Der bleierne Sarg. Thomas Frankenfeld

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Der bleierne Sarg - Thomas Frankenfeld

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auf drei Symbole fiel, die, wie er rasch feststellte, offenbar auf alle Seiten des sonst ungeschmückten Sarges aufgebracht worden waren. Der Archäologe kniete sich vor den Sarg und sah genauer hin. Die in das Blei eingeschnittenen Zeichen waren bereits etwas verwittert und nicht mehr leicht erkennbar. Lindberg fuhr die Linien der Symbole mit dem Finger nach. Beim dritten Zeichen erstarrte er. Der Archäologe erhob sich hastig und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Zitternd verharrte das grelle Licht seiner Stirnlampe auf dem schwach erkennbaren Symbol. Es zeigte die spiegelverkehrte Zahl Vier. Ihm lief ein Schauer über den Rücken.

      3

       Heist

      Auf der Bundesstraße 431 lenkte Tim Waller seinen VW Golf in der Gemeinde Heist, einem übersichtlichen Ort zwischen den Städten Wedel und Uetersen in den Heideweg, an dem sein Einfamilienhaus stand. Das von seinen Eltern geerbte zweistöckige Gebäude stammte aus den 1950er-Jahren und war eher bescheiden zu nennen. Doch Waller liebte das alte efeuumrankte Haus, das ihm, seiner Frau und den beiden Kindern genügend Platz bot.

      Er stellte den Wagen auf der schmalen Einfahrt ab und schloss ein paar Sekunden lang die Augen. Er streckte den rechten Arm aus. Seine Hand zitterte. Er hatte das Gefühl, Schüttelfrost zu bekommen, alles tat ihm weh. Vielleicht hatte er sich eine Grippe eingefangen. Das fehlte ihm gerade noch; in der kleinen Firma durfte eigentlich niemand ausfallen.

      Waller stieß pustend den Atem aus, stieg aus dem Wagen und schlurfte zur Haustür hinüber. Selbst der kurze Fußweg fiel ihm schwer, er sog die Luft in kurzen, tiefen Atemzügen ein.

      „Ich bin wieder da, Schatz“, rief er halblaut in den Flur hinein.

      Seine Frau Helen kam aus der Küche, die Hände nass vom Spülen. Sie strich sich mit dem Handgelenk eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und gab ihm einen Kuss. Sie musterte ihn besorgt.

      „Meine Güte! Du siehst ja total fertig aus, weißt du das? Hast du dich irgendwo angesteckt? Heute morgen warst du doch noch fit“, sagte sie.

      „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Jedenfalls fühle mich ganz furchtbar“, klagte Waller. „Ich habe tierische Kopfschmerzen und mir ist übel.“

      „Ach du je. Du siehst aus, als hättest du auch Fieber“, sagte Helen und legte ihm eine Hand an die Stirn. „Meine Güte, du glühst ja! Leg dich gleich mal hin. Die Kinder sind noch drüben bei Mannsfelds, wir essen heute sowieso etwas später zu Abend. Schlaf doch noch ein bisschen bis dahin. Vielleicht geht es dir dann schon besser.“

      Waller nickte und stieg mühsam die steile Treppe zum Schlafzimmer hinauf. In seinem Schädel pochte es jetzt wie in einem Hammerwerk. Ihm wurde schwindlig. Er hielt sich am Geländer fest. Waller hasste es, krank zu sein, und er spürte, wie Angst in ihm aufstieg. Das alles hatte erst vor zwanzig Minuten schlagartig eingesetzt. Mit solchen Symptomen begann doch nicht einmal eine Grippe! Was war denn nur mit ihm los? Er hatte gerade das Schlafzimmer erreicht, als ein wahnsinniger Schmerz sengend durch seinen Kopf fuhr. Aufstöhnend fiel er auf die Knie; er sah plötzlich nichts mehr, rang nach Luft, versuchte, sich am Bett festzuhalten und sackte dann schwer zur Seite.

      Helen Waller stand in der Küche und wollte gerade einen Erkältungstee aufgießen, als sie oben einen dumpfen Schlag hörte. Alarmiert lief sie in den Flur.

      „Tim?“, rief sie die Treppe hinauf, und als sie keine Antwort erhielt, noch einmal: „Tim? Was ist mit dir?“

      Oben blieb es vollkommen still. Sie runzelte die Stirn, dann lief sie die Stufen hinauf und eilte zum Schlafzimmer hinüber. Sie starrte in den Raum, unfähig zu akzeptieren, was sie dort sah. Ihr Mann lag halb auf dem Rücken vor dem Bett. Sein Mund war wie zu einem stummen Schrei geöffnet, aus Nase, Augen und Mund strömte Blut und bildete bereits eine dunkle Lache um seinen Körper herum. Helen Waller schrie.

      Fünfzehn Minuten später bog ein Rettungswagen mit rotierendem Blaulicht und gellendem Martinshorn in den Heideweg ein. Der diensthabende Notarzt, Dr. Joachim Guthmann, war Oberarzt in einer nahen Klinik, ein erfahrener Mediziner, der in jüngeren Jahren als Mitglied von „Ärzte ohne Grenzen“ auch in mehreren Ländern Afrikas Dienst getan hatte. Bezüglich Unfällen und Krankheiten gab es sehr wenig, das er noch nicht gesehen hatte. Was ihn hier erwarten würde, wusste er nicht so recht; aus dem Gestammel der verstörten Frau hatte die Leitstelle sich keinen Reim machen können. Vermutlich ein Schlaganfall.

      Als der Sechzigjährige die Treppe zum Schlafzimmer der Wallers hinaufstieg, erfuhr er von der hemmungslos weinenden Helen Waller, die ihm hinterherkam, dass sich ihr Mann schlecht gefühlt, Symptome einer Grippe aufgewiesen habe und oben in einer Blutlache zusammengebrochen sei.

      Im Schlafzimmer angekommen, sah Guthmann mit einem Blick, dass Tim Waller nicht mehr zu helfen war. Er drehte sich zu der Frau um und schickte sie mit ruhigen, aber bestimmten Worten ins Erdgeschoss zurück. Angesichts des vielen Blutes zog er Schutzhandschuhe an, bevor er den Tod des Mannes feststellte. Dabei bemerkte der Arzt, dass dieses Blut offenbar auch aus Wallers Augen gelaufen war. In Guthmann keimte ein furchtbarer Verdacht auf – er erinnerte sich an die entsetzlichen hämorrhagischen Fieber, die er in Westafrika gesehen hatte wie Marburg, Lassa oder das berüchtigte Ebola. In diesen Fällen kam es meist zu Blutungen aus allen Schleimhäuten, auch aus den Augen. Doch konnte es tatsächlich sein, dass hier, im ländlichen Westen von Hamburg, eine dieser tödlichen viralen Infektionskrankheiten ausgebrochen war? Und bei wem konnte sich Waller angesteckt haben? Oder waren die Blutungen doch Symptome einer ganz anderen Erkrankung?

      Guthmann entschied sich, kein Risiko einzugehen. Er stürmte die Treppe hinunter, wies Helen Waller und ihre Kinder an, das Haus keinesfalls zu verlassen, eilte zum Rettungswagen hinaus und gab Anweisungen. Sanitäter und Fahrer hüllten sich umgehend in Schutzanzüge samt Kopfhaube, legten Schutzmaske, Vollsichtbrille und Handschuhe an. Auch Guthmann zog die komplette Schutzausrüstung an; er wusste, dass er sich möglicherweise infiziert hatte. In seinem Fall sollte der Anzug die Erreger nicht draußen, sondern drinnen halten. Er zückte sein Handy und informierte nacheinander das Gesundheitsamt, den Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes des Kreises Pinneberg sowie die Leitstelle der Polizei. Spätestens in einer halben Stunde würde hier der Teufel los sein. Man würde das ganze Gebiet absperren und alle möglicherweise Betroffenen in Quarantäne nehmen.

      Der Notarzt beschloss, nach Helen Waller zu sehen und ihr vielleicht noch ein paar Fragen zu stellen. Wo hatte ihr Mann zuletzt gearbeitet? War er vielleicht vor Kurzem von einem Afrika-Aufenthalt zurückgekehrt? Guthmann kehrte ins Haus zurück und ging in die Küche hinüber.

      „Frau Waller?“, rief er. „Es tut mir leid, Sie in dieser Situation behelligen zu müssen, aber könnten Sie mir noch ein paar Fragen beantworten? Es ist wirklich sehr wichtig.“

      Als er vom Flur in die Küche bog, sah er, wie Helen Waller ihm entgegengetaumelt kam. Ein Stöhnen entrang sich ihrer Brust, Blut lief aus Nase und Mund. Guthmann sprang nach vorn und konnte die Frau gerade noch auffangen, bevor sie in seinen Armen zusammenbrach.

      4

       Wedel in Holstein

      „Dr. Lindberg, verstehe ich Sie richtig: Sie rufen mich zu Hause im wohlverdienten Feierabend an, weil Sie auf irgendeinem verwitterten Sarg in Wedel die Zahl Vier gesehen haben? Fühlen Sie sich ansonsten wohl? Ich wäre Ihnen wirklich für eine zügige Erklärung äußerst dankbar – ich habe nämlich das Haus voller Gäste.“

      Dr. Rüdiger Stettner war Leiter des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holstein und damit Lindbergs Vorgesetzter. Gemessen

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