Talmi. Oskar Jan Tauschinski

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Talmi - Oskar Jan Tauschinski

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Die Nachfolge Christi.

      »Nicht wahr, da staunen Sie, meine Liebe! Ich habe es relativ gemütlich. Natürlich muß man sich heute bescheiden und alle Prüfungen in Demut tragen.« Sie warf einen Blick in die Runde. »So muß ich mich jetzt mit diesem Plüsch-Greuel behelfen, der noch von meiner Großmama stammt. Meine guten Sachen habe ich zur Gräfin Hartenstein nach Kärnten geschickt.«

      Ich nahm das Büchlein zur Hand.

      »Ja, mein geliebter Thomas von Kempen«, plauderte Mausi weiter. »Die Welt wäre anders, wenn die Menschen in der Nachfolge Christi leben wollten.«

      Das war nun auch meine Meinung. Ich freute mich, der Baronin in diesem Punkt beipflichten zu können, und tat es.

      »Nicht wahr, nicht wahr, Frau Sedlak, Sie teilen meine Ansicht? Die Menschen haben leider ihre Ohren für die Gebote der Liebe verschlossen, und das ist nun der Erfolg …«

      Ich fand, nun sei genug über diesen Gegenstand gesagt, und suchte nach einem anderen Stoff.

      »Schön warm haben Sie es hier«, meinte ich schließlich, da mir dies Thema angesichts der allgemeinen Verfrorenheit aktuell schien.

      »Mhm, ja«, gab Mausi unbestimmt zurück. »Wir sind als drei Haushalte gemeldet, da treffen mich die Stromsparmaßnahmen nicht so empfindlich. Übrigens kommen wir zur Sache: Ich möchte bei Ihnen etwas bestellen. Das war der Grund meines Besuches. Sie arbeiten doch noch nebenberuflich in Ihrem Fach, nicht wahr?«

      »Jetzt? – Aber liebe Baronin, wie soll ich denn jetzt arbeiten? Es gibt in ganz Wien keine Glasuren, und den Ton muß man sich auf einem Handwagen vom Wienerberg holen. Bei meiner körperlichen Verfassung ist das nicht möglich. Abgesehen davon, daß kein Kachelbrenner eine Zuteilung von Holz für den Brand von Luxusgegenständen bekommt.«

      »Wie dumm! Das habe ich nicht gewußt. Können Sie sich nicht hintenherum das nötige Material beschaffen? Man soll doch alles kriegen, sagen die Leute. Ich bin so unerfahren in diesen Dingen. Wissen Sie, ich brauche nämlich ein Geschenk für mein Patenkind, die kleine Monika Agathe Scholastika Müller. – Ja, denken Sie nur, Müller heißt der arme Wurm! Seine Mutter war meine beste Freundin im Sacré-Coeur, eine geborene Komtesse zur Linde. Das ist nun schon das dritte ›Müllerkind‹ meiner armen Vilma. Übrigens sind die Kleinen reizend – reizend, sage ich Ihnen …«

      Ich weiß es. Ich kenne Frau Obersturmbannführer Müller, die geborene zur Linde. Vielleicht kenne ich sie besser als Mausi, obgleich ich durchaus nicht im Sacré-Coeur erzogen worden bin. Und ihre zwei älteren Kinder, die Zwillinge … Nein, nein, ich durfte mir um keinen Preis etwas anmerken lassen! So sagte ich nur beiläufig:

      »Ich glaube mich an Frau Müller zu erinnern. Sie hat – wenn ich nicht irre, auf Ihre Empfehlung hin, liebe Baronin – vor mehreren Jahren bei mir etwas bestellt. Und womit kann ich Ihnen nun gefällig sein? Was gedachten Sie, der kleinen Monika – verzeihen Sie, ich habe die anderen Namen nicht behalten – zu schenken?«

      »Agathe Scholastika Müller!« ergänzte Mausi lachend und schüttelte sich komisch vor innerem Schauder bei dem Familiennamen, dessen »ü« sie verächtlich wie »ö« aussprach und über Gebühr betonte.

      Auch gut, überlegte ich. Die vorigen Kinder hatten Horst-Dieter und Siegrun geheißen. Vielleicht bereut Vilma heute schon … Ich dachte meinen Gedanken nicht zu Ende, denn Mausi hatte begonnen, das in Aussicht genommene Patengeschenk zu beschreiben.

      »Wissen Sie, meine Liebe, ich denke an einen Weihwasserkessel. Natürlich etwas ganz Apartes. Sie kennen ja meinen Geschmack. Und recht groß muß er sein. Nicht eines von diesen kleinen Vogelnäpfchen, in die man kaum andeutungsweise einen Finger hineinstecken kann. Kinder muß man von klein auf zur Frömmigkeit erziehen.«

      »Ich werde tun, was in meinen Kräften steht«, sagte ich. »Aber an einen Termin kann ich mich jetzt nicht binden.«

      »Gar keine Rede davon. Sie machen alles, wie Sie es für richtig halten, und ich werde es Vilma schon erklären, warum das Patengeschenk ein wenig auf sich warten läßt. Wissen Sie, Beste, man muß Gott danken, daß einem nur die Rolle der Patenmutter zugefallen ist. Sie sind doch sicher meiner Meinung: Wir sind jetzt im Vorteil gegenüber den verheirateten Frauen. Wir brauchen für niemanden zu sorgen, um niemanden zu zittern.«

      Ich hätte gern erwidert, daß ich gerade diese Sorge um nahestehende Menschen am meisten entbehrte. War sie nicht gleichbedeutend mit dem Begriff: Liebe? Aber ich sagte nichts dergleichen, sondern entgegnete, indem ich auf meinen schiefen Rücken wies:

      »Mein Gott, für mich ist das ja überhaupt nie in Frage gekommen. Von mir müssen Sie ganz absehen. Aber eigentich ist es doch nur selbstverständlich, wenn eine Frau einen Mann für sich haben will, einen Hausstand, eine Familie. Es möchte doch jeder gern seinem Herzen nachgeben – ohne Vorbehalt …«

      Ich ahnte nicht, was für Aufschlüsse mir diese nur gesprächsweise hingeworfene Bemerkung bringen sollte. – Mausi lachte.

      »Seinem Herzen nachgeben! Haha. Nein, das Herz ist etwas viel zu Unzuverlässiges. Sentimentalität war nie meine Sache. Ich habe mich immer vom Verstand und von meinem Ethos leiten lassen.« Sie wurde plötzlich nachdenklich. »Nur einmal, noch als ganz junges Ding, wäre ich fast so albern gewesen, meinem Herzen ohne Vorbehalt nachzugeben. – Zu gelungen, diese Wendung! – Da sähe ich heute gut aus! Eine Bäuerin wäre ich jetzt wohl – nein, nicht einmal das, eine Chauffeursgattin, vor lauter Vorbehaltlosigkeit. Das war noch in der Zeit, als wir unseren Besitz bei Berndorf hatten. Das Objekt meiner großen Leidenschaft gehörte dem dienenden Stande an. Haha! Seine Mutter war eine Untergebene in unserem Haus. Na, meine Eltern wuschen mir gehörig den Kopf – noch heute danke ich ihnen dafür! –, und damit war diese Herzensangelegenheit aus der Welt geschafft. Übrigens hat sich Papa als der vollkommene Gentleman gezeigt, der er war. Den jungen Burschen, der begreiflicherweise aus dem Hause mußte, ließ er auf seine Kosten einen Autofahrkurs machen und brachte ihn dann irgendwo in der Lebensmittelindustrie unter. Ich habe nie mehr von ihm gehört.«

      Ich hatte Mausi mit wachsender Spannung gelauscht. Also sie war das gewesen? Mausi war das nie mit Namen genannte junge Mädchen aus Berndorf? Eine plötzliche Wut kochte in mir auf. Pah! »Seine Mutter war eine Untergebene …« – statt einfach und geradeheraus zu sagen, daß sie Aushilfsköchin war, die im Sommer, wenn Sperls in ihrer Villa bei Berndorf residierten, für die freiherrliche Familie arbeitete. »Er gehörte dem dienenden Stande an.« Jawohl, Hilfslakai hätte er werden sollen und überdies dem gnädigen Fräulein Schwimmunterricht erteilen. Er war ein entzückender, sonnengebräunter Bursche von sechzehn, mit weißblondem Haar und einem fast noch kindlichen Stierkalbnacken, und sie eine häßliche, frühreife Siebzehnjährige, die, anstatt schwimmen zu lernen, auf dem besten Weg war, von diesem Kind in andere Umstände gebracht zu werden. Vielleicht ist sie schuld an Ernstls unseligem Streben nach gesellschaftlicher Vollwertigkeit. Vielleicht ist sie überhaupt die Ursache von allem, allem, was dann gekommen ist …

      Ich rang nach Beherrschung, um nicht aufzuspringen und die Tür hinter mir ins Schloß zu werfen. Aber Mausi schien meine Erregung nicht bemerkt zu haben. Sie lächelte immer noch voll innerer Genugtuung darüber, daß sie schon als Backfisch so viel Vernunft bewiesen hatte und daß ihr Vater ein vollkommener Gentleman gewesen war.

      Mit Ernstls Augen gesehen und von ihm erzählt, hatte sich die Geschichte ganz anders dargestellt.

      »Ja, ja«, sagte ich schließlich, wieder gefaßt, »so macht halt jeder im Leben andere Erfahrungen«, und ich bemerkte mit Staunen, wieviel Wahrheit plötzlich in dieser fertiggekauften Phrase lag. »Es riecht übrigens herrlich bei ihnen, wie in einer italienischen

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