Talmi. Oskar Jan Tauschinski
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»Wieso Putto?« Er sah mich fragend an.
»Solche pausbäckigen Barockengelchen werden Putten genannt. Es kommt aus dem Italienischen.«
Der junge Mann strahlte.
»Sehr gut. Also das ist ein Barockengel und heißt Putto«, wiederholte er, als handle es sich um eine Lektion. Und dann wieder in die Unbefangenheit seiner zwanzig Jahre zurückfallend, sagte er: »Und ich hab ihn immer Wastl genannt. Finden Sie nicht, daß er Wastl heißen sollte?«
» Ja, das paßt sogar sehr gut. Sebastian war ein häufiger Name in der Zeit, als dieser Engel geschnitzt worden ist. Übrigens war der Märtyrertod des heiligen Sebastian ebenfalls ein beliebtes Thema der Barockbildhauer.«
Der Bursche machte große Augen. Ich hatte den Eindruck, als sei er bemüht, jedes meiner Worte, die den von ihm bewunderten Gegenstand betrafen, auswendig zu lernen. Im allgemeinen litt ich selbst unter meinen Bildungslücken und fühlte mich ganz und gar nicht dazu berufen, andere, noch weniger Gebildete zu schulmeistern. Dennoch tat es mir unleugbar wohl, daß meinen beiläufigen Äußerungen so viel Gewicht zugemessen wurde. Schließlich wandte sich mein Begleiter zum Gehen, mit einer Gebärde, als risse er sich nur schwer von dem geliebten Engel los.
»Ich war drin«, sagte er, »und hab gefragt, was er kostet, der Putto. Aber ich kann ihn mir nicht leisten. Ich verdiene im halben Jahr nicht das, was der alte Gauner für ihn verlangt.«
Schon vor einem Augenblick war mir die Idee gekommen, daß man ja ein solches Engelchen kopieren und diesem merkwürdigen Kunstliebhaber zum Geschenk machen könne. Ich hatte den Gedanken rasch unterdrückt, aber jetzt kleidete er sich wider mein besseres Wissen plötzlich von selbst in Sätze.
»Das glaub ich, daß der teuer ist«, sagte ich. »Aber man könnte ja einen nachmachen; aus Ton zum Beispiel, und dann entsprechend bemalen, gleich mit recht schmutzigen und ausgeblichenen Farben, damit es wie Patina aussieht …«
Ich erschrak über meine eigenen Worte. Das klang ja, als trüge ich mich an, diesem fremden jungen Menschen ein Geschenk zu machen. Und so schien er es auch tatsächlich aufzufassen.
»Wirklich? Könnten Sie das? Sie würden einen Wastl für mich machen? Ganz so wie der in der Auslage? Oh, ich habe ja gewußt, daß Sie eine Künstlerin sind! Gleich beim ersten Blick hab ich das gewußt!«
»Ganz so wie der in der Auslage würde er nicht sein. Der hier ist zweihundert Jahre alt und holzgeschnitzt, während meiner nur eine beiläufige Kopie aus Ton – also wertlos – wäre.«
»Aber er könnte doch ebenso aussehen?«
»Das wohl. Äußerlich und oberflächlich betrachtet – ja.«
»Dann ist es doch egal, ob er aus Holz ist und zweihundert Jahre alt oder nicht«, gab er zurück und setzte dann weltklug hinzu: »Und wenn man den Unterschied sowieso nicht merkt, kann man jedem sagen, daß er vom Antiquitätenhändler stammt. Auf den Bücherkasten darf halt niemand hinaufklettern. Und weiß ich denn, ob der bei Herrn von Scholz echt ist? Würden Sie das erkennen?«
Ich zuckte lachend die Schultern.
»Ich glaube schon; wenn er nicht gar zu hoch und gar zu sehr im Dunkeln sitzt. Außerdem würde es genügen, Ihren Herrn Scholz näher anzuschauen, um zu entscheiden, ob er sich mit einer Nachbildung begnügt.«
»Von Scholz, er ist sogar Baron!« warf er ein.
»Ich bin entzückt, daß Sie einen so vornehmen Chef haben«, sagte ich irritiert. »Um so mehr zweifle ich daran, daß es mir gelingen würde, einen Putto zu erzeugen, der Ihrem an aristokratischen Häusern geschulten Geschmack genügen könnte.«
Er nahm meine Hand in seine großen, etwas allzu weichen Hände. Sein Gesicht war von der Aufregung gezeichnet und wirkte jetzt wieder um Jahre älter. Auch das Jungenhafte seiner Worte hatte die Echtheit von vorhin eingebüßt und klang wie die Treuherzigkeit eines Naturburschen aus der Operette. Aber nun kannte ich meinen Begleiter schon gut genug, um zu wissen, daß er sich gerade jetzt in wirklicher Gemütsbewegung befand und daß die theatralischen Äußerungen seiner Erregung an ihm echter waren – nämlich Tieferes und Schwererwiegendes auszudrücken hatten – als die Unmittelbarkeit von vordem.
»Bitte, bitte«, sagte er im treuherzigen Naturburschenton, »bitte, liebe, verehrte Gnädigste! Sagen Sie, daß Sie mir einen solchen Putto machen werden! Ich wäre ja so glücklich …«
Ich war wieder einmal der Situation nicht gewachsen und ärgerte mich über mich selbst. Was war mir eingefallen, diesem fremden Jüngling etwas von meiner bildhauerischen Liebhaberei einzugestehen? Sollte ich nun gar einen Auftrag annehmen? Sollte ich für diesen Lausbuben Barockplastiken kopieren? Was denn nicht noch! Und schon wollte ich energisch den Rückzug antreten, als ich seinen Augen begegnete.
Sie hatten sich merkwürdig verschleiert, so als seien sie nahe daran, in Tränen zu stehen. Aber möglicherweise waren das nur Reflexe der immer stärker herabsinkenden Dämmerung. Sie sahen mich so bittend an, als hinge von meinem Ja oder Nein Entscheidendes ab. Dann – als erschrecke er selbst vor der Intensität seines Schauens – ließ er die Augen rasch zur Seite gleiten. Das heißt: nur das rechte glitt rasch fort, während das linke mit merklicher Verspätung folgte. Ich weiß nicht, was mich an diesem zeitweise auftretenden Schielen plötzlich so bewegte. Vielleicht nur die Erinnerung an die Situation in der Opernloge, die sofort in voller Lebendigkeit vor mir stand. Jedenfalls fand ich nicht mehr den Mut, abzulehnen.
»Na ja«, meinte ich unbestimmt, »darüber ließe sich reden.«
»O ja, o ja, ich weiß, wenn ich wiederkomme, dann erwartet mich mein Putto in Wien.«
»Sie sprechen vom Wiederkommen? Verreisen Sie denn?« fragte ich gleichgültigen Tones und dachte bei mir: Hoffentlich für lange! Und bis er zurückkommt, wird er seine Bitte vergessen haben.
» Ja, leider«, sagte er, als fiele es ihm erst jetzt so recht aufs Herz, daß seine Abreise mit dem Wunsch in Widerspruch stand, den soeben erteilten künstlerischen Auftrag ausgeführt zu sehen. »Das war ja der Grund, warum ich Ihnen nachgelaufen bin. Ich wollte mich verabschieden. Ich gehe nach Budapest.«
»So? Sie sind also nicht mehr in der Brotfabrik beschäftigt?«
»Nein. Das war nichts für mich.«
»Darf man fragen, warum?«
»Ach, schauen Sie, Gnädigste, wenn man etwas Besseres gewöhnt war … Ich habe in letzter Zeit beim Generaldirektor als Privatchauffeur Dienst gemacht, weil der Ebergassner operiert worden ist. – Ja, das ist etwas anderes. Da lernt man das Leben kennen. Man wohnt im Cottage! (Er sagte Kotésch.) Gleich in der Frühe fährt man die Baronesse ins Institut und später am Vormittag die Baronin zum Friseur oder in einen der Modesalons in der Stadt. Und abends, da wartet man vor dem Burgtheater auf die Herrschaften oder vor der Wohnung eines Ministers. Aber jetzt ist der Ebergassner wieder gesund, und ich hab zum Brotliefern zurückmüssen.«
»Ist denn das so schlimm? Brotausfahren ist doch ein vernünftiger Beruf! Brot brauchen die Menschen. Eine gnädige Frau zum Friseur zu fahren, hätte für mich gar nichts Mitreißendes.«
Er schüttelte lachend den Kopf, als nehme er meine Worte nicht ernst. »Was kann man beim Brotfahren schon lernen? Immer kommt man nur mit Krämern und Milchfrauen zusammen. Das hat doch gar keinen Zweck!«