Die nackte Zeit. Nicolas Scheerbarth

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Die nackte Zeit - Nicolas Scheerbarth

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      Es blieb nicht aus, dass auf der Grundlage dieser neuen, familiären Umgangsform unsere Vertrautheit weiter wuchs. Jay erzählte mir manches von sich, zeigte mir farbige Photograpien ihrer Familie und auch aus ihrer früheren Militärzeit. Ich war nach den letzten Wochen bereit gewesen, Frauen als Ärzte zu akzeptieren, und dass ein ausgebildeter Mediziner Hilfskräften vorgesetzt war, als logische Folge. Doch ich konnte kaum fassen, dass es nun auch Frauen gab, die ihr Land mit der Waffe in der Hand verteidigten, ja Truppeneinheiten, Schiffe oder diese "Flugzeuge" kommandierten.

      Inzwischen gewann ich auch eine ungefähre Kenntnis der Räume des Hospitals. Mehrfach führte Jay mich in den Bereich, in dem sich ihr Quartier befand, und bald lernte ich, den Weg dorthin auch alleine zu finden. Eines Tages waren wir dort verabredet, denn sie wollte mir etwas zeigen, das sich "Film" nannte. Rechtzeitig fand ich mich am Eingang des Offiziersquartiers ein, doch Jay erwartete mich nicht wie sonst.

      "Doktor Jay Milland?" fragte ich den Wachhabenden, der dort am Zugang ein kleines Schreibpult besetzte.

      "Oh, I'm sorry, Sir! She isn't here yet. But she told me ..."

      "Entschuldigen Sie, mein Herr, aber ich verstehe Sie leider nicht."

      "Oh, yes, I see ... you're the Iceman ... Ok. Doctor Milland is down there ..." Er wies mit der Hand den Gang hinab. "She's in the spa area ... room 920.07."

      Er schrieb mir eine Zahl, die offenbar einen Raum bezeichnete, auf ein kleines Stück Papier. Ich folgte dem Gang, den der Soldat mir bezeichnet hatte und erreichte tatsächlich eine Türe mit der genannten Nummer.

      Dahinter umfing mich eine süßlich riechende, feuchtwarme Luft, wie ich sie aus den Tropen kannte. Von einem Vorraum zweigten mehrere Türen ab, und da man mich hier her geschickt hatte, fühlte ich mich berechtigt, an ihnen mein Glück zu versuchen. Hinter einigen der Türen schienen sich die Räume eines Bades zu befinden. Doch es brannte kein Licht, und es war niemand anwesend, der mir weitere Auskunft über den Aufenthalt von Jay hätte geben können. Schließlich wurde ich doch fündig, und, bei Gott, dies war sicher der Moment in meinem neuen Leben, der mir am deutlichsten zeigte, wie ungeheuerlich weit sich die Menschheit in allem verändert hatte!

      Ich öffnete eine weitere Türe und fand den Raum dahinter beleuchtet. An einem Haken an der Wand hingen einige Kleidungsstücke, die ich als Teile einer Uniform erkannte, wie Jay sie manchmal zu tragen pflegte. An der Wand gegenüber stand eine große, laut summende Maschine, aus deren Ritzen ein Licht drang, wie ich es selbst in dieser Zeit noch nie gesehen hatte. Es war von grellem Violett und schmerzte in meinen Augen. Schon wollte ich mich abwenden, als mein Blick auf einen Spalt an der Maschine fiel. Dort ragte eine menschliche Hand hervor! Verwirrung und leiser Schrecken ergriffen mich, und zaghaft rief ich "Jay?" in den Raum.

      Das Ergebnis in Worte zu fassen, ist mir selbst heute kaum möglich. Die Hand bewegte sich, griff nach oben, und dann wurde der obere Teil der Maschine nach oben gedrückt. Ich blickte in eine Art Bratröhre aus schierem, blendendem Licht. Und darin lag Jay Milland, wie Gott die Frau geschaffen hatte, völlig entblößt in paradiesischer Nacktheit!

      Ich stand wie erstarrt, und auch wenn mir jede Faser meines Selbst, von Erziehung und Sitte gebot, mich abzuwenden, vermochte ich doch keinen Muskel zu rühren. Der unglaubliche, phantastische und überdies in äußerstem Maße reizvolle Anblick hielt mich im Bann, einem Banne, der auch anhielt, als Jay nun mit einer fließenden Bewegung aus der Maschine kletterte und dann als nackte Eva vor mir stand.

      "Oh Rip, I'm so sorry! Entschuldige, isch habe die Zeit vergessen! Und jetzt ... du schaust ... oh, das ist eine sunbed ... wie sagt man ... Solarium. Künstliches Sonnenlicht. Für die Haut und die Nerven."

      Sie hatte meinen Blick falsch gedeutet. Wohl verwirrte mich die Lichtmaschine hinter ihr, doch in weit größerem Umfang verwirrte mich Jay selbst. Sie stand vor mir in all ihrer Nacktheit, als sei dies ein gewöhnliches Zusammentreffen zweier Bekannter unter den allergewöhnlichsten Umständen. Ihr Körper war zugleich reifer und kräftiger als die der Mädchen, die uns unsere Gastgeber im afrikanischen Hochland ins Zelt geführt hatten - die einzigen Frauen, die ich bisher ausgiebig in diesem Zustand hatte betrachten dürfen - ein Körper, der süße Reize und mütterliche Festigkeit versprach und dessen Anblick mir in jäher, brünstiger Lust fast die Sinne schwinden ließ.

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