zu sein, egal, was die Leute im Dorf sagen. Zurücktrinken zu einer anderen Berufswahl, einer, die das Elend der Menschen nicht noch aussichtsloser macht.

      »Que sera«, jammert er und ist für einen Moment unachtsam. Die Flasche rollt davon, und der Herr Rudi ist fassungslos ob dieses Verrats.

      »Soso«, sagt er. »Soso, du mieser Verräter. Ich brauch dich eh nicht.«

      Die Flasche, mittlerweile regungslos auf der anderen Seite des Raums angekommen, bleibt kühl und lässt sich auf keine Diskussion ein.

      »Ich hab’s nicht so gemeint«, flüstert er, »wenn du mir entgegenkommst, wäre das fein.«

      Keine Antwort.

      »Können wir das so machen, bitte schön?«

      Keine Antwort.

      »Schau, ich hab doch nur mehr dich.«

      Die Flasche, denkt er, könnte ja eine Seele haben, ein Leben. Ein eigenes nämlich, mit Verpflichtungen. Eine Ehefrau, ein lieblicher Muskateller vielleicht. Die Kinder: Rosé. Merlot musste kurzfristig aus dem gemeinsamen Weinregal ausziehen. Man wird sehen, ob Distanz wieder verbinden kann. Merlot und Muska verbindet eine lange Geschichte, die allerdings geheim bleibt. Eine feurige Liebe, so viel kann man sagen. Die großen Gefühle, findet der Herr Rudi, dürfen ruhig eine angemessene Zeit brauchen, um zu reifen. So erzählt er es zumindest der Flasche, hofft auf einen Lufthauch, der sie samt den noch nicht ausgeronnenen Überresten Wein zu ihm herüberrollen lässt. Nichts passiert.

      Es ist demnach entschieden. Die Flasche und er werden getrennte Wege gehen. Er denkt über die Sauerei im Badezimmer nach und fragt sich, ob man das irgendjemandem zumuten kann. Wer will denn so etwas beim Morgendienst finden?

      »Steh auf, Rudi«, sagt er zu sich.

      Er versucht und scheitert im selben Moment daran, sich aufzurichten, gefolgt von einem »AuaScheißeHimmel-HerrgottJosefundMaria.«

      »Was tut dir denn weh?«, fragt die Livi plötzlich.

      »Das Alter.«

      »Kenn ich nicht.«

      »Ich weiß.«

      »Wie ist das?«

      »Elend. Manchmal.«

      »Es ist still hier.«

      »Weißt, vor ein paar Tagen ist es mir passiert. Das, was nie hätte passieren dürfen. Ich hab mich nicht mehr erinnern können, wie du riechst.«

      »…«

      »Den ganzen Keller hab ich nach deinem Karton abgesucht, dem braunen, eingerissenen, den mir deine Mutter nach der Beerdigung mitgegeben hat. Decken, Kleidung, der Marmeladenvorrat. Ich hab geglaubt: Ich dreh durch.«

      »…«

      »Alles hat nach Keller gerochen.«

      Der Herr Rudi hört es klingeln.

      »Hallo«, sagt er.

      »Hallo, hallo, hallo«, sagt die Stimme.

      Sein Handy liegt auf dem Bett, Paolo Conte in Dauerschleife. Dieses YouTube ist ein Hexenwerk, findet er.

      Aber diese Musik. Damals haben sie nackt im Haus getanzt, wenn niemand da war.

      Als die Livi gegangen ist, haben dem jungen Herrn Rudi Dinge wehgetan, von denen er nicht gewusst hat, dass die wehtun können. Regungslos ist er in der Küche gesessen, als wäre er ein Brotkorb, der zum Inventar gehört. Was wisst ihr von Liebe, haben die Eltern der Teenager damals gesagt, was wisst ihr denn schon? Der Vater vom Herrn Rudi hat das im Nachhinein bereut, weil er seinen Sohn noch nie so leiden gesehen, gravierend unterschätzt hat, was die beiden füreinander waren.

      Alte Seelen, die sich erkannt haben, möglicherweise.

      LACHEN KANN IM LEBEN OFT helfen, aber jetzt, im Hotelzimmer in Salzburg, mit elendem Hexenschuss – er zwingt sich.

      »Ha, ha. Haha.«

      »Du machst mir Angst«, sagt die Livi.

      »Kannst mich bitte für fünf Minuten in Ruhe lassen. Ich hab grad einen Moment.«

      »Du bist nackt.«

      »Ja.«

      »Und siehst anders aus.«

      »Ich bin alt. Da sehen Dinge nun mal anders aus.«

      »Was ist mit deinem Gesicht?«

      »Falten.«

      »Das andere.«

      »Das ist Traurigkeit.«

      »Warum?«

      »Wegen Dingen«, antwortet er.

      Eine Ungemütlichkeit, seine Einstellung zu Salzburg. Würde er sich bewegen können, der Herr Rudi, dann würde er vom Hotelbalkon aus schimpfen. Und zwar mit solch einer Leidenschaft, dass man ihn bis nach Wien hört. Hinunterspucken und sich in eine Hysterie hineinsteigern, die sich gewaschen hat, verdammt noch einmal.

      Bei seiner Ankunft am Salzburger Hauptbahnhof heute Nachmittag hatte er damit geliebäugelt, die Schnellbahn Nummer drei nach Hallein zu nehmen. Wegen der Bella-Palma-Pizzeria.

      Seit 1998 war die Bella Palma die Hauptkommandozentrale vom Fritz und dem Herrn Rudi. Es hat dort ein gewisses Flair, das muss man schon sagen, weil selbst die Servietten ein bisschen nach Italien riechen. Und Hallein, dort kann man sich schon verlieben. Da hat der Herr Rudi die Salzach immer in der Nähe. Der Fritz ist in Hallein aufgewachsen und wegen einer seiner großen Lieben nach Wien gezogen. Dann wieder nach Hallein. Dann wieder nach Wien. Dann wieder nach Hallein, und das nächste Mal Wien ist das letzte Mal geblieben. Da hat ihm das Leben drei Söhne geschenkt. Und mit dem Leben ist es meist so: Entweder passiert dir alles oder eben nichts. Wenn der Fritz über Salzburg redet, steckt er sich eine Zigarre in den Mund. Anzünden tut er sie nicht.

      »Liebe. Was soll denn das am Ende des Tages eigentlich sein?«, fragt der Fritz.

      »Ich glaub, das ist, wenn der Kopf sagt: Ich fühl mich verbunden«, antwortet der Herr Rudi.

      »Sei nicht komisch, Rudi.«

      »Wieso komisch?«

      »Denk doch mal nach.«

      »Ach was.«

      »Du bist doch ständig verliebt, Herr Fritz.«

      »Aber die große Liebe: vor Ewigkeiten, Herr Rudi!«

      »Herr Rudi, Herr Rudi – ich hab gar keinen Nachnamen mehr.«

      Der Fritz kaute an dem Ende seiner Zigarre herum und sagte: »Herr Fritz passt aber irgendwie nicht.«

      »Nein«, antwortet der Herr Rudi, »irgendwie nicht.«

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