Familienroman. Ivana Sajko

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Familienroman - Ivana Sajko

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auf, und die Bürgersteige leeren sich so schnell, dass sich schon nach wenigen Augenblicken niemand mehr darauf aufhalten wird außer einigen Hunden mit gesträubtem Fell.

      Sie hat also ihre letzte Chance verpasst.

      1Das Gespräch wiedergegeben nach: Vjeko Afrić, U danima odluka i dilema (In Tagen der Entscheidungen und der Dilemmata), Vojnoizdavački zavod (Militärisches Verlagsinstitut), Belgrad 1975, S. 284–285.

       4.

      Die Brise ging in einen stürmischen Wind über, Blitze bohrten sich in den Hang des Medvednica, und der schwarze Amboss aus Gewitterwolken zerbarst über den Dächern der Stadt. Das konnte nur ein Frühlingssturm sein, aber man musste ihn als Manifestation von etwas viel Schlimmerem begreifen.

      DIE DEUTSCHEN PANZER ROLLEN IN ZAGREB EIN.

      Es gibt auch Fotos. Auf einem davon bleibt eine deutsche Panzereinheit vor dem Laden Josip Hertmann und Sohn stehen. Die versammelten Zagreber glotzen erstaunt auf den Stahl. Es sind misstrauische Frauengesichter in der zweiten und verwirrte Männergesichter in der ersten Reihe zu sehen. Sie haben ihre Hüte tief ins Gesicht gezogen und die Fäuste in die Taschen ihrer Ballonmäntel geschoben. Sie tun nichts. Sie wundern sich nur.

      – Panzer …

      – Echte Panzer …

      Das war jener angekündigte Neuner. Man hat sie abgeräumt. Mit einem Wurf. Mehr noch, mit einem Blick. Sie sind einfach gekommen, haben die Straßen durchpflügt, die Fassaden gestreift und haben die Stadt, ohne einen Schuss abzugeben, eingenommen. Dann brüllte jemand. Halt! – und alles blieb stehen. Aus den Panzerluken tauchten Kinder auf, die sich nach der langen Fahrt streckten, sie schoben ihre Mützen zurecht und glätteten ihre Uniform, strafften ihre Gesichter zu einem Ausdruck der Verachtung, kniffen ihre Augen zu Messerschneiden zusammen und stachen in die Luftballons.

      Hände hoch!

      Los! Worauf warten die denn?! Hände hoch!

      Immer langsam, keine ruckartigen Bewegungen. Los!

      Die Niederlage ähnelte einem Gruß. Sie zogen die Hände aus den Taschen und streckten sie hoch in die Luft.

       Guten Tag. Willkommen.

      Dann verließen sie langsam, ohne ruckartige Bewegungen dieses Foto. Aber selbst als sie aus dem Blickfeld verschwunden waren, als sie endlich die Türen geschlossen und die Rollos herabgelassen hatten, brannte weiterhin die Stelle zwischen ihren Schulterblättern. Sie waren auch weiterhin im Visier, denn die Wände waren plötzlich hilflos geworden, durchsichtig und dünn wie Zeitungen, in denen doch schwarz auf weiß stand, dass eben heute, am 10. April 1941, einen Tag vor der Auferstehung des Gottessohnes, auch der Unabhängige Staat Kroatien auferstanden sei.

      Ein Pakt wurde geschlossen. Gott und die Kroaten. Genau mit diesen Worten.

      Im Radio wiederholte der Ustascha-Oberst Slavko Kvaternik etwas Ähnliches, er informierte die Zuhörer darüber, dass soeben der neue Staat gegründet worden sei, und er rief sie dazu auf, sich der neu gebildeten Regierung zu unterwerfen. Danach wurde ein italienischer Schlager gespielt. Vielleicht Parlami d’amore, Mariù in der Interpretation von Vittorio De Sica.

      Und was nun?

      Nichts, antwortete die Mutter.

      Das Mehrparteiensystem wurde abgeschafft. Die Polizeistunde wurde eingeführt. Es wurden Rassengesetze erlassen und die allgemeine Mobilmachung ausgerufen. Jetzt ist der beste Moment, um nichts zu tun, das heißt, nur dann etwas zu tun, wenn man unbedingt muss. Zu Hause bleiben, wenn sie es sagen. Auf die Straße gehen, wenn sie dazu aufrufen. Den Arm heben, wenn sie vorbeigehen. Jubeln, winken und klatschen. Guten Tag. Willkommen. Immer schön langsam und gemessen, ohne ruckartige Bewegungen, so, wie man es tun muss, denn für sie ist es nicht das erste Mal, dass sie nichts tun müssen, nur jubeln, winken, klatschen und darauf warten, dass die, die gerade angekommen sind, wieder abziehen und von den nächsten Truppen abgelöst werden. Und die werden auch nicht viel besser sein, zumindest ihrem politischen Verständnis nach.

      Verbrecher. So sagt sie.

      Aber leise.

      Diese Tatsache ist bekannt. Die Botschaft war eindeutig. Und das Volk merkte sie sich.

      Seitdem jubelt es nur, winkt und klatscht, und es hat sich an alles gewöhnt, auch an jene oben genannten Gauner, Diebe, Verbrecher, Beutelschneider, Zocker, Haderlumpen, Halsabschneider, Langfinger, Räuber, Brandstifter, leichte und schwere Mörder, denn das Volk tut – genauso, wie die Mutter sagt –, was es muss.

      Das heißt: nichts.

      Und zwar deshalb, weil es schnell lernt und es unter anderem begriffen hat, dass es dann, wenn es von den einen getreten wird, auch von den anderen getreten wird, beziehungsweise dann, wenn es von den einen beraubt wird, auch von den anderen beraubt wird. Deshalb wird es sogar dann, wenn es die Gelegenheit zur Wahl haben wird, wieder dieselben wählen, um nicht zweimal zertreten und beraubt zu werden.

      Sie erzählt zu viel.

      Aber was nutzt ihr das, wenn die Tochter sowieso nicht zuhört? Sie starrt nur vor sich hin, auf die Straße, von der die Männer geflüchtet sind und auf der der Frühling gewaltsam unterbrochen wurde, sie starrt und denkt sich ihren Teil.

      Oder denkt sie an gar nichts?

      Oder wird sie sich plötzlich bewegen und etwas schrecklich Dummes tun?

      Die Mutter fürchtet sich gerade davor, denn sie wird bestimmt etwas Dummes tun, da sie bisher jede Gelegenheit versäumt hat, etwas Kluges zu tun. Und sie wird wieder nicht die Einzige sein. Die Panzerkanonen sind auch weiterhin auf die durchsichtigen Wände gerichtet, und hinter einer dieser Wände hockt auch jener Jemand, der, egal, wer es ist, hinreichend klug ist, die Situation zu verstehen und rechtzeitig das Foto, das Caféhaus und die durchfurchte Straße zu verlassen. Aber noch immer jucken ihn die Spitzen im Rücken. Er hört De Sica und kratzt sich zwischen den Schulterblättern. Er ist immer noch im Visier, aber genauso wie ihre Tochter starrt er in die Leere in der Mitte der Straße und denkt sich seinen Teil, hartnäckig denkt er sich seinen Teil, da es ihm so scheint, als wäre alles

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